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Podcast vom Posten: Kampf gegen Desinformation im Superwahljahr 2024 (Folge #73) - Transkript

Vier Würfel nebeneinander, auf den ersten drei Würfeln sind die Buchstaben F, A und K, zu sehen. Der letzte Würfel steht auf Kipp, sodass zwei Seiten mit den Buchstaben E und T zu sehen sind.. Somit ergeben sich die Wörter Fakt und Fake.

Fakt oder Fake, © blickwinkel

23.02.2024 - Artikel

Intro (mit Jingle hinterlegt):

Irene Biontino:.. „Baerbocks, Digitaldetektive decken russische Lügenkampagne“ auf, ..

Conrad Häßler:
…Medienkompetenz für alle ist ein wichtiges Mittel, um Desinformationen letztlich den Boden zu entziehen.

Irene Biontino: Herr Güllner, Sie sagten, Ihre Arbeitseinheit wurde 2015 gegründet. Was war da der Auslöser?

Lutz Güllner: Der Auslöser war die Erfahrung der illegalen Annexion der Krim insbesondere und dem, was dem vorausgegangen ist,

Lutz Güllner: : …Ich bin der Meinung, dass KI Teil des Problems, aber wahrscheinlich auch Teil der Lösung sein wird in der Zukunft….

Hauptteil:

Irene Biontino: Herzlich willkommen zum Podcast vom Posten, zu Einblicken in das Innenleben deutscher Außenpolitik. Kampf gegen Desinformation im weltweiten Superwahljahr 2024, worum geht es da? Was kann jeder und jede Einzelne ohne großen Aufwand selber tun? „Baerbocks, Digitaldetektive decken russische Lügenkampagne“ auf, so titelte jüngst die Presse. Neben mir, im Auswärtigen Amt, sitzt Conrad Häßler. Conrad, wie würdest Du selbst Deinen Job beziehungsweise den Deiner Kollegen beschreiben?

Conrad Häßler: Ja, hallo in die Runde. Ich freue mich, heute hier zu sein. Das ist ja natürlich ein neuer Titel, den wir jetzt seit letzter Woche haben, der uns zugeschrieben wurde. Ich würde eher sagen, ganz nüchtern: Wir sind das Referat für strategische Kommunikation. Erst heute früh habe ich aber noch einen weiteren Spitznamen für uns hören können, nämlich die „Area 51“des Auswärtigen Amtes, aber ich würde mir das auch nicht zu eigen machen.

Irene Biontino: Neben Dir sitzt Swantje Kortemeyer aus demselben Referat. Swantje, was machst Du?

Swantje Kortemeyer: Ja, hallo, auch meinerseits. Ich blicke vor allem auf das Thema der aktiven Kommunikation, also wir beobachten Desinformationen, aber wir sind überzeugt, dass man Desinformationen nicht einfach nur ‚Debunken‘ kann, sondern dass es viel wichtiger ist, dass wir auch unsere Politik, unsere Arbeit besser erzählen, unsere Interessen im Ausland besser erklären, und deswegen arbeite ich daran, unsere eigene Kommunikation zu stärken.

Irene Biontino: Das Referat für strategische Kommunikation umfasst also praktisch zwei Seiten: einmal unsere eigene Geschichte faktenbasiert und geradeaus zu erzählen, wie es ist, Dinge zurückzuweisen, die falsch überi uns erzählt werden - ‚Debunking‘ war auch eine Vokabel, die ich erst von Euch gelernt habe- und herauszufinden, wer wie und wo falsche Geschichten erzählt.
Aus Brüssel zugeschaltet ist, Lutz Güllner vom Europäischen Auswärtigen Dienst. Die Außenpolitik gehört in der EU ja nicht zu den vergemeinschafteten Politikbereichen.Für die ist die Kommission zuständig. Aber es gibt einen Außenbeauftragten, der durch einen Europäischen Auswärtigen Dienst aus allen Mitgliedsstaaten unterstützt wird. Herr Güllner, was machen Sie dort?

