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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der Diskussionsveranstaltung der Schwarzkopf-Stiftung „Sicherheitsherausforderungen für Europa – Die OSZE als Forum der Kooperation“

01.06.2016 - Rede

--- es gilt das gesprochene Wort ---

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Angestaubt und ohnmächtig“. „Ein überflüssiger Papiertiger“. Es ist noch gar nicht allzu lange her, da konnte man solche Zuschreibungen über die OSZE auch in einigen deutschen Medien lesen.

Frieden und Sicherheit schienen lange Zeit so selbstverständlich in Europa, dass viele Kritiker schon fragten: Wofür braucht man eigentlich noch eine Organisation wie die OSZE – nach dem Ende des Kalten Krieges und in Zeiten einer EU mit 28 Mitgliedstaaten?

Diese Wahrnehmung hat sich in den vergangenen Monaten schlagartig geändert. Die kritischen Fragen sind verstummt. Nach dem zwischenzeitlichen Abgesang erlebt die OSZE derzeit ein bemerkenswertes Comeback. Und das liegt nicht etwa daran, dass Deutschland in diesem Jahr den OSZE-Vorsitz übernommen hat.

Dass die OSZE mittlerweile wieder als anerkanntes Forum für Dialog und Zusammenarbeit gilt, hat einen ganz anderen Hintergrund: Die Welt um uns herum, ja und auch die Lage in Europa selbst, hat sich dramatisch verändert. Und in diesen stürmischen Zeiten brauchen wir die OSZE mehr denn je!

In unserer unmittelbaren Nachbarschaft, nur wenige Flugstunden von Berlin entfernt, tobt eine noch vor kurzem ungeahnte Zahl an Krisen und Konflikten. Im Osten der Ukraine kommt es zwischen den von Russland unterstützen Separatisten und dem ukrainischen Militär immer wieder zu heftigen Gefechten. Und das trotz der verhandelten Waffenruhe.

Auch im seit mehr als zwanzig Jahren ungelösten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien, der lange als „eingefroren“ galt, ist es erst im April wieder zu Kampfhandlungen mit Todesopfern gekommen. Gegenstand des Konflikts ist der Streit beider Staaten um die Region Berg-Karabach.

Diese und andere Konflikte fordern viele Todesopfer und treiben die Menschen mit ihren Familien in die Flucht. Die Menschenrechte werden dabei von den verschiedenen Konfliktparteien immer wieder aufs Schwerste verletzt.

Gleichzeitig steigt in Europa die Verunsicherung durch extremistische und terroristische Bedrohungen. Die Anschläge in Paris und Brüssel sind uns allen noch in trauriger Erinnerung.

Dazu kommt eine tiefe Vertrauenskrise zwischen West und Ost, allen voran zwischen Russland auf der einen und den USA und weiteren westlichen Partnern wie Deutschland auf der anderen Seite.

Russland hat durch die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und durch sein Vorgehen im Osten der Ukraine grundlegende Prinzipien der internationalen Gemeinschaft gebroche.

Ich denke dabei besonders an das Prinzip der territorialen Integrität, also der Unverletzbarkeit der Grenzen eines souveränen Staates, und an das Prinzip der friedlichen Streitbeilegung. Dabei handelt es sich um wesentliche Grundregeln, die zwischen Staaten unbedingt eingehalten werden müssen.

Die Krisen und Konflikte, die ich eben nur kurz angerissen habe, belegen eines: Die sicherheitspolitische Lage in Europa und seinen Nachbarregionen ist derzeit so schwierig wie wohl seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – die OSZE – ist ein wichtiges Forum, um uns mit solchen sicherheitspolitischen Fragen zu befassen. Deutschland kommt dabei derzeit eine besondere Verantwortung zu, weil wir dieses Jahr den Vorsitz der Organisation innehaben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Aber was genau macht denn die OSZE aus? Und wie kann sie dazu beitragen, Dialog, Zusammenarbeit und Vertrauen zwischen den Staaten zu fördern? Wir alle hören und lesen viel über die EU, die Vereinten Nationen oder auch die NATO. Die OSZE ist hingegen vielen von uns etwas weniger bekannt. Schade eigentlich!

