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Eröffnungsrede von Außenminister Heiko Maas beim virtuellen Treffen der Außenminister des Berliner Prozesses

08.06.2021 - Rede

Seit über einem Jahr stellt die Pandemie unsere Leben auf den Kopf. COVID-Krisenmanagement gehört weiter zu unserem täglichen Geschäft. Doch gleichzeitig gibt es Anlass für Optimismus:

Trotz aller Schwierigkeiten nehmen die Impfkampagnen in unseren Ländern an Fahrt auf – dank multilateraler Zusammenarbeit und Solidarität. Wir hätten uns gewünscht, schneller helfen zu können – aber COVAX und die Europäische Union haben jetzt Impfdosen in den Westbalkan geliefert. Und weitere Unterstützung für Ihre Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften ist auf dem Weg.

Diese Fortschritte geben uns Grund, längerfristige Perspektiven ins Auge zu fassen für das “building back better” unserer Wirtschaft, Politik und Gesellschaften.

Genau das haben wir uns für die heutige Konferenz vorgenommen. Ein herzliches Willkommen an Sie alle! Ich bin neugierig auf das, was Sie alle zu berichten haben, aber gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen aus unserer Sicht.

Für die Länder des westlichen Balkans bedeutet „build back better“, sich ehrgeizige Ziele zu setzen, da Ihre Bürgerinnen und Bürger große Erwartungen haben.

Sie erwarten von ihren Regierungen Rechenschaftspflicht, verlässliche öffentliche Dienstleistungen und wirtschaftlichen Fortschritt.

Und von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten fordern sie einen glaubwürdigen Weg für ihre Länder in die Europäische Union.

All diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Berliner Prozesses. Seit dessen Beginn im Jahr 2014 haben die Länder des westlichen Balkans viel erreicht:

  • Das Regionalbüro für Jugendzusammenarbeit hat über nationale Grenzen hinweg Verbindungen zwischen Tausenden von Jugendlichen geschaffen.
  • In der Pandemie haben Ihre Länder „grüne Vorfahrtsspuren“, sogenannte „Green Lanes“, eingerichtet, dank derer Güter trotz der COVID-Beschränkungen die Grenzen passieren können.
  • Nächsten Monat wird eine neue Vereinbarung die Roaming-Gebühren in der Region abschaffen, was geschäftliche Aktivitäten und den Kontakt mit Freunden und Familie deutlich günstiger macht.
  • Und beim Gipfeltreffen des Berliner Prozesses im vergangen Jahr haben Sie ihr bis dato ehrgeizigstes Projekt gestartet – den gemeinsamen regionalen Markt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

das sind wichtige Errungenschaften. Aber wenn wir einen Blick zurück auf das vergangene Jahr werfen, sehen wir auch, dass es in anderen Bereichen wenig Fortschritte gegeben hat. Und ich kann die Enttäuschung, die dies in der Region hervorruft, völlig verstehen.

Lassen Sie uns deshalb unsere gemeinsamen Anstrengungen in drei Themenbereichen verdoppeln.

Erstens müssen wir den Erweiterungsprozess wieder in Gang bringen.

Die Zukunft aller sechs Staaten des westlichen Balkans liegt in der Europäischen Union. Deutschland tritt weiterhin uneingeschränkt für dieses Ziel ein.

„Wenn Sie liefern, liefern wir auch.“ Das muss auch künftig unser Herangehen an die Erweiterung der Europäischen Union sein.

Auf der einen Seite müssen die Länder des westlichen Balkans Rechtsstaatlichkeit stärken, Korruption und organisierte Kriminalität bekämpfen, die Medienfreiheit schützen und Räume schaffen, in dem Demokratie gedeihen kann.

Solche Reformen werden mehr ausländische Investitionen anlocken, Perspektiven für junge Menschen schaffen und so die Abwanderung qualifizierter Kräfte aus Ihrer Region stoppen.

Auf der anderen Seite muss die Europäische Union zu ihren Verpflichtungen stehen.

Nordmazedonien und Albanien haben nachhaltige Fortschritte bei der Justizreform und im Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität gemacht. Im Prespa-Abkommen haben Skopje und Athen historische politische Führung bewiesen.