Lutz Güllner: Ja, wir sind sehr ähnlich wie das Referat 607, wie Conrad und Swantje, tragen auch den gleichen Namen, heißen ‚Strategische Kommunikation‘ und haben eigentlich auch diese zwei Standbeine: einerseits proaktive Kommunikation, das Engagieren, die Kommunikation mit unseren Zielgruppen, insbesondere natürlich im Ausland. Aber gleichzeitig haben wir auch einen ganz besonderen Auftrag bekommen, schon vor einigen Jahren, und zwar vom Europäischen Rat, von den Staats- und Regierungschefs der EU. Und das hat damit angefangen, dass wir einen ganz klaren Auftrag bekommen haben, uns russische Desinformationskampagnen nicht nur anzusehen, sondern auch Mittel, Rezepte, Instrumente, Ansätze zu entwickeln, wie wir damit umgehen sollen. Und dieser Auftrag, den wir schon im Jahr 2015 bekommen haben, hat sich natürlich über die Jahre ein bisschen weiterentwickelt, angepasst. Nicht nur Russland benutzt diese Techniken der Desinformation, sondern auch viele andere Akteure, und auch unsere Antworten sind natürlich sehr viel breiter gefasst als nur die Kommunikation. Also das ‚Debunking‘ ist sehr wichtig, aber da gibt es noch sehr viele andere Elemente, über die wir wahrscheinlich auch gleich sprechen werden, und das fasst alles mein Referat hier zusammen. #00:03:49-4#

Irene Biontino: Vielen Dank. Ebenfalls mit dabei ist Lukas Münster, der als unser Praktikant im Auswärtigen Amt ein paar Hörer-Fragen mitgebracht hat.

Lukas Münster: Ja auch kurz Hallo in die Runde! Ich freue mich auch, heute dabei sein zu können.

Irene Biontino: Mein Name ist Irene Biontino. Superwahljahr 2024: Taiwan hat im Januar gewählt. Russische Präsidentschaftswahlen kommen im März, das EU-Parlament im Juni und gegen Jahresende die USA, und über das Jahr verteilt drei Bundesländer in Deutschland, was auch im Ausland mit Interesse verfolgt wird. Was hat das damit zu tun, dass sich das Auswärtige Amt eine eigene Arbeitseinheit zur Aufklärung und Bekämpfung von Desinformation leistet? Was haben unsere Bürgerinnen und Bürger selber davon?

Conrad Häßler: Ja, ich glaube, dass Kommunikation immer schon wichtig war für Regierungshandeln. Und die andere Seite von Kommunikation ist Desinformation. Das ist also Kommunikation, die vernebeln soll, die schaden soll, die die Dinge verschleiern soll, die verwirren soll und vielleicht auch Gräben aufreißen soll, die gesellschaftlich existieren. Und bei einigen Akteuren, ist das mittlerweile ein Mittel der Außenpolitik. Und deshalb haben wir erkannt, und das nicht erst gestern oder heute, sondern schon seit mehreren Jahren, dass wir uns da auch wappnen müssen und entsprechend vorbereitet sein müssen, falls Desinformationskampagnen gegen uns, gegen die Bundesregierung, gegen unsere demokratischen Prozesse im Gange sind.

Swantje Kortemeyer: Ich würde da auch ergänzen, dass wir da zwei Dimensionen eigentlich auch unterscheiden müssen. Auf der einen Seite ist es die Dimension, wo es uns innenpolitisch trifft, wo es eine Gefahr für unsere Demokratie ist, unser Diskurs manipuliert werden soll. Und auf der anderen Seite ist es die Dimension der internationalen Glaubwürdigkeit, wo es darum geht, unsere Verhandlungspositionen als Deutschland, als Europäer zu diskreditieren, zu untergraben. Das kann zum Beispiel sein, wenn ich an Verhandlungen bei der COP denke, wenn vorher gestreut wird, dass Deutschland den Klimawandel gar nicht wirklich bekämpfen will, sondern dass wir nur allen anderen predigen, dass sie es tun sollen, damit wir selber das Gas auf dem Weltmarkt aufkaufen können und billigere Gaspreise haben. Dann schadet das direkt unserer diplomatischen Handlungsfähigkeit. Und auch eine andere Dimension ist, wenn es dann unsere Kollegen vor Ort betrifft, also wenn Videos verbreitet werden, dass in Deutschland Koranverbrennungen stattgefunden hätten, dann kann sich das direkt auf die Sicherheitslage unserer Botschaften vor Ort auswirken, und das ist etwas, wo wir natürlich auch einen Auftrag haben, da drauf zu blicken.

