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„Militärische Einsätze müssen die große Ausnahme bleiben“
Außenminmister Guido Westerwelle im Interview über den Bürgerkrieg in Syrien und über die deutsche Rüstungsexport-Politik. Erschienen im Spiegel vom 21.05.2013.
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Herr Westerwelle, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder der Massaker sehen, die in Syrien fast täglich stattfinden?
Ich empfinde vor allen Dingen Mitgefühl mit den Menschen. Wenn man wie ich in einem Flüchtlingslager war, hat das, was man in den Nachrichten sieht und liest, ein ganz persönliches Gesicht.
Mitgefühl dürfte fast jeder Deutsche empfinden. Sie sind der Außenminister, Sie könnten handeln. Warum geschieht so wenig?
Es geschieht viel, aber bislang hat das, was wir tun, keinen Frieden gebracht. Als Außenminister darf ich mich dennoch nicht alleine von Gefühlen leiten lassen. Ein Flächenbrand in der gesamten Region muss verhindert werden.
Was spricht dafür, dass Ihre Strategie künftig erfolgreicher sein wird?
Die USA und Russland haben eine gemeinsame internationale Konferenz zu Syrien angekündigt. Das eröffnet eine neue Chance für eine politische Lösung. Dauerhaften Frieden und Stabilität wird es nicht durch eine militärische Lösung geben.
Der Westen sucht seit zwei Jahren ohne Erfolg eine politische Lösung. Inzwischen sind 80.000 Tote zu beklagen. Gibt es in der Außenpolitik so etwas wie eine Unterlassungssünde?
Es gibt in Syrien keinen leichten Weg. Dennoch muss versucht werden, die Grundlagen für einen politischen Prozess zu schaffen, der langfristig Stabilität und Frieden bringen kann. Im Übrigen äußere ich sowohl in direkten Gesprächen als auch öffentlich meine Enttäuschung über das Verhalten Russlands und Chinas im UNO-Sicherheitsrat.
Andere sind weniger skrupulös, was Waffenlieferungen angeht. Russland und Iran liefern Militärgüter an Assad und seine Verbündeten, Saudi-Arabien und Katar unterstützen die islamistischen Rebellen. Warum lässt der Westen die gemäßigte Opposition im Stich?
Wir unterstützen die gemäßigte Opposition in vielfältiger Weise. Wir unterstützen sie dabei, in den von ihr kontrollierten Gebieten den Wiederaufbau voranzubringen. Wir helfen bei der Behandlung von Schwerstverletzten, die wir ausgeflogen haben und hier in Deutschland behandeln. Deutschland ist eines der größten Geberländer von Hilfe.
Die Opposition wünscht sich Waffen.
Wir müssen zwei Fragen beantworten: Werden weniger Menschen sterben, wenn mehr Waffen nach Syrien geliefert werden? Und kann sichergestellt werden, dass diese Waffen nicht in den Händen von Extremisten, Terroristen und Gotteskriegern landen, für die Damaskus nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Jerusalem ist?
Diese Kräfte sind längst bewaffnet.
Angenommen ein modernes Flugabwehrsystem gelänge in die Hände von antisemitischem Dschihadisten oder einer terroristischen Gruppe wie den Nusra-Brigaden. Was würde das für die zivile Luftfahrt in der Region bedeuten, was für Israels Sicherheit? Es gibt auf die Frage der Waffenlieferung keine einfachen Antworten.
Frankreich und Großbritannien beantworten diese Frage mittlerweile anders als Deutschland.
Ich respektiere das, weil ich die Motive nachvollziehen kann. Wenn unsere Freunde bei ihrer Haltung bleiben, wird das Waffenembargo der EU in diesem Monat auslaufen. Dann müssen wir dafür sorgen, dass das Sanktionspaket in anderer Hinsicht gegen das Regime weiter gilt.
Können Sie sich vorstellen, Waffenlieferungen zuzustimmen, wenn sich die Situation in Syrien weiter verschärft? Haben Sie rote Linien?
Ich ziehe keinen roten Linien und ich sage auch nicht: Alle Optionen sind auf dem Tisch. Aber der Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen gleich von welcher Seite würde eine völlig andere internationale Betrachtungsweise nach sich ziehen.
Also hat die Bundesregierung keinen Hinweis auf den Einsatz von chemischen Waffen? Andere Ländern behaupten ja, sie hätten diese Hinweise.
