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Rede von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Deutschen Bundestag zu deutscher Beteiligung an Operation Enduring Freedom, 8. November 2007
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten!
Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei einem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanistans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode gekommen sind. Unter den Opfern waren – Sie wissen es – sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl ausspreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wünsche.
Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf einen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afghanistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghanischen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelungenes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wiederaufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als 2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die Zuckerfabrik in Baghlan.
Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Ereignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalistischen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt, denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan zu stellen hat. Bevor Sie es gleich sagen, will ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln.
Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal – damals unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New York und Washington – hier im Deutschen Bundestag ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz aller Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terrorismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist keineswegs gebannt.
Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der Schwerpunkt lag und – das darf ich gerade aufgrund der Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten Tagen sagen – liegt immer stärker auf dem zivilen Wiederaufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungshelfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater, Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz wird inzwischen von der internationalen Staatengemeinschaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt und in gleicher Weise dort umgesetzt.
Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unseres Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engagement neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Polizei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon einmal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausgebaut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000 auf 10 000 halbiert.
Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis nehmen, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Deshalb können wir – auch wenn sich viele das wünschen – auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mission in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwendig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Terrorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter verstärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern – auch mit den USA – prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zukunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusammengezogen werden können.
Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen, an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht. Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unseren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Veränderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, sondern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten – Sie wissen das – sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich – wir werden darauf achten – konsequent umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv – ich hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afghanistan-Politik; Sie kennen es – lautet, sich weder kopflos rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afghanistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einnehmen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine Überprüfung des Afghanistan Compact – damit meine ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen Anteile – im Rahmen einer Konferenz in Europa – und falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland – in der nächsten Zeit vornehmen.
Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheitsrat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die Mandatierung des OEF-Einsatzes – oder zunächst nur Teile davon – durch einen eigenen Beschluss des Sicherheitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern darüber sprechen – sprechen müssen, meine Damen und Herren.
Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats. Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen, eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu erwirken.