Irene Biontino: Herr Güllner, Sie sagten, Ihre Arbeitseinheit wurde 2015 gegründet. Was war da der Auslöser?

Lutz Güllner: Der Auslöser war die Erfahrung der illegalen Annexion der Krim insbesondere und dem, was dem vorausgegangen ist, aber auch dem, was dem gefolgt ist, und das war eben ein ganz spezieller Akteur in dem Falle Russland oder russische Desinformationsakteure, die also ganz gezielt dieses Mittel der Desinformation, der Informations-Manipulation, der Informationsbeeinflussung benutzt haben - um jetzt mal an dem Beispiel Ukraine zu bleiben - um die Regierung der Ukraine zu diskreditieren, zu destabilisieren, um das Land auch zu destabilisieren, um letztlich das zu erreichen, was es dann am 24. Februar 2022 dann mit militärischen Mitteln versucht hat. Und dann sieht man auch, dass man eigentlich diese zwei Bereiche der Informationsmanipulation oder das Nutzen des Informationsraumes oder -umfelds, dass man das gar nicht so trennen kann, auch von militärischen, von taktischen, von strategischen Zielen, die ein solcher Akteur verfolgt. Und deswegen ist auch unser Ansatz - und ich glaube, ich spreche auch für die Kollegen vom Auswärtigen Amt - wir sind nicht die Polizei sozusagen, die über gute und schlechte Erzählungen, über gute und schlechte Narrative entscheidet. Sondern wir gucken uns das Verhalten, die Aktivität eines solchen Akteurs an und wollen natürlich dieser Manipulation - und ich glaube, das ist nach wie vor der beste Ausdruck dafür - wollen dem eben nicht Vorschub leisten. Also deswegen kann man das nicht nur sehen, als dass es hier Arbeitseinheiten gibt, die sozusagen darüber entscheiden, „Was darf gesagt werden?“ oder „Was soll gesagt werden?“ oder „Was ist genehm?“ oder „Was ist nicht genehm?“, sondern dass es wirklich um eine Destabilisierung, manchmal tief in den Sicherheitsbereich hinein geht, die wir entweder aus innenpolitischem Kalkül heraus - Schutz unserer Demokratie - oder aus außenpolitischem Kalkül heraus, nämlich entweder Aufrechterhaltung, unserer Werte oder unserer außenpolitische Handlungsfähigkeit, verfolgen müssen. #00:08:56-6#

Irene Biontino: Ist die Spaltung und Verunsicherung und Destabilisierung von demokratischen Gesellschaften ein Grundmuster bei Desinformation? Oder gibt es andere Muster, die man da auch noch erkennen könnte?

Conrad Häßler: Ich würde sagen, Desinformation setzt immer da an, wo Spaltung vielleicht sogar schon besteht. Es gibt ja gewisse Bruchstellen, die man dann eventuell verstärkt, also Gegensätze fördern: Arm gegen Reich, Zugewanderte oder da bereits länger ansässige Personen. Also das sind alles Punkte, die man sieht, und ein weiterer Punkt kommt hinzu. Es werden meistens Themen bespielt oder die Informationen in dem Bereich manipuliert, wo es eine sehr, sehr starke potenzielle Emotionalisierung gibt. Denn das treibt die Debatte dann voran. Und in sozialen Medien, die ja auch sehr auf Aufmerksamkeit und schnelle, sozusagen Informationsgewinnung aus sind, da ist das natürlich ein Punkt. Wenn ein Thema emotional hochgeht und viral geht, dann verbreiten sich die Dinge automatisch sehr, sehr schnell. Also, ich würde sagen, Desinformation setzt häufig nicht ganz neue Akzente, und das kommt auch noch dazu: Sie ist zum Teil ja auch nicht komplett immer erfunden, sondern es ist oft so, dass manipulierte Informationen vielleicht auch einen Kern haben, der eventuell auch richtig ist. Aber es gibt dann andere Fakten, die dazu kommen, sodass dann das Bild verfälscht oder verzerrt wird. Und das ist eigentlich das Perfide, und das macht es dann teilweise auch schwer, das zu entschlüsseln, weshalb wir auch immer wieder sagen: Medienkompetenz für alle ist ein wichtiges Mittel, um Desinformationen letztlich den Boden zu entziehen.