„Ein Leben in Frieden, Demokratie und Stabilität für mehr als eine Milliarde Menschen schaffen“ – dies ist die Agenda der OSZE. Ihr gehören heute 57 Länder in Europa, Nordamerika und Zentralasien an, darunter auch die Staaten, die ich bereits erwähnt habe: Die Ukraine, Russland, die USA, Armenien, Aserbaidschan – und natürlich auch Deutschland.

Ein Blick auf die Mitgliedstaaten der OSZE verdeutlicht: Sie ist kein exklusiver Club, sondern sie steht offen für alle wie keine andere regionale Organisation.

Anders als beispielsweise in der EU oder in der NATO sitzen in der OSZE Staaten aus West und Ost, Europäer und Nicht-Europäer gemeinsam an einem Verhandlungstisch.

Diese Inklusivität geht auf die Geschichte der OSZE zurück. Die Organisation entstand Anfang der 1970er Jahre, mitten im Kalten Krieg, als Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). An der Konferenz nahmen damals alle Mitgliedstaaten teil, die in den beiden großen Verteidigungsbündnissen der Welt organisiert waren: im Warschauer Pakt der kommunistischen Staaten im Osten und im westlichen Verteidigungsbündnis NATO.

Die Konferenz tagte abwechselnd in Genf und Helsinki und zog sich über zwei Jahre hin. Schlussendlich lohnte sich aber das Ausharren.

Die Staaten einigten sich im August 1975 auf die Schlussakte von Helsinki, die grundlegende Prinzipien zur Konfliktvermeidung und Zusammenarbeit über die Blockgrenzen hinweg festhielt.

Die KSZE-Schlussakte war ein früher Meilenstein auf dem Weg zum friedlichen Zusammenwachsen Europas. Gerade wir Deutschen haben dem KSZE-Prozess viel zu verdanken. Die Schlussakte von Helsinki hat dabei geholfen, Mauern einzureißen und Grenzen zu überwinden. Bis heute dient uns die OSZE als wichtiges Forum für Dialog und Zusammenarbeit zwischen Ost und West.

Unsere Zusammenarbeit beschränkt sich dabei nicht nur auf klassische Sicherheitsthemen wie Abrüstung und Rüstungskontrolle. Sie bezieht auch Themen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft und Umweltschutz mit ein.

Dies bringt mich zum zweiten charakteristischen Merkmal der OSZE: Ihr umfassendes Sicherheitsverständnis. Für die OSZE ist Sicherheit eben nicht nur auf den militärischen Bereich ausgerichtet. Vielmehr beruht sie auf der Überzeugung: Ohne die Einhaltung der Menschenrechte, ohne wirtschaftlichen Wohlstand und ohne eine intakte Umwelt kann es langfristig keine Sicherheit und Stabilität geben. Die OSZE engagiert sich daher in all diesen Feldern.

Ein drittes Merkmal: In der OSZE sind alle Staaten gleichberechtigt und treffen Entscheidungen im Konsens. Sie können sich vorstellen, dass es bei manchen Fragen nicht einfach ist, Einstimmigkeit unter 57 Ländern zu erzielen, die noch dazu teils sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Viele Vorstöße im Rahmen der OSZE scheitern daher auch. Wenn es aber gelingt, einen Beschluss zu verabschieden, dann ist er umso wertvoller, weil er von einer Vielzahl von Staaten mitgetragen wird.

Lassen Sie mich also nochmals festhalten. Die OSZE zeichnet sich aus durch ihre Inklusivität, ihr umfassendes Sicherheitsverständnis, die Gleichberechtigung ihrer Teilnehmerstaaten und das Konsensprinzip.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Am 1. Januar 2016 hat Deutschland den Vorsitz der OSZE übernommen. Außenminister Steinmeier führt die Organisation als amtierender Vorsitzender. Keine einfache Aufgabe in diesen schwierigen Zeiten. Wir haben uns dennoch viel vorgenommen. Als Vorsitz wollen wir insbesondere unsere Bemühungen um die Lösung von Konflikten im OSZE-Raum intensivieren.

