Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede des Sonderbeauftragten für den deutschen OSZE-Vorsitz 2016, Gernot Erler, beim 24. Wirtschafts- und Umweltforum der OSZE in Prag
Sehr geehrter Außenminister Lubomír Zaorálek,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Lamberto Zannier,
lieber Dr. Yigitgüden,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich darf Sie alle zu diesem Wirtschafts- und Umweltforum der OSZE 2016 in Prag begrüßen und mich beim Außenministerium der Tschechischen Republik ganz herzlich für die Gastfreundschaft bedanken.
Und ich darf Ihnen die Grüße des amtierenden OSZE-Vorsitzenden Außenminister Steinmeier überbringen, der heute leider nicht hier sein kann, sondern mit dem französischen Außenminister Ayrault in Kiew ist, um dort die gemeinsamen Anstrengungen für eine friedliche Lösung der Krise in und um die Ukraine fortzusetzen. Die von der OSZE vermittelte Bekräftigung der Waffenruhe zum 1. September hat die Kämpfe – trotz aller Fragilität gerade in den letzten Tagen – immerhin etwas beruhigt. Nun kommt es umso mehr darauf an, dass rasch weitere Schritte zur Stabilisierung der Lage ergriffen werden.
Auch hier in Prag, meine Damen und Herren, können wir nicht über Wirtschafts- und Umweltfragen diskutieren, ohne dabei die Konflikte zu berücksichtigen und mitzudenken, die in der jüngeren Vergangenheit im OSZE-Raum ausgebrochen oder wieder aufgeflammt sind.
Auch deshalb sind wir vor zwei Wochen in Potsdam – einige von Ihnen waren dabei – zu einem informellen Treffen der OSZE-Außenminister zusammengekommen, um darüber zu sprechen, wie wir in der OSZE gemeinsam die vielfältigen neuen Herausforderungen annehmen können, die sich uns allen stellen.
Bei den Gesprächen in Potsdam ging es natürlich auch um die Rolle der Wirtschaft.
Manche halten die gegenwärtigen Fliehkräfte und Konflikte innerhalb des OSZE-Raumes unter anderem für eine Folge des Wettlaufs verschiedener wirtschaftlicher Integrationsräume.
Für andere ist wirtschaftliche Integration nicht die Ursache, sondern im Gegenteil ein möglicher Beitrag zur Lösung dieser Konflikte.
Aber weitgehende Einigkeit besteht doch darin, dass wir wirtschaftlichen Fragen in der OSZE wieder ein stärkeres Gewicht verleihen sollten, um durch konkrete Angebote zur Zusammenarbeit Vertrauen zu schaffen und Impulse für politische Lösungen zu geben.
Viele Teilnehmerstaaten haben auch die Notwendigkeit betont, bestehende Regeln der internationalen Ordnung zu stärken, gerade für den Bereich Wirtschaft!
Konfliktvermeidung durch gemeinsam anerkannte Regeln und verstärkte Zusammenarbeit auf der Basis dieser Regeln zum gemeinsamen Vorteil – das war bereits die Methode der KSZE.
Und auch die OSZE hat sich insbesondere in der Charta von Paris dieser Vision eines gemeinsamen Raumes der Sicherheit, der Freiheit, der Demokratie und auch des wirtschaftlichen Wohlstandes verschrieben.
An dieser Vision sollten wir festhalten.
Festhalten sollten wir aber auch die Erkenntnis, dass diese Vision sich nicht von selbst mit der berühmten „unsichtbaren Hand“ einstellt, sondern dass der Abbau von Grenzen und Hindernissen auch neue Konflikte und Herausforderungen schaffen kann und daher politisch gestaltet werden muss.
Fallen Grenzen weg, dann kann dies natürlich zunächst auch – zumindest vermeintliche und kurzfristige – Verluste bedeuten. 1950 waren noch 40% des Einkaufspreises von Industriegütern Zölle – heute werden nur noch 5% der Kosten des internationalen Handels durch Zölle verursacht!
Fallen Grenzen weg, dann können ausländische Unternehmen natürlich zu Konkurrenten auf dem heimischen Markt werden und inländische Unternehmen auf der Suche nach vorgeblich besseren Bedingungen ins Ausland abwandern.