Irene Biontino: Ja, das nimmt zum Teil schon meine nächste Frage vorweg nachdem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Desinformation, Propaganda und Information. Denn gerade als Behörde wie das Auswärtige Amt, muss man sich ja das Bundesverfassungsgerichtsurteil vorhalten lassen, in dem festgestellt wird, dass die Regierung verpflichtet ist, in allgemein verständlicher Form über ihre Arbeit zu unterrichten und die Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger nach vollziehbar zu machen, weil sie nur so ihre demokratische Verantwortung wahrnehmen können, also entscheiden, wo sie bei der Wahl ihr Kreuz machen. Aber, wie verhalten sich Desinformation, Propaganda und Informationen zueinander?

Swantje Kortemeyer: Ich würde daran anknüpfen, was Lutz auch vorhin gesagt hat. Wir müssen klar unterscheiden: Es gibt falsche Informationen, das ist die ‚Ente‘, das ist nicht mit Absicht falsch. Aber es gibt Propaganda, das ist - wissen wir - staatlich. Das gab es auch immer schon. Aber was die Desinformationen dann eben einfach so auszeichnet, ist dieser manipulative Gedanke dahinter, dass je nachdem Bots einsetzen, ums künstlich zu verstärken, dass - wie wir es jetzt auch gesehen haben - falsche Homepages aufgesetzt werden. Also diese gezielte manipulierende Debatte, das ist für mich der ausschlaggebende Punkt von Desinformation, mit dem Ziel, Vertrauen zu zerstören und dieses Vertrauen zu zerstören, richtet sich jetzt nicht nur gegen uns, vielleicht als Bundesrepublik Deutschland, in Afrika oder so, sondern das richtet sich je nachdem auch gegen Medien, gegen NGO's. Das kann sich auch gegen Firmen richten.

Irene Biontino: Im Februar 2023 hat die Presse ja bereits mit dem Titel „Undercover bei den Cybersöldnern. Ihr Auftrag fälscht die Wahl! Ihr Preis: 15 Millionen. Ihr Name: Team Jorge“ berichtet. Dort ging es um Anbieter von Wahlmanipulationen via Desinformation fast überall auf der Welt, etwa durch Schmutzkampagnen gegen Politiker - unter anderem in dem deren Telefone und Mail-Accounts gehackt und in ihrem Namen falsche Nachrichten verschickt wurden. Also, in dem Artikel ging es speziell um Wahlen, in dem bislang demokratisch relativ stabilen Kenia. Jetzt wird berichtet, dass Ihr eine russische Troll- oder Bot- Armee enthüllt habt. Was habt Ihr herausgefunden? Wie habt Ihr das aufgedeckt und vielleicht kurz vorab zusammengefasst, was ist der Unterschied zwischen einem Troll und einem Bot?

