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„Polen und Deutschland - Gemeinsam Europas Zukunft gestalten“ - Rede von Bundesaußenminister Steinmeier
-- Es gilt das gesprochene Wort! --
Als mich Gesine Schwan vor einigen Monaten gefragt hat, ob ich heute bei der Eröffnung des Akademischen Jahres eine Rede halten möchte, habe ich spontan zugesagt.
Wie Sie wissen, liegt mir das Projekt der Viadrina sehr am Herzen. Die Viadrina-Universität ist ein phantastischer Erfolg. Sie zeigt, wie Begegnung und Zusammenarbeit in einem Europa der offenen Grenzen hervorragend funktioniert. Sie ist damit auch ein Glanzstück in den deutsch-polnischen Beziehungen.
Und vieles von diesem guten Ruf verdankt die Viadrina ihrer besonderen Präsidentin. Gesine, du bist nicht nur die wichtigste politisch umtriebige und wissenschaftliche anerkannte Sympathieträgerin dieser Universität. Du bist das Gesicht der Viadrina! 5100 Studenten aus 70 Nationen lernen und leben hier an der Grenze Deutschlands zu Polen, 1200 weitere gleich gegenüber am Collegium Polonicum. 34 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland - so international ist keine andere Universität in Deutschland aufgestellt.
Und wenn ich jetzt alle von Ihnen, die auf der polnischen Seite der Oder wohnen und in Frankfurt studieren oder arbeiten, auffordern würde, aufzustehen, würde das bestimmt eine größere Bewegung im Saal auslösen. Denn jeder vierte Student an dieser Universität stammt aus Polen.
Ich betone das deshalb, weil Sie, das Publikum hier im Saal, sozusagen das Sinnbild für die Botschaft meiner heutigen Rede sind. Sie demonstrieren hier in Frankfurt ganz konkret, warum Europa unsere gemeinsame Plattform und unsere gemeinsame Chance in einer globalisierten Welt ist.
Die Europäische Union ist die politische Antwort auf die Herausforderungen, die an unseren Kontinent im 21. Jahrhundert gestellt werden. Die europäische Einigung ist das weltweit einzigartige Modell für Frieden und Zusammenarbeit, bei dem 25 Nationen zentrale Bereiche ihrer Souveränität freiwillig abgegeben haben - und alle gemeinsam dadurch gewinnen. Hunger, Krieg und Vertreibung in Europa sind dank der EU dauerhaft beendet.
Das ist unsere gemeinsame Antwort auf zwei Weltkriege, bei denen Millionen unschuldiger Zivilisten und Soldaten umgekommen sind. Wir haben Völkerhass und Misstrauen in Europa überwunden, indem wir gemeinsame Interessen definiert und gebündelt haben - und in zentralen Bereichen gemeinsam handeln.
Ich sage dies ausdrücklich vor dem Hintergrund des aktuell verbesserungsfähigen und verbesserungsbedürftigen Zustands der deutsch-polnischen Beziehungen. Wir erleben gerade, welche langen Schatten die schrecklichen Kapitel der Vergangenheit im Verhältnis zwischen Polen und Deutschen noch immer werfen. Deutsche waren an der langen Leidensgeschichte Polens immer wieder als Täter beteiligt. Die Aussöhnung zwischen beiden Völkern vollzieht sich über die Gräber von Millionen unschuldiger Menschen hinweg.
Wir Deutsche wissen um die Verantwortung, die daraus erwächst. Die Bundesregierung steht zu ihren Zusagen und Verpflichtungen. Niemand, der irgendetwas zu sagen hat in meinem Land, denkt daran, die Geschichte umzuschreiben. Niemand denkt daran, die Geschichte rückgängig zu machen. Und mit Sicherheit wird niemand aus den Tätern die Opfer machen. Darum täten wir gut daran, wenn wir die eskalierende Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibung wieder auf den Boden der Initiative zurückführen, die die beiden Präsidenten Rau und Kwasniewski im Oktober 2003 gestartet haben, und die zur Bildung eines „Europäischen Netzwerkes Erinnerung und Solidarität“ geführt hat.
