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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Verleihung des Shimon-Peres-Preises 2021 im Roten Rathaus

06.10.2021 - Rede

Ich freue mich sehr, heute hier diesen Preis zu verleihen. Er ehrt Shimon Peres. Und er steht für die deutsch-israelische Freundschaft.

Letztes Jahr waren wir, Klaus Lederer und ich, hier nahezu alleine und sprachen vor leeren Rängen in eine Kamera – das wurde eben schon gesagt. Das ist heute zum Glück anders, und wir stehen vor Ihnen allen.

Es macht eben einen Unterschied, in die vielen Gesichter hier zu schauen und gemeinsam mit Ihnen allen zu feiern.

Die Pandemie hat uns allen viel abverlangt. Sie hat uns gezeigt, wie verwundbar unsere globalisierte Welt gerade durch ihre Vernetzung ist. Aber sie hat auch gezeigt, wie stark die deutsch-israelische Freundschaft ist.

  • Nehmen wir zum Beispiel die Rückholflüge, nach Ausbruch der Pandemie vergangenes Jahr. Da haben wir aus der ganzen Welt deutsche Staatsangehörige zurück in die Heimat geflogen. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, in dem wir im Krisenstab beschlossen haben, dass wir bei diesen Rückholfügen israelische Staatsangehörige genau wie deutsche Staatsangehörige behandeln und auf unseren Flügen mitnehmen.
  • Und auch bei den Impfungen gegen Covid-19 konnten wir Maßstäbe setzen: Innerhalb kürzester Zeit wurde in Deutschland einer der fortschrittlichsten und effektivsten Impfstoffe entwickelt. Mit dessen Hilfe hat Israel seine bewundernswerte, weltweit führende Impfkampagne vorangebracht. Zusammen sind wir nun hoffentlich auf einem guten Weg, das Virus zu besiegen.

Dass wir so weit sind liegt nicht zuletzt an unserer Innovationskraft und unseren offenen Gesellschaften. Die Gründer eines der führenden Impfstoffentwickler, Özlem Türeci und Uğur Şahin, sind Kinder türkischer Zuwanderer. Sie waren die erste Generation, die in Deutschland Deutsch lernten, das deutsche Schulsystem durchliefen, um dann Höchstleistungen in der Wissenschaft zu vollbringen.

Das Beispiel Biontech zeigt, dass die Stärke unserer Länder in seiner Vielfalt liegt. Herkunft darf nicht über den Lebensweg entscheiden. Weder, wo wir geboren sind, welcher Religion wir angehören, noch welchen Beruf unsere Eltern ausgeübt haben.

Es macht eben einen Unterschied, ob eine Gesellschaft offen und durchlässig ist oder nicht.

Und ich will deshalb auch noch etwas zu den Themen sagen, die heute wieder Deutschland beschäftigen – insbesondere zu den jüngsten Ereignissen in Leipzig mit Gil Ofarim.

Ich will Ihnen sagen: Ich bin es wirklich leid. Ich weiß nicht, wann ich die letzte Rede zu Israel gehalten habe oder zu jüdischem Leben in Deutschland, die nicht kurz vorher nochmal verändert werden musste, weil irgendwo in Deutschland irgendetwas passiert ist. Etwas Antisemitisches.

Und das regt mich wirklich auf und ich finde es reicht einmal. Und ich glaube nicht nur ich bin fassungslos, denn es geschehen immer wieder Dinge, die man selbst nicht für vorstellbar gehalten hat. Das von jemandem verlangt wird, dass er seine Kette abnimmt, ist jetzt nochmal neu dazugekommen.

Leider muss man sagen, dass der Antisemitismus etwas ist, dem viele Jüdinnen und Juden jeden Tag in unserem Land ausgesetzt sind. Das ist ein wirklich bitterer Satz. Und Leipzig ist kein Einzelfall.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns in diesem Land jeder Form von Antisemitismus immer und überall entgegenstellen. Auf Bundesebene werden wir für die kommenden vier Jahre mehr als eine Milliarde Euro für die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und vor allen Dingen Antisemitismus bereitstellen.

Aber das reicht allein nicht. Es braucht einen Schulterschluss der Gesellschaft im Kampf gegen den Antisemitismus: Wegschauen darf keine Option sein – gerade in Deutschland. Denn wir sollten in Deutschland aus unserer Geschichte eigentlich gelernt haben, dass man auch durch Unterlassen zum Mittäter werden kann. Und deshalb ist es wichtig, dass die Politik, dass der Rechtsstaat sich damit nicht nur befassen, sondern die richtigen Entscheidungen treffen und alles dafür tun, um Antisemitismus in diesem Land zu bekämpfen. Aber gleichzeitig ist das auch eine Aufgabe für uns alle.