Conrad Häßler: Ja, also vielleicht kurz zur Genese des Ganzen. Wie kamen wir dazu? Wir haben hier ein Team von Analysten bei uns in der Arbeitseinheit 607, die haben das im Dezember sich genau angeschaut. Es geht zurück auf eine Analyse, die wir bereits im Frühjahr 2023 vorgenommen hatten, und dann wurde nachgeschaut: Was ist eigentlich aus diesen Accounts auf X - es geht um die Plattform Twitter, jetzt X - was ist aus diesen Accounts geworden, und sind die noch aktiv? Und dann fiel auf: Die sind sehr aktiv, mehr als zuvor, und sie setzen in sehr, sehr kleinen Zeitabständen - wirklich, also jeder Account - und da liegen Sekundenbruchteile dazwischen - setzen die Nachrichten ab, und das in der ganzen Bandbreite in ganz unterschiedlichen Foren, Diskussionsgruppen auf X, immer wieder mit dem Ziel, letztlich die Ukraine-Politik der Bundesregierung anzugreifen, sie zu diskreditieren und zu sagen: „Ihr gebt so viel Geld für die Ukraine-Unterstützung aus, aber in anderen, in anderen Politikbereichen fehlt dieses Geld!“ und, dieses Muster war dann sehr, sehr schnell offensichtlich. Das sind also bis heute 50.000 Accounts, die da aktiv gewesen sind, wie gesagt, hochfrequent und in unterschiedlichen Bereichen, und wo es jetzt noch besonders hinterlistig wird, ist, dass dann Links eingefügt wurden in diese Posts. Wenn man da drauf klickt, als User wird man auf gefälschte Medienwebsites geleitet, also von ‚Spiegel‘, ‚Süddeutsche‘,‘ Welt‘, und das gibt dem Ganzen nochmal den Anstrich der wahrgenommenen Seriosität – dass man sagt: „Oh, da haben ja auch traditionelle Medien darüber berichtet. Dann muss es ja stimmen!“ Jetzt nochmal der Unterschied: Troll und Bots. Also Bot ist quasi der Grad der Automatisierung. Also ein Bot- Netzwerk ist hoch automatisiert. Das heißt, das konnten wir auch nachweisen, weil einfach die Muster, wie diese Posts abgesetzt wurden, auf eine Automatisierung schließen lässt, dass also jeder Account alle 45 Minuten etwas postet, dass bis zu 50.000 Accounts dabei sind. Teilweise wurden Post abgesetzt zweimal pro Sekunde. So hochfrequent ist das gelaufen. Also, das zeigt schon, dass kann kein realer Mensch im Hintergrund so bedienen. Und davon abzugrenzen sind dann sicherlich die Trolle oder die Troll-Fabriken, die man vorher kannte, wie man sich das halt so vorstellt: eine große Halle mit unzähligen Computern und Personen, die dahinter sitzen, die dann versuchen, durch reale Einwirkungen Debatten zu steuern oder zu manipulieren. Also das ist jetzt der Unterschied zwischen Automatisierung und realen Personen, die im Hintergrund operieren.

Irene Biontino: Müssen wir uns Sorgen machen, dass diese Programme mithilfe künstlicher Intelligenz immer effizienter werden und immer schwerer zu bekämpfen?

Lutz Güllner: Ja, müssen wir, weil das nämlich genau die Realität entspricht. Wir sehen, dass diese Aktivitäten immer schneller werden, immer einfacher, immer billiger und immer dezentraler, und ich glaube, der große Unterschied zu der Situation von vor einigen Jahren noch, wo man tatsächlich diese Troll-Armeen - da musste man reale Leute bezahlen - man musste irgendwie eine Halle zur Verfügung stellen, das Netzwerk musste gebaut werden. Das geht jetzt sehr viel einfacher. Indem man das nämlich weiter automatisiert und was die KI in diesem Bereich macht, und ich spreche dann lieber von einer Evolution oder Weiterentwicklung als von einer Revolution, können wir gleich noch mal ein bisschen drüber sprechen, aber die macht das natürlich noch mal einfacher. Und ich glaube, was die Kollegen im AA entdeckt haben, zum Teil auch mit Indikatoren, zum Beispiel nicht nur dieses hochfrequente, sondern auch, dass sich da zum Teil kyrillische Buchstaben auf einmal gefunden haben in einigen Tweets, wo sie gar nicht reingehören, das sind kleine Indikatoren, das sind Fehler, die können passieren, und je weiter man die KI verfeinert in diesem Bereich, desto weniger werden diese Fehler passieren, also desto weniger werden wir auch Indikatoren bekommen können. Aber ich bin der Meinung, dass KI Teil des Problems, aber wahrscheinlich auch Teil der Lösung sein wird in der Zukunft. Vielleicht bin ich da zu hoffnungsvoll, aber wir wissen von einigen der aktiven Akteure in diesem Bereich, also gerade im Forschungsbereich, im NGO Bereich, die KI eben weiterentwickeln, um genau solche automatisierten Accounts eben auch aufzudecken. Deswegen muss man sehen, ob das Glas wirklich halb voll oder halb leer ist.