Fallen Grenzen weg, dann können natürlich Menschen zu uns kommen auf der Suche nach Schutz und besseren Lebens- und Zukunftschancen. Und natürlich verlangt deren Aufnahme von unseren Gesellschaft Mut zur Offenheit und auch die Bereitschaft, bestimmte Lasten zu tragen.
Im Moment sehen wir vielerorts, wie groß die Versuchung ist, auf diese Herausforderungen durch eine Rückkehr zu Abschottung und Grenzziehung zu reagieren.
Und mein Eindruck ist: es sind vor allem diese Versuche der Wieder-Abschottung, der Rückkehr zum Denken in geschlossenen Räumen und in Nullsummenspielen von Gewinnern und Verlierern, die zu neuen Konflikten, aber auch zu erheblichen Verlusten von Wohlstand und Chancen führen. Grenzen schaffen keinen Wohlstand, sondern auf lange Sicht behindern und vermindern sie diesen.
Angesichts dieser Spannungen, meine Damen und Herren, müssen wir verstärkt auch in der
wirtschaftlichen Dimension der OSZE das tun, was für uns in den anderen Dimensionen auch ganz selbstverständlich sein sollte:
Erstens: Vertrauen aufbauen in den gemeinsamen Nutzen von Zusammenarbeit und Öffnung.
Und zweitens: den Austausch verstärken über Erfahrungen und Möglichkeiten, wie wir diese Öffnung konkret erreichen und durch Regeln lenken können.
Wir haben deshalb als OSZE-Vorsitz in diesem Jahr das Thema Konnektivität aufgegriffen, das in anderen internationalen Fora wie ASEM [Asia-Europe Meeting], ASEAN [Association of Southeast Asian Nations], G20 oder den Westbalkan-Gipfeln bereits eine wichtige Rolle spielt, und unter dem Titel „Connectivity for Commerce and Investment“ im Mai eine Vorsitzkonferenz in Berlin veranstaltet.
Dabei war es uns besonders wichtig, auch intensiv die Stimme der Privatwirtschaft einzubeziehen. Dies ist gelungen. Mehr als die Hälfte der 900 Teilnehmer kam aus dem Privatsektor, der ein entscheidendes Interesse an größerer Konnektivität im OSZE-Raum hat, um die Kosten für den grenzüberschreitenden Verkehr ihrer Produkte und Dienstleistungen zu vermindern.
Wir sollten diesen Austausch als neuen Impuls für die OSZE fortsetzen und auch bei diesem jährlichen Prager Wirtschafts- und Umweltforum in Zukunft die Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft- und der Unternehmen aktiv einbeziehen. Daher freue ich mich, dass bereits bei diesem Forum so viele von ihnen anwesend sind, die sich tagtäglich – und vielleicht ohne den Begriff zu verwenden – mit Konnektivität beschäftigen, etwa die Western Union oder die Global Express Association, der internationale Dachverband der Kurierdienste. Ihr Beitrag wird unsere Diskussionen hier in Prag sicher bereichern.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass mehr Konnektivität allen Seiten Nutzen bringen und gegenseitiges Vertrauen auch im politischen Bereich fördern kann ist der Prozess der Westbalkangipfel – zuletzt in Wien 2015 und in Paris 2016. Auch hier haben wir das Thema Konnektivität konkret aufgegriffen. Als Beispiele nenne ich das Abkommen über regionale Kerntransportnetz-Korridore, das im April 2015 in Brüssel von den sechs Staaten des westlichen Balkans unterzeichnet wurde oder die Einigung auf gemeinsame Investitionsprojekte bei Strom-verbünden und Elektrizitätsübertragungsnetzen.
Konnektivität wird hier zu einem Szenario, das Gewinner auf beiden Seiten hat und helfen kann, politische Spannungen abzubauen, wenn wir gemeinsame Interessen in den Mittelpunkt stellen.
Meinen Damen und Herren,
um erhöhte Konnektivität zu erreichen und von ihren Chancen profitieren zu können, müssen wir jedoch dafür auch die Voraussetzungen in unseren Ländern schaffen.
