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„Die Lage ist hochgefährlich“
Im Gespräch mit dem FOCUS sprach Außenminister Westerwelle unter anderem über die aktuelle Lage in Ägypten, den Syrien-Konflikt, den Nahost-Friedensprozess und die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Ägypten steht am Rande eines Bürgerkriegs. Nach seinem Coup bekämpft das Militär die islamistischen, aber demokratisch gewählten Muslimbrüder. Auf welche Seite sollen sich da Deutschland und die EU stellen?
Wir stehen nicht auf der Seite einer politischen Kraft. Wir stellen uns auf die Seite der Menschen, die auf Freiheit und demokratische Werte setzen und die eine offene Gesellschaft wollen. Die Zukunft Ägyptens wird von den Ägyptern bestimmt. Das alles ist ein Prozess, der noch andauert. Wir erleben die ersten fünf Minuten einer historischen Stunde. Die Lage ist extrem besorgniserregend.
Wie gefährlich schätzen Sie die Lage in Ägypten ein?
Die augenblickliche Lage ist hoch gefährlich. Ein ganze Gesellschaft von mehr als 80 Millionen Menschen ist von der Eskalation der Gewalt bedroht.
Welche Auswirkungen hätte ein Bürgerkrieg in Ägypten auf die Region? Fliegt jetzt der ganze Nahe Osten in die Luft?
Ägypten ist ein Schlüsselland der Region. Was dort passiert, hat unmittelbar Auswirkungen anderswo. In welchem Maße, hängt sehr von der weiteren Entwicklung ab.
Was würde ein anhaltender Konflikt für Europa bedeuten?
Wichtig ist eine enge Abstimmung, und wichtig ist eine geschlossene klare Antwort auf die Ereignisse. Wir reden hier als Europäer über unsere Nachbarschaft.
Wäre es nicht jetzt nicht eine versöhnliche und deeskalierende Geste, Mursi freizulassen?
Die Rückkehr zu einer guten Entwicklung muss die Einhaltung von Recht und Gesetz einschließen. Diesen Maßstab werden wir auch an den Umgang mit inhaftierten Personen anlegen. Wir wenden uns gegen selektive Justiz.
Ist es an der Zeit einzugestehen, dass doch ein Militärputsch stattgefunden hat?
Wir werden das alles erst abschließend bewerten, wenn wir die weitere Entwicklung kennen. Das hängt auch davon ab, ob die unterschiedlichen politischen Kräfte die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und zu Wahlen vorbereiten, an denen alle teilnehmen können. Wir rufen alle politischen Kräfte dazu auf, zum Gespräch und zu Verhandlungen zurückzukehren, um eine weitere Eskalation der Gewalt zu vermeiden. Die christliche Minderheit in Ägypten braucht Schutz und muss vor Übergriffen geschützt werden.
Deutsche Außenpolitik war in Ägypten bislang sehr angesehen. Aber bei ihrer jüngsten Reise durften Sie Mursi nicht sehen und nach ihrem Besuch hieß es, man verbitte sich Einmischung. Warum hat sich die deutsche Position verschlechtert?
Die große Mehrheit der Besonnenen begrüßt unsere diplomatischen Bemühungen. Dass es Kritik von den Extremen beider Seiten gibt, ist nachvollziehbar. Ich bin nicht nur von Deutschland aus, sondern in Ägypten selbst öffentlich für die religiöse Pluralität und Gleichberechtigung von Mann und Frau eingetreten. Das ist für manchen mit fundamental-islamistischem Hintergrund schwere Kost. So wie das klare Bekenntnis zur Herrschaft des Rechts und zu Demokratie schwere Kost ist für jene, die ein autokratisches System wieder auferstehen lassen wollen.
Müssen die Waffenlieferungen an Ägypten jetzt eingestellt werden?
Was uns betrifft, so ist unsere Rüstungsexportpolitik ohnehin restriktiv. Und das wird so bleiben, gerade mit Blick auf diese aktuellen Entwicklungen.