Ich verbinde dieses Bekenntnis mit einem dringenden Appell: Was Deutsche immer wieder den Polen angetan haben und was in der Folge davon auch Polen den Deutschen antaten, kann man nicht ungeschehen machen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass diese Kapitel der Geschichte weiter die Politik der Gegenwart bestimmen und eine gemeinsame Zukunft behindern. Die Bewältigung der Vergangenheit ist das gemeinsame Fundament guter und gedeihlicher deutsch-polnischer Beziehungen.
Noch wichtiger ist jedoch, dass wir jetzt nach vorne schauen. Streit über die Vergangenheit darf nicht dazu führen, dass wir die Zukunftschancen für diese und kommende Generationen verschenken. Polens Gegenwart und Zukunft liegen in Europa! Nicht nur, weil Polen das größte Land unter den mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten ist und weil es zu den sechs wichtigsten und bevölkerungsreichsten Völkern der EU gehört. Polen ist ein großartiges Land mit einer langen Geschichte und mit einer reichen Kultur. Mit seiner unbeugsamen Liebe zur Freiheit hat sich das polnische Volk im Geschichtsbuch des gemeinsamen Europa verewigt. Der Posener Aufstand, der Streik auf der Lenin-Werft, die Solidarnosc-Bewegung und der Sturz des kommunistischen Regimes 1989 - das alles sind Bilder, die die europäische Freiheitstradition symbolisieren und bereichern.
Dafür ist Europa den Polen nicht nur zu Respekt und Dank verpflichtet, nein: Dieser Respekt und Dank gegenüber den Menschen in Polen ist wirklich tief empfunden. Was ich damit sagen will: Polen ist nicht irgendeines von 25 Ländern in der Europäischen Union. Wenn Europa eine gute Zukunft haben soll, gehört dazu eine starke Stimme aus Polen.
Ich wünsche mir, dass die Regierung in Warschau die Chancen nutzt, die in der geografischen und politischen Bedeutung des Landes liegen. Ich wünsche mir, dass unsere polnischen Nachbarn kraftvoll und konstruktiv mit an der Zukunft unseres Kontinents und der EU arbeiten, dass sie den europäischen Karren mit ziehen helfen und nicht unzufrieden hinterherlaufen.
Zu einem guten Verhältnis unter Nachbarn gehört auch ein offenes Wort. Darum will ich sagen: Ja, manche Äußerungen und Handlungen der polnischen Regierung in den vergangenen Monaten waren irritierend. Ich weiß, dass dahinter auch Ängste und Misstrauen gegenüber Deutschland stehen. Einige in Polen fürchten offenbar, dass Berlin mit Hilfe der EU wieder eine dominierende Rolle in Europa spielen will. Ich möchte hier ausdrücklich noch einmal unterstreichen: Diese Ängste sind unbegründet.
Deutschlands Lehre aus zwei Weltkriegen ist eindeutig - und quer durch alle demokratischen Parteien tief verinnerlicht: Wir sehen unsere Zukunft eingebettet in einem Europa, in dem die Nationalstaaten ihre gemeinsamen Interessen verfolgen. Niemand kann in einem Europa der 25 und demnächst 27 Mitgliedsstaaten seine nationalen Interessen eins zu eins durchsetzen. Aber das ist auch nicht notwendig. Denn das tiefe Geheimnis der europäischen Einigung lautet: Wenn jeder sein eigenes Interesse ein Stück zurücknimmt und auf die gemeinsame Sache schaut, dann erwächst daraus auf mittlere und längere Sicht trotzdem ein Gewinn für alle Beteiligten.
Auch in Deutschland ist dieses Paradoxon nicht für jeden auf Anhieb verständlich. Viele Wählerinnen und Wähler kritisieren, dass wir Deutsche seit Jahrzehnten der größte Nettozahler in die EU-Kassen sind. Auch bei uns kann sich jeder Politiker einen leichten Beifall holen, wenn er auf Brüssel schimpft.
Und dennoch hat jede Bundesregierung, gleichgültig welcher Parteienkoalition, eine mutige EU-Politik verfolgt, bei der wir bereit waren, auch die Interessen der anderen gelten zu lassen und Konzessionen an die eigene Position zu machen.
