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Europa braucht das Atomabkommen mit Iran

12.05.2019 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit der Bild am Sonntag.

Herr Minister, was bedeutet die Europafahne für Sie?

Zukunft und Freiheit. Die Europafahne ist heute für mich das Banner der freien Welt.

Bislang galt Amerika als Garant der freien Welt. Wollen Sie den USA wirklich diesen Platz streitig machen?

Die EU sollte den Anspruch haben, bei Freiheit, Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit an der Spitze zu stehen. Wenn ich nach Norden, Osten, Süden, Westen schaue, sehe ich: Wir werden für unser europäisches Modell auf der ganzen Welt beneidet.

Machen Sie es bitte konkret: Was machen die Europäer besser als Trump?

Wir sind für freien und fairen Welthandel, deshalb wehren wir uns gegen Strafzölle. Wir haben keine Todesstrafe, dafür Arbeitnehmerrechte und Krankenversicherungen. Und: Wir haben, trotz aller Schwierigkeiten in der EU, bei der Flüchtlingsdebatte immer auch auf Humanität und Menschenrechte gesetzt.

Im Konflikt um das Atomabkommen mit dem Iran sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien gerade gescheitert.

Widerspruch. Donald Trump hat es weder geschafft uns Europäer zu spalten noch zu einem Ausstieg aus dem Abkommen zu drängen. Unsere Haltung wurde einmütig von allen EU-Mitgliedsländern getragen.

Nun hat aber der Iran den Europäern eine Kündigung angedroht. War es ein Fehler, dass sich Deutschland an die Seite des Irans und nicht der USA gestellt hat?

Im Gegenteil: Gerade weil wir Iran misstrauen, brauchen wir das Abkommen. Es ist jedenfalls im Moment der sicherste Weg, den Iran davon abzuhalten, Atomwaffen zu bauen. Mit klaren Regeln und Kontrollen erreicht man mehr als mit Drohungen allein. Deshalb bleiben wir dabei: Die Welt ist mit dem Abkommen sicherer ist als ohne. Wir müssen gemeinsam mit unseren europäischen Partner alles tun, um militärische Auseinandersetzungen zu verhindern.

Gehen wir hart genug gegen Staaten vor, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzen?

Ganz klar: Wer die Vorzüge der Europäischen Union in Anspruch nimmt, der darf nicht gleichzeitig den Rechtsstaat aushöhlen. Nur wenn Europa seine eigenen Werte lebt, ist es auch international stark und glaubwürdig. Verstöße gegen europäische Grundwerte müssen Konsequenzen haben. Wir verhandeln gerade den nächsten Finanzrahmen der EU. Dabei sollten wir nach Wegen suchen, die Ausschüttung von Mitteln konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze zu koppeln. Und: Mit Belgien zusammen haben wir bereits eine Initiative auf den Weg gebracht, damit sich jedes Land jedes Jahr einer Rechtsstaatlichkeitsprüfung unterzieht.

Bei der EU-Wahl in zwei Wochen droht ein Erfolg der Populisten und EU-Gegner. Scheitert Europa?

Definitiv nicht. Die Nationalisten und Populisten wollen uns Angst machen vor Vielfalt, vor Minderheiten, vor Geflüchteten. Aber, was mich zuversichtlich stimmt: Die meisten Europäer wollen ein weltoffenes, tolerantes Europa. Wir mögen ein wenig verlernt haben, dafür einzustehen. Vielleicht weil Europa für viele von uns so selbstverständlich geworden ist. Jetzt ist es umso wichtiger, dass die Europäer am 26. Mai ihrer Stimme abgeben. Bei dieser Wahl gibt es keine Entschuldigung, auf dem Sofa sitzen zu bleiben. Wer nicht wählen geht, gefährdet Europa und unsere Zukunft!

In Italien sind die Rechtspopulisten von Salvini in Umfragen die stärkste Partei. Ist Deutschland mit seiner Flüchtlingspolitik an der Europa-Skepsis Mitschuld?

In Italien sind allerdings über 70% der Bürger gegen eine EU Austritt. Aber: Ja, die Situation in Italien ist auch das Ergebnis einer verfehlten Europa-Politik, die Deutschland in den vergangenen Jahren gemacht hat. Da darf man nichts beschönigen. Wir haben Italien in Flüchtlingsfragen zu lange alleine gelassen. Die Diskussionen, die dadurch entstanden sind, haben den Rechtspopulisten in Italien sicher nicht geschadet.

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Ihr Amtsvorgänger, Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, hat der Regierung ein enttäuschendes europapolitisches Engagement attestiert. Stimmt das?

Die Debatte darüber wird vor allem in Deutschland geführt. In Europa wird eher das Gegenteil diskutiert. Nämlich, ob Deutschlands Vormachtstellung zu groß ist. Wir Deutsche sollten aufpassen, in Europa nicht als die mit dem erhobenen Zeigefinger, die allen sagen wollen, wo es lang geht, wahrgenommen zu werden.

Deutschland übernimmt 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Was wollen Sie persönlich erreichen?

Ich möchte den Kampf gegen Antisemitismus zu einem der Schwerpunkte unserer EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr machen. Wenn wir von europäischen Werten reden, dann ist der Kampf gegen Antisemitismus für mich ein zentrales Thema. Antisemitismus ist leider in ganz Europa auf dem Vormarsch. Gerade Deutschland darf das nicht hinnehmen. Wir müssen Toleranz fördern und Wissenslücken schließen – bei allen, auch bei Menschen, die zu uns gekommen sind. Jeder Migrant muss aktiv damit konfrontiert werden, dass Antisemitismus hier nicht geduldet wird. Und jedem, der sich antisemitisch verhält, muss klar sein: Antisemiten haben bei uns keine Perspektive.

Waren wir arabischen Flüchtlingen gegenüber zu tolerant?

Wir wissen, dass viele in ihren Heimatländern schon in der Schule mit Antisemitismus und Israelfeindlichkeit konfrontiert wurden. Es ist ein Irrglaube, zu denken, dass sie automatisch beim Übertreten der deutschen Grenze, unsere Haltung von Null-Toleranz bei Judenhass übernehmen. Wir sollten jetzt allerdings überhaupt nicht so tun, als sei Antisemitismus ein reines Importprodukt. Neonazis marschieren auf unseren Straßen, Rechtspopulisten grölen wieder ‚Deutschland, Deutschland über alles‘, und es gibt nach aktuellen Zahlen mehr als 12.000 gewaltorientierte Rechtsextremisten. Da müssen bei uns alle Alarmsignale angehen. Die rechtsterroristische Gefahr dürfen wir nicht unterschätzen.

Sie sagen, Sie sind wegen Auschwitz in die Politik gegangen. Was besorgt Sie am meisten?

Was Antisemitismus am meisten befördert, ist Gleichgültigkeit. Die große Mehrheit in Deutschland hat mit Antisemitismus nichts am Hut. Aber gerade im Internet erwecken radikale Minderheiten mit lautstarken Hassparolen zu oft den Eindruck, dass sie in der Mehrheit seien. Wenn wir schweigen und die Hetze einfach geschehen lassen, unterstützen wir Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Deshalb gilt jetzt: Mund auf machen und gegenhalten!

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