Bis zur Stunde, da wir dieses Gespräch führen, haben wir keine eigenen Erkenntnisse über den Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen. Ich habe die Partner, die sagen, sie hätten Erkenntnisse, gebeten, alles, was an Fakten und Erkenntnissen vorliegt, den Vereinten Nationen und auch uns zur Verfügung zu stellen.
Sie haben noch in der Opposition gegen die deutsche Beteiligung an der Unifil-Mission vor der libanesischen Küste gestimmt. Sie haben es abgelehnt, die Bundeswehr im Kampf gegen den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi einzusetzen. Unter welchen Bedingungen würden Sie überhaupt einen Auslandseinsatz deutscher Soldaten befürworten?
Der Unifil-Einsatz war etwas völlig anderes als der Kampfeinsatz in Libyen. Die Lage in Syrien ist wieder ganz anders, als sie in Libyen war. Mit anderen Worten: Man braucht Prinzipien, aber die Entscheidung ist immer auch eine Einzelfallabwägung.
Was sind Ihre Prinzipien?
Das wichtigste Prinzip ist die Kultur der militärischen Zurückhaltung. Das heißt, wir geben politischen und diplomatischen Lösungen Vorrang. Das bedeutet nicht, dass wir nicht wüssten, dass gelegentlich politische Lösungen militärisch unterstützt oder begleitet werden müssen. Im Sinne einer präventiven Sicherheitspolitik setzen wir außerdem auf Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung. Auch wenn das zu Beginn meiner Amtszeit noch als idealistisches Steckenpferd verspottet wurde, ist es dringlich, wie wir heute alle sehen.
Die rot-grüne Vorgängerregierung war also zu schnell bereit, sich an militärischen Aktionen zu beteiligen, etwa im Kosovo oder in Afghanistan?
Beiden Einsätzen habe ich auch zugestimmt. Aber man muss aus dem, was im letzten Jahrzehnt geschehen ist, lernen. Eine politische Lösung hätte vermutlich schon viel früher nach Beginn des Afghanistan-Einsatzes versucht werden müssen. Und wir müssen mit realistischen Erwartungen in solche Einsätze gehen. Man hatte eine Zeitlang den Eindruck, in Afghanistan solle eine Art Schweiz Zentralasiens geschaffen werden. Das war unrealistisch.
Also werden wir künftig auch eingreifen, wenn wir wissen, dass wir Stabilität und Demokratie nicht erreichen können?
Militärische Einsätze sind keine demokratische Entwicklungshilfe, sondern sie sollen Gefahren abwehren: Gefahren für unsere Sicherheit, oder Gefahren für bestimmte Ethnien oder Religionsgruppen in einem Land. Und natürlich nehmen wir durch das Militär auch unsere eigenen Interessen wahr. Anderes zu behaupten wäre naiv.
Sie haben mal angedeutet, dass Ihr Bekenntnis zu einer Kultur der militärischen Zurückhaltung biografische Gründe hat.
Ich wurde 1961 geboren. Der Krieg war bei uns zu Hause noch präsent, es wurde darüber geredet. Mein Vater hat selber nicht mehr kämpfen müssen, aber Gräben ausgehoben. Mein Onkel, der einige Jahre älter war, hat die Front erlebt. Die Familienbilder aus dem Krieg wurden gelegentlich betrachtet. Und ich erinnere mich daran, dass mein Onkel, dieser starke Mann, Tränen in den Augen hatte, wenn wir sie ansahen. Das hat mich damals sehr beschäftigt.
Diese Erfahrungen haben Sie dauerhaft geprägt?
Mich hat das nicht losgelassen. Die Tatsache, dass man selber den Krieg nicht mehr erlebt hat, heißt ja nicht, dass man seine Folgen nicht wahrgenommen hätte.
Was heißt das für Ihre Politik?
Militärische Einsätze dürfen kein normales Mittel der Politik sein, sondern müssen die große Ausnahme bleiben. Ich möchte als Minister lieber dafür kritisiert werden, gründlich abzuwägen, gelegentlich auch zu zweifeln, als dass ich mir vorwerfen lassen müsste, ich schickte deutsche Soldaten leichtfertig in Einsätze.
Gerade im Ausland hört man oft den Vorwurf, die Deutschen versteckten sich hinter ihrer Vergangenheit. Sie müssten auch im militärischen endlich Führung zeigen.