Das trifft auch auf unsere Politik gegenüber Polen zu. Wir haben alles getan, um den zügigen Beitritt Polens und seiner Nachbarn zur EU und zur NATO zu ermöglichen. Und unser Engagement ist seit der EU-Osterweiterung, die für mich die Wiedervereinigung Europas bedeutet, keineswegs erlahmt. Ich erinnere an die Rolle, die Deutschland im vergangenen Dezember gespielt hat, als es um die EU-Finanzen für den Zeitraum von 2007 bis 2013 ging.
Unsere Partner in Europa können mit uns rechnen, weil wir das Zusammenwachsen Europas als unser Herzensprojekt ansehen. Politisch, weil wir damit die Lehre aus zwei Weltkriegen ziehen, und wirtschaftlich, weil wir genau wissen, dass die Menschen in Deutschland, wie in Polen und den anderen EU-Ländern, per Saldo zu den Gewinnern der europäischen Einigung zählen. Der Wohlstand der Menschen in Deutschland gründet ganz wesentlich darauf, dass wir unsere Waren und Produkte ohne Zölle und Grenzen an 450 Millionen Menschen in der EU verkaufen können. Zwei Drittel unserer Exporte gehen nicht nach Asien oder in die USA, sondern in die Staaten der Europäischen Union.
Auch der Beitritt Polens zur EU ist bereits jetzt für Polen und Deutschland ein großer Gewinn. Er schafft und sichert unzählige Arbeitsplätze in beiden Ländern. Schauen Sie nur auf den täglichen Menschenstrom nebenan auf der Brücke nach Slubice! Schauen Sie auf die Lkw-Schlangen an den Grenzübergängen zwischen beiden Ländern! Dort sehen wir den Aufschwung, von dem beide Länder profitieren. Auf der polnischen Seite stehen Lastwagen, die Waren aus Polen nach Deutschland bringen. Ein Viertel des polnischen Exports geht in unser Land. Und auf der hiesigen Seite von Oder und Neiße stehen Lkw mit Waren, die in Deutschland hergestellt, abgepackt oder umgeschlagen worden sind. Der deutsche Maschinenbau hat volle Auftragsbücher, die Arbeitnehmer in dieser Branche schieben Überstunden - unter anderem, weil polnische Unternehmen sich mit diesen Produkten modernisieren und auf Weltniveau bringen.
Polen profitiert sogar doppelt von Europa. Der EU-Beitritt hat nicht nur neues Kapital ins Land gebracht und unglaubliche Exportmöglichkeiten bis Irland und Portugal geschaffen. Zugleich wird die polnische Infrastruktur mit finanzieller Unterstützung aus den 24 anderen EU-Staaten erneuert. Und auch die Stimmung der polnischen Landwirte hat sich dank der EU-Zahlungen aus Brüssel deutlich verbessert.
Aus all diesen Argumenten ergibt sich eine klare Schlussfolgerung: Für Polen ist die Integration in die EU und sein Selbstverständnis als konstruktiver Partner die strategische Zukunftsfrage - im wohlverstandenen Eigeninteresse. Und dieses Interesse trifft sich mit dem aller Europäer. Wir müssen alle miteinander begreifen: Polen braucht Europa - aber Europa braucht auch Polen.
Es wäre wie ein Turbo für die deutsch-polnischen und europäisch-polnischen Beziehungen, wenn wir diese Erkenntnis zur Leitmaxime für unser gemeinsames Handeln machen. Das sage ich nicht nur mit Blick auf die EU-Präsidentschaft, die Deutschland am 1. Januar 2007 für sechs Monate übernimmt. Denn auch über dieses kurze Zeitfenster hinaus gilt, dass wir Europäer unsere Freiheit und unseren Wohlstand nur sichern können, wenn wir in zentralen Bereichen mutig und leidenschaftlich an einem Strang ziehen.