Wir, die 57 OSZE-Teilnehmerstaaten, haben deshalb gemeinsam als Thema des Wirtschafts- und Umweltzyklus der OSZE für 2016 „Strengthening stability and security through co-operation on good governance“ gewählt. Bereits zwei Veranstaltungen haben sich mit Good Governance im Umweltbereich und deren zentraler Rolle bei zur Förderung eines positiven Investitions- und Geschäftsklimas, bei der Bekämpfung von Korruption, Terrorismus-finanzierung und Geldwäsche sowie der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Arbeitsmigration befasst.
Wie das Thema „Good Governance“ durch die OSZE ganz praktisch umgesetzt wird, zeigt auch das Handbuch des OSZE-Sekretariats zu „Best Practices an Grenzübergängen“, das 2012 von der OSZE und der UNECE – der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa – gemeinsam veröffentlicht wurde. Dieses Handbuch dient als Ratgeber für Regierungen, Zollbehörden und Unternehmen, um die Verfahren an Grenzübergängen zu beschleunigen und zu vereinfachen.
Das Handbuchs zeigt ganz praxisnah, was Verbesserungen im Bereich „Connectivity“ konkret bewirken können: schon bei geringfügigen Verbesserungen der Abfertigungsprozeduren an der Grenze könnten Lastkraftwagen mit ihren Gütern im Schnitt eine halbe Stunde Zeit sparen – jeder von uns, der schon einmal an einer Grenze gewartet hat, wird das sicher zu schätzen wissen und hier ist auch noch deutlich Luft nach oben!
Fundament für den Erfolg von „Good governance“ ist Berechenbarkeit und gegenseitiges Vertrauen. Auf vereinbarte Regeln muss Verlass sein, sie müssen eingehalten werden: Nur so entsteht Vertrauen zwischen den Teilnehmerstaaten, zwischen Staat und Wirtschaft und bei Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Ihren Regierungen.
Wir wollen deshalb hier in Prag im Anschluss eine Sitzung der Botschafter nutzen, um konkret über eine Entscheidung zu Good Governance und Konnektivität beim Ministerrat in Hamburg auf der Grundlage eines bereits verteilten Diskussionspapiers des deutschen Vorsitzes zu sprechen.
Es ist klar, dass es dabei nicht um Abstraktes, sondern sehr konkrete Anliegen geht, bei denen die OSZE einen Mehrwert leisten kann:
Die Mehrheit der Transaktionskosten geht auf unterschiedliche Standards und Verfahren zurück. Dabei kommt die Vereinfachung und Harmonisierung von Verfahren für den grenzüberschreitenden Handel der Privatwirtschaft wie der Gesellschaft zu Gute und schafft wirtschaftliches Wachstum. Und gleiches gilt etwa bei der Bekämpfung von Korruption im Zuge guter Regierungsführung.
Wir glauben daher, dies ist Grund genug für eine Ministerrats-Entscheidung der OSZE etwa zu den Themen verbesserte Transparenz, Stärkung des Geschäftsklimas, verbesserte Transport-verbindungen und Handelserleichterungen, Einhaltung von Standards im Bereich Soziales, Umwelt und Arbeit oder mehr Zusammenarbeit mit dem Privatsektor beim Kampf gegen Korruption, Geldwäsche und Terrorismus-Finanzierung.
Ich hoffe, dass insbesondere hierzu heute und in den nächsten zwei Tagen gute Gespräche bei diesem Forum stattfinden können, die vom Willen zum Konsens getragen sein werden. Die Stärkung der Zweiten Dimension insgesamt sowie die Förderung von Good Governance und Konnektivität waren und sind für uns die Prioritäten für die Zweite Dimension der OSZE.
Österreich hat ja für 2017 angekündigt, und ich bin sehr dankbar für diese Entscheidung, Konnektivität und Good Governance weiter als Themen der Zweiten Dimension hoch auf der Agenda belassen zu wollen und hat dafür bereits die Zustimmung aller 57 OSZE-TNS erhalten. Wir begrüßen insbesondere, dass Österreich schon in diesem Jahr begonnen hat, im Rahmen verschiedener Workshops das Thema „Konnektivität“ in unterschiedlichen Regionen genauer zu beleuchten und weiter beleuchten wird.
Diese Themen sollen über DEU Vorsitz hinaus wirken und Dialog, Vertrauen und Sicherheit stärken. Dies in der OSZE zu erreichen, sollte weiter unser gemeinsames Ziel sein.
Vielen Dank.