Ich lese manchmal, die deutsche Demokratie müsse endlich erwachsen werden. Ich sehe kein Zeichen der Reife darin, dass wir militärische Einsätze als etwas Normales betrachten. Das heißt nicht, dass ich naiv bin. Ich war nie Mitglied der Friedensbewegung oder Pazifist und bin auch nie vor einer Kaserne weggetragen worden. Vielleicht muss ich auch deswegen heute nichts kompensieren.
Es gibt ja noch eine andere Lehre aus diesem Krieg, nämlich dass Deutschland von einer Diktatur befreit worden ist, weil andere dafür gekämpft haben und ihr Leben verloren haben.
Genau, das „Nie wieder“ geht in beide Richtungen. Deswegen kann man immer nur Regeln und Prinzipien beschreiben und muss dann in einer konkreten Lage entscheiden.#
Auslandseinsätze sind bei der Bevölkerung unpopulär. Ist die Kultur der militärischen Zurückhaltung nicht eine Form von Populismus?
Wenn Sie das so sehen wollen, ist das eben so. Aber mit Blick auf meine durchgehende Haltung in 30 Jahren in der Politik finde ich diesen Vorwurf nicht fundiert. Ich wehre mich gegen jede Form der Gewöhnung an Auslandseinsätze.
Die Bundeskanzlerin will Auslandseinsätze auch dadurch vermeiden, dass Deutschland seine strategischen Partner in Krisenregionen befähigt, für Stabilität zu sorgen. Im Klartext: Sie will ihnen Waffen liefern. Finden Sie diese Strategie richtig?
Diese angebliche Merkel-Doktrin gibt es nicht.
Die Kanzlerin selbst hat es so formuliert.
Wir betreiben eine restriktive Rüstungsexportpolitik, und wir setzen auf Abrüstung. Der Anteil der Rüstungsexporte an den Gesamtexporten war zum Beispiel im Jahr 2011 so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Dank Ihrer restriktiven Exportpolitik ist Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt.
Sie wissen, dass diese Zahlen und Ranglisten umstritten sind. Und man muss sich doch genau anschauen, was wirklich geliefert wird. Bei den Ausfuhren nach Saudi-Arabien zum Beispiel sind ein erheblicher Teil Lieferungen für ein Grenzsicherungssystem. Wir helfen einem wichtigen Partner in der Region, sich gegen das Einsickern von Terroristen aus dem Jemen zu schützen.
Saudi-Arabien unterstützt fundamentalistische Bewegungen in der ganzen Welt. Trotzdem soll es deutsche Panzer bekommen. Katar hat bereits 62 Leopard-Panzer und 24 Panzerhaubitzen gekauft. Sind diese Länder so demokratisch, dass wir ihnen Waffen liefern sollten?
Wir liefern nicht nur an demokratische Mitglieder der Nato Waffen. Wir müssen auch die Sicherheitsaspekte anderer Partner und Verbündeter und der gesamten Region berücksichtigen. Auch hier gilt: Jeder Einzelfall ist anders und wird gesondert und verantwortungsbewusst entschieden.
Sollte man darüber nicht öffentlich debattieren können? Die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim.
Das muss auch so bleiben, weil dort sehr heikle Sicherheitsfragen besprochen werden. Aber Sie haben Recht, die Situation ist unbefriedigend. Gelegentlich sickert eben doch etwas heraus, zum Beispiel über die beteiligten Firmen. Dann wollen Öffentlichkeit und Parlament informiert werden, aber wir können nicht offen argumentieren, weil wir zur Geheimhaltung verpflichtet sind.
Und wie wollen Sie das Dilemma auflösen?
Wir müssen transparenter werden. Das heißt, dass die Rüstungsexportberichte künftig schneller nach den jeweiligen Entscheidungen veröffentlicht werden sollten.
Wie schnell?
Darüber müssen wir mit dem Parlament reden.
Das Parlament würde dann aber immer noch vor vollendete Tatsachen gestellt.
Wir sollten ein parlamentarisches Gremium einrichten, wo zwischen den Abgeordneten der Fraktionen und der Regierung alles besprochen werden kann. Dieses Gremium müsste wegen der hochsensiblen Sicherheitsfragen ebenfalls geheim tagen, ähnlich wie es das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste auch tut. Wir müssen uns weiterentwickeln, das ist die Lehre, die ich in diesem Bereich aus fast vier Jahren als Außenminister gezogen habe.
Herr Westerwelle, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Fragen: Christiane Hoffmann und Ralf Neukirch. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Spiegel.