Ich will das an vier Punkten deutlich machen. Erstens: Wenn wir unser europäisches Lebens- und Gesellschaftsmodell im Zeitalter der Globalisierung bewahren wollen, brauchen wir dafür eine starke und dynamische Wirtschaft. Und wir brauchen soziale Perspektiven, die den Menschen deutlich machen, dass eine globalisierte Wirtschaft sie nicht zu Verlierern macht. Zweitens zeigen uns die Bedrohungen durch Terrorismus und grenzüberschreitende Kriminalität: Wir können die innere Sicherheit für die Menschen in Europa nur im engen Schulterschluss gewährleisten. Drittens muss Europa sich gemeinsam um die Stabilisierung seiner Nachbarregionen kümmern und sich überall in der Welt mit starker Stimme für Frieden, Demokratie und Marktwirtschaft einsetzen. Und viertens brauchen wir die gemeinsame Anstrengung für die ökologische Zukunft unseres Planeten. Wenn demnächst vier Milliarden Menschen sich einen eigenen Wohlstand erarbeiten, werden Klimaschutz und eine intelligente Ausnutzung von Energie und Ressourcen zu zentralen Fragen. Davon hängt ab, ob auch unsere Kinder und Enkel noch so friedlich und sicher leben können wie wir.
Diese Fragen stehen auch im Zentrum der deutschen EU-Präsidentschaft. Wir wollen die deutsche EU-Präsidentschaft im Interesse Europas zu einem Erfolg machen. Und ich sage es ganz unumwunden: Dafür brauchen wir die Unterstützung der anderen Mitgliedstaaten - besonders auch von Polen. Ich wünsche mir darum, dass wir unsere geplanten Vorhaben, die ich gleich erläutern will, Seite an Seite auch mit Polen voranbringen können. Dafür spricht, dass viele Themen, die im nächsten Jahr anstehen, die Interessen Polens ganz unmittelbar und besonders berühren. Deshalb, weil drei Themen auf uns zukommen, die sich gleichzeitig der Schaffung stabiler Verhältnisse, demokratischer Gesellschaften und moderner Ökonomien jenseits der heutigen Ostgrenzen der EU verpflichtet sehen.
Zum einen geht es um die sogenannte europäische Nachbarschaftspolitik. Sie wissen, dass für die Länder jenseits der heutigen Ostgrenze der EU eine EU-Mitgliedschaft gegenwärtig nicht in Sicht ist. Aber wir dürfen die Kräfte, die sich in diesen Ländern für Demokratie und Marktwirtschaft einsetzen, nicht enttäuschen. Die EU muss attraktive und glaubwürdige Angebote für diese Länder erarbeiten. Ich wünsche mir, dass Polen diese Politik ganz entscheidend mitgestaltet. Wir alle sind der Überzeugung: Europa hört an der Ostgrenze Polens nicht auf!
Zweitens läuft das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland aus und muss neu verhandelt werden. Alle wissen, dass das nicht einfach wird. Aber ich sage: Wir müssen ein Interesse daran haben, dass sich Russland auf Basis der europäischen Werte und unter Berücksichtigung eigener Traditionen demokratisch weiterentwickelt. Wir müssen ein Interesse daran haben, Russland unumkehrbar an Europa zu binden - ausdrücklich auch ein politisches Interesse. Deshalb sollten wir die Neuverhandlungen offen und mit Ehrgeiz angehen. In einer fairen Partnerschaft zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und Russland stecken Chancen für beide Seiten. Und wir sollten unsere ganze Phantasie nicht auf Fragen der Energiepolitik beschränken - wenngleich auch die dazugehört. Stichworte wie Rapallo und Hitler-Stalin-Pakt gehören jedenfalls nicht in eine solche Debatte. Solche Stichworte wecken Ängste und schüren Ressentiments. Sie haben mit europäischer und deutscher Realität nichts zu tun. Das Zeitalter der europäischen Nationalstaaten, die sich Kriege um Landgewinn geliefert haben, ist vorbei. Diesmal handelt und verhandelt ein geeintes Europa, das aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt hat. Und diesmal wird niemand über die Köpfe der Polen hinweg Entscheidungen treffen. Denn Polen sitzt als Teil der Europäischen Union mit am Verhandlungstisch.
In einem dritten Aspekt greift europäische Politik aber noch über Russland hinaus. Wir werden unser Augenmerk auch auf die strategisch bedeutsame zentralasiatische Region richten müssen. Dabei geht es um Energie, Wirtschaftsbeziehungen, politischen Dialog und kulturellen Austausch. Ziel ist eine erste, vielleicht noch bescheidene Zentralasien-Strategie der EU. Wir dürfen diese Region nicht vernachlässigen, sondern müssen sie langfristig als Partner Europas einbinden.