Wann ist der Punkt erreicht, wo Sie sagen, der Westen kann Ägypten keine Finanzhilfen mehr geben?
Was passiert ist, kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Aber es wäre nicht klug, wenn ich dazu etwas ankündigen würde, solange die Dinge im Fluss sind. Wir stimmen uns sehr eng mit unseren Verbündeten und Partnern ab in dieser Frage.
Wie sicher sind die deutschen Touristen?
Angesichts dieser Lage kann von Reisen nach Ägypten nur abgeraten werden. Die Reisehinweise des Auswärtigen Amts werden laufend aktualisiert. Ich kann nur jedem empfehlen, sich aktuell zu informieren und die Hinweise sehr ernst zu nehmen.
Die Rebellionen in Arabien haben Ihre Amtszeit begleitet. Fast 50 Mal sind Sie in den Nahen Osten gereist. Frustriert es Sie zu sehen, dass jetzt in Gewalt mündet, was vor Jahren so hoffnungsvoll begann?
Ich spreche seit einiger Zeit nicht vom arabischen Frühling, sondern von den arabischen Jahreszeiten. In einigen Ländern sehe ich immer noch Fortschritte und in Bezug auf andere Länder bin ich nicht nur besorgt, sondern auch traurig, weil ich als Zeitzeuge der ersten Stunde gehofft habe, dass den Menschen viel Leid erspart geblieben wäre.
In Syrien spielt sich vor den Augen der Welt eine humanitäre Tragödie ab. Muss sich der Westen nicht eines Tages vorwerfen lassen, nicht genug getan zu haben? Russland und der Iran haben wenig Skrupel, Waffen zu liefern.
Ich glaube nicht, dass weniger Menschen sterben, wenn mehr Waffen nach Syrien geliefert werden. Wir unterstützen nur die Kräfte, mit denen wir eine gemeinsame Wertebasis haben. Die Tatsache, dass ein Terrorist von Al-Nusra gegen Assad kämpft, macht ihn nicht zu unserem Freund. Für diese Leute ist Damaskus nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Jerusalem. Das ist auch eine Bedrohung für unsere offenen Gesellschaften in Europa. Deswegen bleibe ich bei dieser abgewogenen Haltung. Dass sich die internationale Gemeinschaft den Vorwurf gefallen lassen muss, in einer historischen Phase nicht ausreichend handlungsfähig gewesen zu sein, ist wahr. Aber das liegt natürlich an der Blockadehaltung von Russland und China im UN-Sicherheitsrat.
Ist das eine Ohnmacht des Westens, die wir da sehen?
Es ist eine Ohnmacht der Weltgemeinschaft. Das ist eine unbefriedigende Situation, mit der wir uns nicht abfinden können.
Wie könnte eine Lösung des Syrienkonflikts aussehen?
Gerade in einem Land wie Syrien kann keine militärische, sondern nur eine politische Lösung dauerhaften Frieden und Stabilität bringen. Denn das Land ist in verschiedene ethnische und religiöse Gruppen aufgeteilt.
Würden Sie die Autonomiebestrebungen der Kurden unterstützen?
Es geht doch genau darum, dass Grenzen nicht in Frage gestellt werden können und die unterschiedlichen Gruppen miteinander versöhnt werden!
Eine politische Lösung mit Duldung Assads?
Assad ist aus unserer Sicht der Hauptverantwortliche für die schreckliche Gewalt. Dass aber bei einer Genfer Konferenz auch Vertreter seines Regimes mit am Tisch sitzen müssen, wenn man zu einer politischen Lösung kommen will, ist offensichtlich.
Was will Deutschland in den Friedensverhandlungen zwischen Israel und Palästina leisten, das die USA nicht alleine könnte?