Und wir leben ja alle, mehr oder weniger, auch in den Sozialen Netzwerken. Und es ist manchmal auch ganz erbaulich zu sehen, dass die Welt weiter funktioniert, wenn die Sozialen Netzwerke einmal nicht funktionieren. Aber es ist manchmal auch erschreckend, wenn man sieht, was dort verbreitet wird an Hass und Hetze. Und ich bin oft im Ausland darauf angesprochen worden: Was ist denn bei euch in Deutschland los? Weil das, was in Deutschland geschieht besonders aufmerksam verfolgt wird, wenn es um Antisemitismus geht – zurecht. Und ich habe immer versucht, meine Gesprächspartner davon zu überzeugen, dass das eine Minderheit ist. Und es ist auch eine Minderheit in Deutschland. Aber eine, die außerordentlich gut organisiert ist, auch in der digitalen Welt.

Und deshalb hängt es auch von uns ab, zunächst einmal wie unsere Gesellschaft sich hier in Deutschland artikuliert, aber auch wie wir im Ausland wahrgenommen werden. Und es ist so, dass eine kleine Minderheit, die antisemitischen Hass und Hetze verbreitet, die Möglichkeiten der digitalen Welt nutzt und eine Lautstärke erzielt, von der man glauben könnte, es sei doch mehr als nur eine kleine Minderheit. Wie laut diese Minderheit ist, das hängt von uns allen ab. Denn letztlich reguliert die Mehrheit die Lautstärke der Minderheit. Und dazu kann jeder und ich finde dazu muss jeder von uns seinen Beitrag leisten. Heute – und bedauerlicherweise wird das wahrscheinlich auch in Zukunft der Fall sein.

Meine lieben Gäste,

die Pandemie hat auch Verschwörungstheorien befeuert und das ist ein Stresstest für unsere Demokratie gewesen – und nicht nur bei uns. Während in anderen Ländern deutlich rigoroser vorgegangen wurde bei den Restriktionen, die während der Pandemie verhängt worden sind, haben wir uns immer um eine Balance zwischen der Freiheit des Individuums und der Verantwortung für die Allgemeinheit bemüht.

Es macht eben einen Unterschied, wenn wir intensiv über die verhältnismäßige, befristete Einschränkung einiger Grundrechte diskutieren. Und ich finde, damit kann man auch demokratisches Miteinander stärken.

Allerdings war einiges, was wir bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gesehen haben, auch eine Herausforderung für uns alle als Demokratinnen und Demokraten. Und ich sage auch ganz klar: Jeder kann sagen, was er für richtig hält. Wenn sich aber Impfskeptiker auf Demonstrationen mit den Opfern des Holocaust vergleichen, dann ist dies nichts anders als unerträglich. Weil diese Menschen damit auch die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnen. Sie verharmlosen die menschenverachtende Brutalität, die der Nationalsozialismus hatte und sie zerstören auch grundlegende zivilisatorische Werte, die für unser Zusammenleben in unserer Demokratie unabdingbar sind.

Bei solchen Dingen, die in Deutschland geschehen sind, in den letzten Monaten und bedauerlicherweise auch immer wieder geschehen, empfinde ich persönlich immer irgendetwas zwischen Scham und Wut. Und auch da stellt sich die Frage: Was kann jeder Einzelne dazu beitragen, dass das nicht das Bild ist, das unsere Gesellschaft prägt – weder im Inland noch im Ausland.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich glaube, das sind auch Dinge, die gut auf eine Veranstaltung passen, die Shimon Peres und seinem Werk und seinem Leben gewidmet ist. Wir sehen auch – wenn ich hier in den Raum schaue und sehe, wer heute alles hier ist –, dass der Shimon Peres Preis ein Preis ist, der nicht nur von der Regierung ausgelobt wurde, sondern von der Gesellschaft und Zivilgesellschaft mitgetragen wird. Und es ist auch ein Preis, mit dem wir unsere Freundschaft zum Staat Israel dokumentieren. Shimon Peres steht wie kein anderer für diese Freundschaft.

Wie kein Zweiter ist er für die Verständigung und Aussöhnung zwischen unseren Gesellschaften eingetreten – genau wie für die Aussöhnung zwischen Israel und seinen Nachbarn.

Und ich bin mir ziemlich sicher, Shimon Peres wäre stolz gewesen, wenn er gehört hätte, dass Menschen wie Hagar Bareket sich von ihm haben inspirieren lassen. Hagar gehört zu unseren heutigen Preisträgerinnen. Aber ihr Platz in unserer Mitte bleibt leer. Und das erfüllt uns mit tiefer Trauer. Sie verstarb im vergangenen Jahr, am 20. September, viel zu jung im Alter von nur 27 Jahren. Ihr Erbe ist ihre Kunst. Sie war eine talentierte Illustratorin mit großer Freude am Spiel mit Formen, Farben und Stilen. Mit ihrer Begeisterungsfähigkeit hat sie viele andere angesteckt. Wir sind sehr dankbar, dass Sie, liebe Frau und lieber Herr Bareket, heute im Namen Ihrer Tochter bei uns sind.