Im nächsten Jahr entscheidet sich auch, ob das starke Europa, das wir alle brauchen, mit funktionsfähigen und zukunftsfesten Institutionen ausgestattet wird. Im Juni 2007 entscheiden die Staats- und Regierungschefs der EU, wie es mit der Europäischen Verfassung weiter geht. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat den Auftrag, mit den EU-Staaten darüber zu reden und einen Vorschlag zu unterbreiten.
Meine Überzeugung lautet: Wir müssen die politische Substanz der Verfassung erhalten. Mit der Verfassung würde die europäische Union demokratischer, transparenter und effizienter. Vieles, was an der heutigen EU zu Recht kritisiert wird, soll durch die Verfassung besser werden. Die Fortschritte, die die Verfassung enthält, sind schon für die heutige EU unabdingbar. Aber sie sind erst recht notwendig, wenn die EU in Zukunft weitere Länder aufnehmen will.
Ich hoffe deshalb, dass die polnische Regierung diese Argumente nochmals sorgfältig prüft, gerade weil ich die besonderen Bedenken in Polen kenne. Die Verfassung schreibt ausdrücklich fest, dass die EU die nationale Identität der Mitgliedstaaten achtet. Und damit dies keine leere Floskel bleibt, sieht die Verfassung auch konkrete Schritte in diese Richtung vor. Die Rolle der nationalen Parlamente wird zum Beispiel deutlich gestärkt, nationale und europäische Kompetenzen werden deutlich voneinander abgegrenzt. Dadurch und durch die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips soll sichergestellt werden, dass sich die EU auf das Wesentliche konzentriert.
Am Ende der deutschen Präsidentschaft wird noch kein endgültiges Ergebnis stehen. Aber wir werden die Weichen für die weitere Entwicklung bis zu den Wahlen zum Europarlament 2009 stellen. Ich wünsche mir, dass Polen die Chance erkennt, die darin liegt, diese Entwicklung aktiv zu begleiten. Ich bin sicher: Wenn Polen sich in dieser Frage konstruktiv engagiert, wird das in ganz Europa als Signal verstanden, dass Polen nicht nur Mitglied der EU sein, sondern tatsächlich mit Kopf und Herz in den Institutionen der Europäischen Union angekommen ist.
Polen und Deutschland haben der EU gemeinsam viel zu geben. Wir sollten versuchen, nicht nur über das Trennende, sondern vor allem über das Gemeinsame zu reden. Ein enges Verhältnis zur Ukraine liegt im Interesse unserer beiden Länder. Warum stärken wir also nicht gemeinsam die demokratischen Kräfte in der Ukraine - von der Politik über die Wirtschaft und Wissenschaft bis zur Kultur? Warum arbeiten wir nicht gemeinsam daran, ein zukunftsfestes System für die EU-Agrarsubventionen zu schaffen? Und warum setzen wir uns nicht zusammen und erarbeiten Perspektiven für gemeinsame Steuern und ökologische Standards in Europa? Ich wiederhole es: Polen braucht Europa, und Europa braucht Polen.
Gestatten Sie mir zum Schluss aber auch noch einige Bemerkungen zum bilateralen deutsch-polnischen Verhältnis. Denn Deutschland und Polen sind gemeinsame Partner der europäischen Familie, aber wir haben auch zu zweit noch eine Menge zu besprechen und zu verbessern.
Das bedeutet nicht, dass es gute Gründe gibt, auf das Erreichte stolz zu sein. Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft sind eindrucksvoll zusammengewachsen. Ich meine diese aufblühende Viadrina-Universität, gemeinsame Nationalparks, 600 deutsch-polnische Städtepartnerschaften, und die Liste solcher Beispiele lässt sich noch erheblich verlängern. Aber ich habe auch den Eindruck, dass zuletzt in den deutsch-polnischen Beziehungen manches vom Schwung der ersten Jahre nach 1990 wieder verloren gegangen ist. Ich wünsche mir, dass wir gerade auch auf den vermeintlich kleinen Feldern neue Impulse setzen und uns verabreden, noch einmal neu durchzustarten. Ich möchte dafür mindestens einige Anregungen geben.
