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Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Second Energy Security Summit der Münchner Sicherheitskonferenz: „The Next Great Game? Global Impacts of the Shale Revolution

28.05.2014 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Lieber Wolfgang Ischinger,
sehr geehrter Herr Nonnenmacher,
Exzellenzen,
verehrte Damen und Herren,

als das Thema Konferenz entwickelt wurde, hatte der Begriff Energiesicherheit noch einen völlig anderen Klang.

Das Wort von der „Schiefergasrevolution“ machte vor wenigen Jahren die Runde – erst in den Wirtschaftszeitungen und zunehmend auch in der politischen Diskussion und war von großer Hoffnung begleitet. Es ging um die Frage, wie sich Energiepreise, Wettbewerbsvorteile und letztlich auch politische Kräfteverhältnisse weltweit verschieben würden.

Aber immer klang diese Diskussion ein wenig wie Zukunftsmusik – zumindest in ihren Auswirkungen auf uns in Deutschland. Energieautarkie der USA, neue Bezugsquellen für Europa, Produktionsverlagerungen in der Industrie, Auswirkungen auf unser Großprojekt der Energiewende– scheinbar alles Entwicklungen erst auf mittlere oder lange Sicht.

Doch seit einigen Wochen ist Energiesicherheit kein kurzfristiges und auch kein mittelfristiges und auch kein langfristiges Thema mehr.

Die Ukraine-Krise hat das Thema Versorgungssicherheit zum akuten Politikbrennpunkt gemacht – und ganz neu ins Bewusstsein der breiten politischen Öffentlichkeit katapultiert.

Für mich bestätigt sich eine Entwicklung, die mich seit den ersten Tagen meiner ersten Amstzeit beginnend 2005 als Außenminister begleitet– einen Eindruck, den ich in meiner Antrittsrede vor der Münchener Sicherheitskonferenz im Jahre 2006 zum ersten Mal formuliert habe: dass nämlich Energiepolitik ganz unmittelbar auch ins Kerngeschäft der Außen- und Sicherheitspolitik gehört.

Was vor 10 Jahren noch Kopfschütteln oder Schulterzucken ausgelöst hat, wird in der Ukraine-Krise greifbar: Denn während die früheren Gaskrisen zwischen der Ukraine und Russland – 2006 und 2009 – vielleicht noch für sich alleine standen und auch für sich lösbar waren, wird dieses Mal der Gasstreit ganz offenbar zum Gegenstand der größeren politischen Auseinandersetzung – auf jeden Fall mit Folgen in Europa, aber wahrscheinlich auch mit Folgen, die global wirken werden!

Und ob wir es wollen oder nicht: Die EU, wir alle sind betroffen. Denn noch immer fließt rund die Hälfte der russischen Erdgaslieferungen für Europa über die Ukraine.

Und je größer in einzelnen Ländern die Abhängigkeit vom Gas aus Russland, desto größer ist dort die politische Nervosität. Ich habe das bei meinem Besuch in den baltischen Staaten wie in Ungarn und anderen Visegradstaaten deutlich gespürt, die in ihrer Gasversorgung zu 100 Prozent von Russland abhängen.

Deshalb: Bei vielen unserer östlichen EU-Nachbarn wird die politische Sorge, mit Blick auf Russlands Annexion der Krim, gepaart mit der energiewirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland zu einer höchst dramatischen Mischung.

Und niemand mache sich vor, dass wir das soeben beschriebene Problem ganz kurzfristig lösen können. Zum Beispiel mit Schiffen mit Flüssiggas aus Texas oder Ohio oder mit LNG aus Katar. Das ist im Augenblick nicht geeignet, um eine kurzfristige Bedrohung von Energiesicherheit tatsächlich zu entspannen, die Situation zu entschärfen.

Revolutionen sind selten, erst recht in der Energiepolitik. Und evolutionäre Veränderungen – ganz unabhängig, ob sie von Motiven geringer Abhängigkeit oder Verringerung von CO2-Emissionen – brauchen ihre Zeit.

Eines Tages werden die einzelnen Staaten in der EU ihre Risiken aus mangelnder oder einseitig gestützter Versorgungssicherheit verringert haben.