Im Jahr 2019 entwickelte ihre Tochter gemeinsam in einem Team aus deutschen und israelischen Grafikdesign-Studierenden eine Wanderausstellung mit Postern zu zwölf internationalen Konflikten – wir haben eben schon davon gehört. Mit Beispielen für Aussöhnung wie dem Elysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich. Aber auch mit Beispielen für fortbestehende Konflikte wie dem zwischen Israelis und Palästinensern. Die Ausstellung heißt „Negotiation matters“ – Verhandlung macht den Unterschied. Ich bin sicher, Shimon Peres hätte das sehr gefallen.

Denn Peres war Zeit seines Lebens immer der festen Überzeugung, dass beharrliche Diplomatie und der Austausch zwischen den Menschen den Unterschied machen, wenn es um die Lösung von Konflikten geht. Dass er damit Recht hatte, das zeigen zum Beispiel die Normalisierungen der Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten seit dem vergangenen Jahr. Wir haben es in Deutschland damals, und lieber Jeremy, du weißt das, als eine ganz besondere Geste empfunden, dass das erste Treffen der emiratischen und israelischen Außenminister nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen hier in Berlin stattgefunden hat. Und nicht nur hier in Berlin im Gästehaus des Außenministers – wir haben diesen Tag damals damit begonnen, dass wir gemeinsam mit dem arabischen Kollegen zum Holocaust-Mahnmal gegangen sind. Das war ganz sicherlich einer der beeindruckendsten Tage und der beeindruckendsten Erlebnisse, die ich ganz persönlich in den letzten Jahren hatte.

Aussöhnung für Frieden im Nahen Osten ist möglich. Das haben wir hier eben auch gehört. Für dauerhaften Frieden in der Region braucht es aber neue Gespräche – eben auch direkte – zwischen Israelis und Palästinensern über eine faire Zwei-Staaten-Lösung. Dafür setzen wir uns ein. Dafür glauben wir lohnt es sich weiterhin zu kämpfen und zu arbeiten, genauso wie es Shimon Peres bis zu seinem Lebensende getan hat.

Auch den weiteren Preisträgerinnen und Preisträgern vom Institut für Nationale Sicherheitsforschung, vom Shenkar College für Ingenieurswesen und Design sowie dem Goethe-Institut e.V. und der Universität der Künste Berlin gratuliere ich zu dieser wunderbaren Ausstellung – die mit dem Namen Hagars verbunden bleiben wird.

Das zweite Preisträgerprojekt “InterCare & Awareness” widmet sich einem häufig marginalisierten Thema – aber gerade darum ist es ja so wichtig. Es soll Personen mit Intergeschlechtlichkeit ermöglichen, mit psychosozialer Unterstützung den Weg zur Entfaltung der eigenen Identität zu finden. Auch das ist ein zentraler Wert unserer Demokratie. Die eigene Identität und der Respekt aller vor derselben. Und deshalb gratuliere den “Martin Buber Society of Fellows” der Hebrew University of Jerusalem sowie dem Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin & Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg- Eppendorf ganz herzlich. Sie haben hier Bemerkenswertes geleistet!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste,

“negotiation matters” – so könnte man auch die kommenden Wochen innenpolitisch in Deutschland überschreiben. Wir fangen jetzt mit drei Parteien an, und ich hoffe nicht, dass es jemals acht werden müssen. Im Übrigen, wenn man genau hingeschaut hat, in der alten Regierung sind wir auch zu dritt gewesen. Jetzt hoffe ich, dass das einigermaßen vernünftig über die Bühne geht. Auf jeden Fall hatte ich am Montag nach der Wahl einen Kontakt mit meinem israelischen Kollegen, Jair Lapid, der mir angeboten hat – für den Fall das es Probleme gibt –, dass er sich gerne zur Verfügung stellt. Denn er habe Erfahrung, wie man acht Parteien zusammenbringt, da sollte das bei dreien auch funktionieren.

Meine Damen und Herren,

aber völlig unabhängig davon wer Deutschland künftig regieren wird, kann ich Ihnen schon jetzt versichern: die Nähe und die Zusammenarbeit, die Freundschaft mit Israel bleibt eine immerwährende Konstante unseres Landes – völlig unabhängig davon, wer gerade regiert. Das macht eben einen Unterschied, und darauf können Sie sich verlassen.

Vielen Dank!

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