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit ist es erstmals gelungen, ein gemeinsames deutsch-französisches Geschichtsbuch herauszubringen, das in den Schulen beider Länder verwendet wird. Vielleicht ist es auch nicht unmöglich, mittelfristig auch ein gemeinsames deutsch-polnisches Geschichtsbuch zu erarbeiten, das uns hilft, uns gegenseitig besser zu verstehen. Mit diesem Projekt könnten wir Deutsche deutlich machen, dass wir offen sind für polnische Sichtweisen auf die Geschichte. Ich bin sicher, dass viele Deutsche es als Bereicherung empfinden, diese Sichtweisen besser kennen zu lernen und mehr aus der polnischen Geschichte zu erfahren.
Das Georg Eckert-Institut für Schulbuchforschung in Braunschweig hat uns kürzlich wissen lassen, dass die Arbeit der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission im Alltag schon Wirkung entfaltet hat und dazu beiträgt, Defizite in der Kenntnis des anderen Landes abzubauen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass zum Beispiel die Viadrina bei der Erarbeitung eines solchen Werkes eine wichtige Rolle spielen könnte. Sie, meine Damen und Herren, sollten sich ruhig aufgefordert sehen, sich hierüber Gedanken zu machen.
Das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das ebenfalls auf Beispielen aus der deutsch-französischen Aussöhnung aufbaut, ist für mich von großer Bedeutung. Seit seiner Gründung im Jahr 1993 haben fast 1,5 Millionen Jugendliche aus beiden Ländern an diesen Programmen teilgenommen. Welchen Einfluss das auf die Verständigung zwischen beiden Völkern hat, ist uns allen klar. Ich wünsche mir, dass beide Regierungen nicht nachlassen, die Arbeit des Jugendwerkes zu fördern und möglichst noch auszubauen. Bei der Verständigung zwischen unseren beiden Völkern müssen wir strategisch auf die Jugend und die nächste Generation setzen - so wie das hier an der Viadrina-Universität deutlich wird. Lassen Sie uns deshalb auch über die Probleme beim Lehreraustausch reden. Manche Bundesländer wollen wieder Stellen für Austauschlehrer streichen, weil bislang nicht genügend Lehrer aus Polen nach Deutschland kamen. Wenn wir unsere Politik der Verständigung ernst nehmen - und das setze ich voraus - dann dürfen wir bei solchen Entwicklungen nicht tatenlos zuschauen. Und vielleicht könnten wir bei dieser Gelegenheit ja auch einmal darüber diskutieren, warum es bis heute kein deutsch-polnisches Gymnasium in Berlin gibt.
Mit diesen kleinen Ideen will ich deutlich machen: Verständigung ist kein Projekt nur für politische Eliten, aber sie sind als Vorbilder gefordert. Gehen wir also mit gutem Beispiel voran und überwinden die Phase der Sprachlosigkeit mit einem neuen, positiven Geist - am besten schon in wenigen Tagen beim Treffen der deutschen und polnischen Regierung in Berlin.
Der damalige polnische Außenminister Bartoszewski hat 1995 in einer großen Rede im Bundestag erklärt: „Wir müssen möglichst schnell jene Zeit aufholen, die durch Misstrauen, Verachtung, Feindschaft und Krieg verloren gegangen ist“. Und er fügte hinzu: „So verstehe ich den Sendungsauftrag des heutigen demokratischen Polen, seiner Regierung und meinen eigenen Auftrag gegenüber Deutschland.“ Ich finde: Das ist ein hervorragendes Plädoyer auch für die Aufgaben, die vor uns liegen. Es ist Zeit, dass wir alle den Blick nach vorne richten und gemeinsam anpacken. Damit erfüllen wir den Wunsch der meisten Menschen - und gerade auch der jungen Menschen wie hier in der Viadrina - in deren Namen wir Politik machen.
Der 25. März 2007 ist für mich ein Datum, das mich auch mit Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen und mit Blick auf Perspektiven für junge Menschen in Europa fasziniert. An diesem Tag feiert die EU in Berlin ihren 50. Geburtstag. Bei der Gründung der EU konnte Polen noch nicht dabei sein. Auch dank des Freiheitswillens des polnischen Volkes ist die Spaltung des europäischen Kontinents heute überwunden. Das polnische Volk hat sich seinen Weg nach Europa erkämpft. Jetzt kommt es darauf an, Europa aktiv mitzugestalten.