Irene Biontino: Ja, das war jetzt schon ganz gut zur Frage, was können wir dagegen tun? Gibt's noch Ergänzungen hier aus dem Haus?

Swantje Kortemeyer: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir unsere Zivilgesellschaft stärken, dass wir unseren Schülern, unserer Jugend, aber auch der Generation 60 plus - meinem Vater- erklären, wie diese Instrumente funktionieren, und wie die Manipulation funktioniert, damit sie die Strukturen verstehen und da nicht so leicht drauf reinfallen. Weil letztendlich geht es ja darum, dass wir unsere Demokratie stärken und unsere Zivilgesellschaft stärken. Und dafür brauchen wir ganz viel Medienbildung.

Conrad Häßler: Und ich würde noch ergänzen. Ich meine, niemand möchte gerne manipuliert werden. Es gibt ja keinen, der sagt: „Lasst mich, ich lasse mich manipulieren!“ und das ist, glaube ich, wo man auch ansetzen muss. Es ist ja zutiefst menschlich, dass man dem vorbeugen will, und deshalb ist es wichtig, Medienkompetenz, also sozusagen die Person vor dem Bildschirm zu schulen, zu trainieren und zu sagen, gerade heute mit - wir haben über KI gesprochen – ‚Deepfakes‘: „Ja, es wird immer wichtiger, genau darauf zu achten. Wo kommt die Information her? Gibt es noch andere Quellen? Glaubt nicht nur immer einer Quelle! Ja, man muss immer doppelt und dreifach prüfen. Gibt es sozusagen vielleicht auch andere Medien, traditionelle Medien, die darüber berichten? Also, das sind Punkte, wo jeder einzelne etwas tun kann, um eben nicht manipuliert zu werden. Das ist, glaube ich, ganz wichtig.

Irene Biontino: Ja, also, das ist schon ein Teil der Antwort auf die Frage, wie Bürgerinnen und Bürger unkompliziert selber feststellen können, wer die Wahrheit sagt. Es gibt ja auch Fakt-Checking-Apps. Welche könnt Ihr da empfehlen? Wie kann man deren Seriosität feststellen?

Lukas Münster: Ja, auf Taiwan gibt es doch zum Beispiel die App “Auntie MeiYu„ die in Chatprogrammen wie WhatsAPP direkt auf Falschinfos reagiert. Ähnliches gibt es auch bei uns z.B. mit dem Faktencheck der dpa.

Conrad Häßler: Es gibt eine ganze Reihe. Ich würde jetzt auch gar keine rausgreifen. Man kann sich die, glaube ich, sehr gut zusammensuchen, also die sind auf jeden Fall hilfreich. Ja, wir würden auch sagen, dass, wenn man jetzt, auf eine Information stößt, kann man zumindest da auch schon mal schauen: Ist das vielleicht bei einer dieser Fact-Checking-Seiten auch schon aufgegriffen worden und widerlegt worden? Vielleicht will ich doch eine rausgreifen, nämlich “euvsdesinfo„, weil Lutz Güllner ja heute bei uns ist und sein Team auch diese Fact-Checking-Seite mitbetreibt. Und ich will aber Lutz nicht vorgreifen. Aber in der Tat ist das eine Art und Weise, wie es gehen kann, dass man dort prüft und da drauf schaut und sich dann dort nochmal quasi beraten lässt durch das Team von “euvsdesinfo„.