Aber: Bei all diesen Gedankenspielen liegt die Betonung allerdings auf „eines Tages“. Denn auch wenn die politische Brisanz auf einmal in die Höhe geschossen ist, so wird die technologische und die regulatorische Entwicklung dadurch nicht schneller. Obwohl alle wissen, dass wir mehr Diversifizierung brauchen, dass wir neue Versorgungssysteme brauchen, dass wir viel mehr investieren müssen, und das gilt für ganz Europa, in Energieeffizienz, obwohl viele eher heraus wollen aus fossilen Energieträgern und stärker hinein wollen in erneuerbare Energien – alles entsteht nicht von heute auf morgen.

Für die Lösung der akuten Krise wird uns das Thema Schiefergas jedenfalls nichts helfen, vor allem nicht überall, wenn ich auf dicht besiedelte Regionen in Deutschland und den Niederlanden schaue. Aber natürlich werden Märkte und Preise weltweit durch Mehrangebot beeinflusst. Das beeinflusst natürlich auch energiepolitische Strategien in Europa – und deswegen bin ich gespannt auf diese Konferenz und Ihre Diskussionen.

Wenn der Zusammenhang der außenpolitischen Krise und der Energieversorgung so eng ist, wie ich es beschrieben habe, dann kann es kein Zufall sein, lieber Wolfgang Ischinger, dass wir uns heute wiedertreffen.

Wenn jemand, auf die Liste meiner Telefonate in den letzten beiden Wochen schaut, dann müsste er sagen: Mensch, der Steinmeier hat sich aber wirklich sehr gut auf diese Konferenz vorbereitet. Er hat fast jeden Tag mit dem Gastgeber des heutigen Tages telefoniert!

Lieber Wolfgang, Du warst in den vergangen Tagen als Diplomat in heikler Mission unterwegs – Du hast mit viel Geschick und großem Respekt auf allen Seiten Runde Tische in der Ukraine organisiert und gemeinsam mit den beiden ehemaligen Präsidenten Kutschma und Krawtschuk moderiert.

Für die Zukunft der Ukraine ist dieser Nationale Dialog entscheidend. Natürlich kann der Runde Tisch nicht alles bewirken, aber weil viel kritisiert worden ist, dass an jenem oder diesem Runden Tisch keine Entscheidung gefallen sind, will ich auch hier noch einmal sagen: Das ist nicht Aufgabe eines Runden Tisches. Der Runde Tisch ist nicht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Er schafft Gesprächsmöglichkeiten, bringt Menschen und Organisationen zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen im Augenblick in der Ukraine nicht miteinander reden. Und das ist gelungen! Ein Million Menschen haben im Live Stream den Runden Tisch verfolgt und das spricht dafür, dass es ein großes Interesse, ein großes Bedürfnis nach einem politischen Dialog gibt, der die Gräben überbrückt. Lieber Wolfgang, und das ist eben auch dein Verdienst, dass du geholfen hast, diese Brücken zu bauen. Ein kleines bisschen die Atmosphäre der Debatte zu verändern. Das ist ein ganz wesentlicher Beitrag dafür, dass nicht nur die Wahlen am vergangenen Sonntag stattfinden konnten, sondern, dass sich vor allen Dingen dieser Wahltag ohne größeres Blutvergießen, aber dafür mit einem eindeutigen Ergebnisse zu Ende gegangen ist. Deshalb gilt Dir, lieber Wolfgang, mein ganz persönlicher Dank auch dafür, was Du in den letzten Wochen zu diesem Etappenerfolg beigetragen hast.

An Energiepolitik hängt auch die Frage, ob uns in Kürze eine Entschärfung der Ukraine-Krise gelingt, habe ich gesagt, und deshalb begrüße ich es, dass Sie, lieber Herr Oettinger, seit Anfang Mai intensive Gespräche mit dem russischen und ukrainischen Energieminister führen. Gestern hatten wir den Eindruck, es ist so nah bei einander, dass es vielleicht während dieser Konferenz schon endgültige Entscheidungen kommt. Ich bin mir sicher, selbst wenn es jetzt noch Verzögerungen gibt, es gibt keine Alternative zu dem, was Oettinger mit seinen Kollegen aus der Ukraine und Russland diskutiert hat. Und mein Plädoyer ist wirklich an alle Beteiligten: Die Möglichkeit eines vorläufigen Verständnisses über Gaslieferungen in die Ukraine jetzt zu Ende zu bringen, dass wir von diesem Komplex aus der Energieversorgung der Ukraine nicht noch zusätzliche Belastungen für die Entschärfung des politischen Konfliktes haben werden. Deshalb hoffe ich, dass es gelingen wird und sage es in dem Bewusstsein, dass selbst in Zeiten des „Kalten Krieges“ ist es uns über viele Jahrzehnte gelungen, die Energielieferungen herauszuhalten aus den großen politischen Systemkonflikten. Und wenn das über viele Jahrzehnte gelungen ist, und wir wissen, dass Störungen in der Energieversorgung Schaden auf allen Seiten anrichten, dann sollten wir versuchen, dass jetzt Energiepolitik und Energielieferungen nicht zum Gegenstand des großen politischen Konfliktes, zwischen Ost und West, zwischen Russland und der Ukraine, zwischen Russland und der EU wird. Ich glaube auch, dass Russland ein Interesse aus schlicht ökonomischen Gründen hat, dass die wirtschaftliche und die energiewirtschaftliche Zuverlässigkeit des Landes nicht in Frage stehen.