Das ist kein Entweder-oder sondern ein Sowohl-als-auch. Deutschland genießt sowohl in Israel als auch in den palästinensischen Gebieten hohes Ansehen. Deswegen leisten wir unseren Beitrag, die Gespräche zu unterstützen.
Trotzdem hat Israel noch während Ihres Besuchs neue Siedlungsbauten angekündigt...
Leider gibt es auf beiden Seiten Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung durch Verhandlungen. Denen dürfen wir nicht das Feld überlassen. Mein Eindruck ist aber, dass sowohl Premierminister Netanjahu als auch Präsident Abbas persönlich davon überzeugt sind, dass jetzt die Zeit reif ist für die direkten Gespräche und ernste substantielle Verhandlungen mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.
Der neue US-Botschafter John Emerson ist vergangene Woche in Berlin eingetroffen. Wann lernen Sie ihn kennen und wie steht es um die diplomatischen Beziehungen zu den USA nach den Snowden-Enthüllungen über die NSA?
Wir werden uns sicher bald austauschen. Es gibt natürlich auch schwierige Dinge, die zwischen den USA und Deutschland zu besprechen sind. Zum Beispiel, dass wir die richtige Balance zwischen Terrorbekämpfung und Sicherheitsbedürfnissen auf der einen und Schutz der Privatsphäre auf der anderen Seite finden.
Könnten Sie die USA für NSA so kritisieren, wie Ihnen das als liberaler Politiker auf der Seele brennt oder mussten Sie sich diplomatisch zurückhalten?
Ich bin als Liberaler Zeit meines Lebens ein Vorkämpfer, wenn es um Datenschutz und Bürgerrechte geht. Doch meine Lehre aus vier Jahren als Außenminister ist, dass man weiter kommt, wenn man im Ton verbindlich bleibt. Das unterscheidet mich fundamental von der Opposition, die ja in manche Länder sogar gerne mal die Kavallerie schicken möchte. Anti-Amerikanismus wäre die falscheste Antwort auf die augenblickliche Diskussion über Datenschutz. Das ist ein Reflex, der mir Sorgen macht. Die Amerikaner sind eine parlamentarische Demokratie mit einer unabhängigen Justiz und bleiben unser engster Verbündeter außerhalb Europas. Es ist unsere Aufgabe, die Meinungsunterschiede zu überwinden. Das ist besser als die Parole 'Auf sie mit Gebrüll'. Oder will Herr Steinbrück jetzt seine Kavallerie auch noch nach Washington schicken, wenn sie gewissermaßen in Bern fertig ist?
Was ist das Ergebnis der diplomatischen Gespräche?
Wir sehen die ersten Erfolge. Verwaltungsvereinbarungen sind aufgehoben. Es beginnen Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen. Wir haben die Initiative auf den Weg gebracht, dass der Datenschutz als Menschenrecht durch internationales Völkerrecht aufgewertet wird. Ich habe in klaren Worten in den Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten und meinem Außenminister-Kollegen gesagt, dass das Ausspähen von Freunden, soweit es denn stattgefunden haben sollte, nicht akzeptabel ist und dass wir erwarten, dass in Deutschland auch deutsches Recht eingehalten wird. Die ersten Zusicherungen gibt es. Das muss jetzt alles im Detail ausgehandelt und in Vertragstexte überführt werden.
Unbeantwortet bleibt aber die Frage, wie viele deutsche Daten deutschen Boden verlassen und was mit diesen Daten dort passiert?
Ich möchte nicht den Verhandlungen vorgreifen, die jetzt stattfinden, weil das hochkomplexe Fragen sind. Ich finde die jüngste Initiative von deutschen Unternehmen für ein Internet made in Germany mit besonderer Sicherheitsqualität sehr interessant und glaube, dass das Maßstäbe setzen kann.
(…)
Erschienen im FOCUS 34/2013 vom 19. August 2013. Die Fragen stellten Bernhard Borgeest und Stephanie Stallmann. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Focus Magazin Verlag GmbH.