Dies betrifft allen voran den Konflikt in und um die Ukraine. Die OSZE hat in der Ukraine ihre Rolle als Krisenmanagerin bereits unter Beweis gestellt.

Auf dem Höhepunkt der Krise im Frühjahr 2014 gelang es der OSZE, binnen weniger Tage und unter Zustimmung aller 57 Teilnehmerstaaten – auch Russlands – eine zivile Beobachtermission in die Ukraine zu entsenden. Einzig die OSZE war dazu in der Lage.

Zwischenzeitlich sind nun über 700 internationale Beobachterinnen und Beobachter in der Ukraine im Einsatz, darunter auch 32 Deutsche. Die OSZE-Beobachtermission liefert uns zuverlässige und unabhängige Informationen. Dies ist besonders wichtig in einer Situation, in der die Konfliktparteien mitunter versuchen, die internationale Wahrnehmung dieses Konflikts durch Propaganda und Fehlinformationen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Im September 2014 und Februar 2015 einigten sich die Vertreter Russlands und der Ukraine auf die sogenannten „Minsker Abkommen“. Die Vereinbarungen sehen einen durch die OSZE überwachten Waffenstillstand vor und beinhalten Grundlinien für eine friedliche Lösung des Konflikts. Gemeinsam mit Frankreich führen wir regelmäßige Gespräche mit unseren russischen und ukrainischen Kollegen, um die Umsetzung der Minsker Abkommen zu unterstützen.

Die Lage im Osten der Ukraine hat sich zwar etwas beruhigt. Trotzdem kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen. Deshalb müssen wir uns weiterhin für einen nachhaltigen Waffenstillstand einsetzen und die OSZE in ihrer Arbeit vor Ort unterstützen.

Auch im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach spielt die OSZE eine zentrale Rolle. Seit über 20 Jahren bemüht sie sich darum, den Weg zu einer nachhaltigen Konfliktlösung zu ebnen. Die OSZE ist in diesem Konflikt die einzige Mediatorin, die von allen Seiten anerkannt wird. Armenien und Aserbaidschan stehen sich im Konflikt um Berg-Karabach nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Nach wie vor wird geschossen. Viele Verwundete und Tote sind zu beklagen.

Das ist völlig inakzeptabel! Nach der jüngsten Eskalation im April geht es nun darum, dass der Waffenstillstand endlich eingehalten wird und vertrauensbildende Schritte vereinbart werden.

Deutschland unterstützt dies als OSZE-Vorsitz mit Nachdruck. Erst vor zwei Wochen reiste der Sonderbeauftragte unseres Vorsitzes, Botschafter Kasprzyk, an die Konfrontationslinie, um die Situation in Berg-Karabach in Augenschein zu nehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich habe Ihnen nun exemplarisch über das Krisenmanagement der OSZE in zwei Konflikten berichtet und die wichtige Rolle der OSZE als Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien aufgezeigt. Als Vorsitz wollen wir die OSZE aber auch grundsätzlich – also jenseits der aktuellen Konflikte – als Plattform für Dialog und Zusammenarbeit nutzen und weiter stärken.

Lassen Sie mich zum Beispiel das Thema Terrorismusbekämpfung erwähnen. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus hat in jüngster Zeit ein neues Ausmaß angenommen, dem alle OSZE-Staaten gleichermaßen ausgesetzt sind. Wir wollen die OSZE-Formate bewusst einsetzen, um durch stärkere Zusammenarbeit gemeinsame Antworten auf diese Bedrohung zu finden.