Deshalb sollten die Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien jetzt beginnen. Ich danke der portugiesischen Ratspräsidentschaft dafür, dass sie diese Aufgabe weiterführen. Sie hat unsere volle Unterstützung.

Lassen Sie mich ganz klar sagen: Wir alle wissen, dass Innenpolitik den Spielraum für Außenpolitik einschränken kann. Und wir verstehen, dass Fragen der Geschichte und der Identität heikel sind. Aber solche bilateralen Fragen sollten nicht den gesamten Beitrittsprozess behindern.

Und da wir gerade über Pragmatismus reden: Ich glaube auch, dass wir als Europäische Union endlich in der Frage der Visaliberalisierung für Kosovo liefern sollten, dem einzigen Land in der Region, das weiterhin vom einfachen Reisen in die Europäische Union ausgeschlossen ist.

Lassen sie uns zum Zweiten härter für regionale Kooperation und Aussöhnung arbeiten. Alle Völker in Europa tragen historische Bürden. Aber die Geschichte darf kein Hindernis bei der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft sein.

Ich war kürzlich in Belgrad und Pristina, um über den Dialog zwischen Kosovo und Serbien zu sprechen, der von der Europäischen Union vermittelt wird.

Unsere Botschaft ist klar: Eine umfassende Vereinbarung zwischen Kosovo und Serbien würde nicht nur die regionale Stabilität erhöhen. Sie würde auch den Weg freimachen für die Aussichten beider Länder auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

Wir unterstützen uneingeschränkt die Anstrengungen, die der Hohe Vertreter Josep Borrell und der Sonderbeauftragte Miroslav Lajčák bei der Realisierung dieses Vorhabens unternehmen.

Dasselbe gilt für Bosnien und Herzegowina. Über 25 Jahre nach Dayton erleben wir einen beunruhigenden Stillstand und aggressive Rhetorik.

Heute Nachmittag wird das Berufungsurteil im Verfahren gegen Ratko Mladic verkündet. Es erinnert uns an die entsetzlichen Kriege der 1990er mit Völkermord, Massentötungen und ethnischen Säuberungen. Diese schrecklichen Erinnerungen sollten uns zu dem Schluss führen, dass die Zukunft des westlichen Balkans in Frieden und Demokratie liegt.

Der europäische Fahrplan für Bosnien und Herzegowina ist klar: die vierzehn Schlüsselprioritäten der Europäischen Kommission.

Von entscheidender Bedeutung bleibt darüber hinaus das Amt des Hohen Beauftragten für Bosnien und Herzegowina. Deshalb bin ich Christian Schmidt und den Unterstützern seiner Ernennung als neuem Hohen Beauftragten sehr dankbar. Er wird helfen, Bosnien und Herzegowina zurück auf die internationale Tagesordnung bringen!

Lassen Sie mich schließlich auch die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Förderung von Versöhnung und Dialog hervorheben. Wir werden gleich mehr über die Ergebnisse des Zivilgesellschaftsforums des Berliner Prozesses erfahren, das letzte Woche zusammengekommen ist.

Und damit komme ich zu meinem dritten Punkt, dem Fortschritt auf dem Weg zum Gipfeltreffen des Berliner Prozesses im Juli.

Ich möchte Sie nachdrücklich dazu ermutigen, all Ihre Energie einzusetzen, damit dieses Gipfeltreffen zu einem Erfolg für die Menschen in der Region wird:

  • Insbesondere das Abkommen über Reisefreiheit mit ID-Cards würde Handel und Reiseverkehr stärken.
  • Gleichermaßen würden der gemeinsame Visumraum sowie die Anerkennung von akademischen und beruflichen Abschlüssen das Leben für viele Bürgerinnen und Bürger vereinfachen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Pandemie hat gezeigt, dass die meisten der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, nicht an Staatsgrenzen haltmachen.

Ein wohlhabender und friedlicher westlicher Balkan braucht Staaten in der Region, die sich die Hände zur Zusammenarbeit reichen – mit Pragmatismus und Mut, mit Realismus und Ehrgeiz.

Es liegt an Ihnen, diese Wahl zu treffen – Deutschland steht bereit, um Sie zu unterstützen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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