Wenn ich von den Sorgen der Energieabhängigkeit rede, dann rede ich aus akuten Gründen über den Fall der Ukraine.

Doch genau so sehr haben wir über die EU und über Deutschland zu sprechen. Bei uns in Deutschland kommen über 95 Prozent des Erdöls und gut 90 Prozent des Erdgases, das wir verbrauchen, aus dem Ausland.

Das heißt: Nicht nur in der Ukraine, sondern auch bei uns ist Energieversorgungssicherheit ein essenzielles Ziel der Außenpolitik.

Wie erreichen wir es? Die erste Antwort heißt: mehr Europa. Europa hat in seiner jüngeren Geschichte erfolgreich auf Krisen reagiert, indem es enger zusammengerückt ist. Deshalb ist das Stichwort „Energieunion“ richtig. Wir dürfen es aber nicht missverstehen als Rückweg in die Energiestaatswirtschaft mit der Schaffung von Einkaufskartellen.

Was wir brauchen, ist die Vollendung des Energiebinnenmarkts. Die Europäische Kommission wird uns dazu heute Vorschläge vorlegen und ich plädiere dafür, dass wir uns unverzüglich an die Arbeit machen.

Es darf keine Energieinseln in der EU mehr geben, die nicht oder nicht ausreichend an das Pipelinenetz im gemeinsamen Markt angebunden sind. Jetzt ist der Zeitpunkt, aus den vielen uns vorliegenden, noch zu realisierenden Energieprojekten in ganz Europa die wichtigsten auszuwählen, die uns unabhängiger von Importen machen.

Und dann ist jetzt auch der Zeitpunkt, eine Debatte ohne Tabus führen, ob dies alles der Markt leisten kann oder wir auch unsere Finanzierungsmodelle in Europa überdenken und öffentliches Geld in die Hand nehmen müssen. Ich bin mir sicher, dass auch Institutionen wie die Europäische Investitionsbank (EIB) hier helfen können. Denken Sie an das Baltikum, wo die Gasanbindung an die EU mit Liefermöglichkeiten in beide Richtungen praktisch fehlt. Deshalb sind dort die Sorgen über Abhängigkeit besonders groß. Wenn Gas ungehindert im gesamten Binnenmarkt von einem in den anderen Staat fließen kann, dann werden die Sorgen im Baltikum deutlich geringer.

Das trifft auch die Frage des Ausbaus von LNG-Terminals, wobei ich hier vor einem sachverständigen Publikum keine Zweifel streuen muss, aber jedenfalls die kurzfristige Hoffnung darauf, dass man mal eben ein paar zusätzliche Milliarden Kubikmeter LNG aus Katar nach Europa liefert, die Hoffnung sollte man zumindest überprüfen im Gespräch mit den Lieferländern selbst, die im Augenblick bis unter die Decke fördern und gar nicht mehr in der Lage sind, neue Kontrakte abzuschließen. Und dass wir immer noch nicht in der Lage sind, einen wirklichen europäischen Binnenmarkt bei Strom hinzukriegen, z.B. wegen fehlender Interkonnektoren, das ist wirklich ein Anachronismus, den wir bereinigen müssen. Das erste Stichwort ist also Europa, Energieunion in Europa.

Das zweite Stichwort heißt Diversifizierung.- Damit meine ich eine Diversifizierung im dreifachen Sinn: Diversifizierung der Energiequellen, Diversifizierung der Lieferländer und die Diversifizierung der Versorgungsrouten.

Sigmar Gabriel und die anderen G7 Energieminister haben dies bei Ihrem Treffen in Rom deutlich gemacht: Kein Land darf nur von einem einzigen Lieferanten abhängig sein.