Gestern und heute haben wir im Auswärtigen Amt eine OSZE-Antiterrorismuskonferenz organisiert. Über 300 Vertreterinnen und Vertreter aus OSZE-Teilnehmerstaaten, internationalen Institutionen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft haben teilgenommen. Gemeinsam diskutierten wir, wie wir der Radikalisierung junger Menschen entgegenwirken können und welche Strategien wir im Umgang mit zurückkehrenden Dschihadisten verfolgen.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Schwerpunkt unserer Vorsitzarbeit ansprechen, der mir ganz besonders am Herzen liegt: Das Engagement für die Menschenrechte.

Die OSZE-Staaten sind über die vergangenen vierzig Jahre viele gemeinsame Verpflichtungen in den Bereichen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eingegangen. Die Einhaltung dieser Verpflichtungen ist zentral für nachhaltige Sicherheit und Stabilität im OSZE-Raum.

In vielen Staaten gibt es jedoch noch große Defizite: Personen, die sich kritisch über ihre Regierung äußern, werden unterdrückt und drangsaliert, freie Wahlen können nicht stattfinden und die Pressefreiheit wird immer noch an viel zu vielen Orten eingeschränkt. Als Vorsitz wollen wir diese Defizite klar benennen und uns für eine bessere Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen einsetzen.

Toleranz wollen wir dabei besonders fördern und alle Formen von Diskriminierung bekämpfen. Dies ist gerade mit Blick auf die aktuellen Flucht- und Migrationsentwicklungen für die Gesellschaften im OSZE-Raum wichtig.

Ich habe eingangs auf die vielen aktuellen Bewährungsproben für die Sicherheit in Europa hingewiesen. Ich bin überzeugt, dass wir Probleme nicht mit nationalen Alleingängen, sondern nur durch gemeinsames Handeln bewältigen können.

Dafür braucht es aber auch einen Dialog über mögliche Lösungsansätze. Die OSZE bietet uns hierfür ein geeignetes Forum. Als Vorsitz wollen wir den gleichberechtigten Dialog unter den Teilnehmerstaaten – insbesondere auch mit Russland – nicht abreißen lassen, und seien die Gespräche auch noch so kontrovers und die Differenzen noch so groß!

Dialog brauchen wir aber nicht nur zwischen Politikern und Diplomaten. Um dem Risiko weiterer Entfremdung und Sprachlosigkeit in Europa entgegenzutreten, wollen wir insbesondere auch den Austausch zwischen den Bevölkerungen stärken und die Zivilgesellschaft aktiv einbeziehen. Die OSZE darf keine reine Regierungsveranstaltung sein – sie soll eine Bürgerbewegung sein. Wir brauchen starke und lebendige Zivilgesellschaften, die die Politik bei ihrer Arbeit begleiten und unterstützen – durch gute Ideen, Kritik und Dialog.

Die Jugend steht dabei ganz besonders im Fokus. Es freut mich daher sehr, dass wir in Zusammenarbeit mit der Schwarzkopf-Stiftung in diesem Jahr zwei Foren des Europäischen Jugendparlaments in Wien und Belgrad unterstützen. Dort werden sich Jugendliche aus allen 57 OSZE-Staaten zu Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa austauschen können.

Und auch hier in Deutschland wollen wir den Dialog mit jungen Leuten wie Ihnen zu Themenfeldern der OSZE weiterführen.

Denn Ihre Anregungen, Ideen und Fragen sind uns wichtig! Die heutige Veranstaltung ist daher nur eine von insgesamt neun Diskussionsveranstaltungen der Schwarzkopf-Stiftung, die wir als Vorsitz im Verlauf des Jahres unterstützen.

Ich lade Sie alle herzlich ein, an diesem Dialog in Europa teilzunehmen. Denn eines ist klar: Neue Mauern und Zäune werden unsere Sicherheit in Europa nicht stärken, im Gegenteil. Und damit meine ich nicht nur Grenzen aus Beton und Stacheldraht, sondern ebenso die Grenzen des Dialogs und der Zusammenarbeit. Lassen Sie uns also aufeinander zugehen und es gemeinsam anpacken: Kooperation statt Konfrontation. Dialog statt Sprachlosigkeit. Und Austausch statt Abschottung.

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