Es gibt in der Diplomatie ein Grundprinzip: Nicht alles auf eine Karte setzen. Und das gilt genauso für die Staaten, die uns fossile Brennstoffe liefern. Deshalb müssen wir Verständnis haben, selbstverständlich ist Diversifizierung auf Lieferantenseite – z.B. nach Asien – ebenfalls kluge Politik!

Und: Die sogenannte Schiefergasrevolution wird ihren Teil dazu beitragen.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir die geologische, umweltpolitische und geopolitischen Folgen dieser Entwicklung schon ausreichend diskutiert und verstanden haben.

Aber: Zunächst einmal stärkt natürlich die Schiefergasförderung die Wettbewerbssituation der Länder, in denen gefördert wird! Die Energiekosten sind schon heute in vielen Branchen das, was noch die Arbeitskosten in den 90er Jahren waren: Der kritische Kostenfaktor. Heute verursachen die Löhne nur noch ein Viertel der Kosten in der Industrie. Dafür machen Energie und Rohstoffe vierzig Prozent aus, in energieintensiven Branchen sogar bis zu zwei Dritteln. Die energiepolitische Unabhängigkeit etwa der USA erweitert die außenpolitischen Handlungsspielräume der USA. Mache sagen, dass die USA ihr Interesse am Nahen und Mittleren Osten verlieren werden. Was das für die Sicherheitsarchitektur in dieser Region bedeutet, mag sich jeder ausmalen.

Die USA richten einen nicht unerheblichen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf den asiatisch-pazifischen Raum, die zu fast 90 Prozent der Energieexporte aus dem Nahen und Mittleren Osten beziehen werde. Die Volkswirtschaften Chinas und Indiens werden nicht nur zu den größten Verbrauchern gehören. Wir können sicher sein, dass das politische Engagement dieser Mächte in der Region entsprechend wachsen wird und beide unsere unmittelbaren Konkurrenten um Energieressourcen werden.

Noch aus einem anderen Grund ist die Botschaft der Schiefergasrevolution für Europa eine zweischneidige: Zum einen erweitern sich mittelfristig die Versorgungsmöglichkeiten und damit könnte sich die Energieversorgungssicherheit erhöhen. Zum anderen müssen wir – gerade hier in Deutschland – einer unbequemen Wahrheit ins Auge blicken: Die Schiefergasrevolution wird absehbar das fossile Zeitalter verlängern. Schon der Kampf gegen den Klimawandel mahnt uns zu verhindern, dass die Welt Schiefergasrevolution und Energiewende als Alternativen wahrnimmt. Nicht entweder Technologiewende in der Energiepolitik oder Schiefergasförderung, sondern ich glaube, die Technologiewende in der Energieversorgung, die wird unvermeidbar sein, jedenfalls, wenn man schlimmeres verhüten will. Dass Gas und die Stromerzeugung aus Gas in der Zukunft eine Rolle spielen müssen, ist für mich ebenso unbestritten.

Die Außenpolitik bleibt gefordert. Sie sehen: Energieaußenpolitik ist zwar ein langes Wort, aber es ist zu Recht ein Wort. Ich sagen Ihnen, Energieaußenpolitik kann Versäumnisse in den nationalen Energiepolitiken natürlich nicht kompensieren. Aber es kann Fehleranfälligkeiten in den Energiebeziehungen deutlich reduzieren helfen, indem man ein kriesenresistentes Vertragssystem entwickeln, das Lieferländer, Transitländer und Konsummentenländer in ein festes System von Spielregeln einbindet, aber das Einbinden ist nicht das Entscheidende, sondern verbindet mit einem Krisenlösungsmechanismus, der für die zukunft hoffentlich verhindert, dass Energie und Energielieferungen zum Spielball von politischer und außenpolitischer Interessen werden.

Energie- und Klimadiplomatie gehören ohne Zweifel hinein in den Instrumentenkasten der Außenpolitik. Vor acht Jahren war das anders. In meiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz, von der ich erzählt habe, sprach ich zum ersten Mal von dieser Thematik. Als ich nach der Rede von der Bühne ging, sagte Horst Teltschik – Dein Vorgänger, Wolfgang: „Herr Steinmeier, das war eine wirklich interessante Rede. Schade, dass Sie nicht über Außenpolitik gesprochen haben.“

Das würde sich so heute nicht wieder ereignen! Heute denken wir anders. Es freut mich insgeheim, dass ausgerechnet die Münchener Sicherheitskonferenz selbst zu einer Konferenz über Energiesicherheit einlädt.

Ich wünsche Ihnen allen gute Diskussionen!

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