Lutz Güllner: Ja vielleicht, wenn ich da gleich anschließen kann. Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Tätigkeiten dort. Das gibt das Fact-Checking, das heißt einfach auf Wahrheitsgehalt, also die Fakten einfach nochmal zu überprüfen. Es gibt aber auch etwas, und das machen wir in erster Linie auf der “euvsdesinfo„. Was Conrad gerade angesprochen hat, ist, sich nochmal anzugucken: Was sind eigentlich die Mechanismen, die dort benutzt werden? Also nicht nur welche Narrative, welche Erzählungen werden eigentlich gespielt, sondern welche Methoden werden eigentlich benutzt? Also wie werden diese Narrative ausgespielt. Was ist die, was ist das typische Herangehen an solche Kampagnen oder an solche Aktivitäten? Was sind die Instrumente, die dort benutzt werden, und ohne jetzt die Bedeutung von “euvsdesinfo„ zu groß aufzublasen hier. Aber unser Anspruch ist eher ein edukativer in dem Sinne zu zeigen: Vorsicht, im digitalen Raum wird sehr intensiv und manchmal sehr gezielt auch manipuliert, und man kann sich dagegen schützen, indem man nämlich genau weiß, wie diese Manipulations-Methoden oder welche Instrumente da genau eingesetzt werden. Das ist meines Erachtens auch eines der absolut wichtigsten Instrumente, Rezepte, die wir haben, um gegen diese Aktivität, Manipulation, um gegen Desinformation vorzugehen, ist das Bewusstsein um die Risiken der Manipulation. Ich benutze mal gerne ein bisschen schiefes Bild, aber trotzdem, es erklärt, glaube ich, ganz gut was wir machen wollen. Es ist so ein bisschen wie im Verbraucherschutz. Wenn jemand ein schlechtes Produkt kaufen möchte und ein großer Fan von diesem schlechten Produkt ist, dann wird er oder sie dieses Produkt auch immer finden und wahrscheinlich auch weiterverbreiten. Können wir wahrscheinlich gar nicht so viel dagegen machen. Aber wo wir etwas dagegen machen können, ist, wenn Leute sozusagen manipuliert werden, wenn die Angaben sozusagen über Herkunft, über Inhalt, über Intention, wenn die manipuliert werden, und man das genau aufzeigt. Wie funktioniert das? Das ist, glaube ich, ein sehr, sehr wichtiges Instrument, und wir haben natürlich noch ein Instrument noch gar nicht angesprochen. Auch die Regulierung in diesem Bereich kann wirksam sein. Wir haben auf europäischer Ebene eine neue Gesetzgebung, das digitale Dienstleistungs-Gesetz, das jetzt gerade eben erst angenommen wurde, ist noch gar nicht richtig umgesetzt. Aber wir haben es, und das ist sehr gut, und das hat einen wichtigen Ziel-Vektor. Und das ist natürlich die Rolle der sozialen Medien, der sozialen Medien- Plattformen und auch ihre Rechenschaftspflichten, und ihre Transparenz-Pflichten auch in diesem in diesem Bereich. Also da muss man, wenn man über Strategien nachdenkt: Wie kann man gegen dieses Phänomen “Desinformation auch von staatlicher Seite„ vorgehen, also von externen staatlichen Akteuren selbstverständlich, dann muss man ganz viele verschiedene Bereiche zusammendenken: dieses Aufdecken, dieses Bewusstsein, dieses, was man im Englischen als “Awareness„ bezeichnet, unsere eigene Kommunikation und genau das, was die beiden Kollegen erwähnt haben, diese Stärkung der Zivilgesellschaft, der zivilgesellschaftlichen Akteure und die und regulatorische Elemente natürlich genauso. Und lassen Sie uns bitte auch nicht vergessen: unsere internationale Zusammenarbeit, unsere Außenbeziehungen in dem Bereich, unsere Partner zum Beispiel in dem berühmten Gleichgesinnten-Bereich, also gerade im G7, wo wir auch voneinander lernen können, wie wir mit diesem Thema umgehen, als liberale Demokratien, und wo wir alle die freie Meinungsäußerung absolut auf Top-Niveau schützen wollen, aber gleichzeitig auch gegen ein Problem vorgehen müssen, das tatsächlich zum Problem beziehungsweise zur Destabilisierung unserer Demokratien führen könnte. Das heißt, wir haben da schon, wir haben da schon einiges getan und wahrscheinlich auch noch einiges zu tun in der Zukunft.

Irene Biontino: Sie haben dieses Gesetz erwähnt und den Verbraucherschutz. Da gibt es ja die Verbraucherschutzzentralen, und wir haben eine Hörer-Frage, die genau diesen Aspekt aufgreift.

Lukas Münster: Genau, es wird tatsächlich ganz konkret gefragt: “Wenn ich jetzt selber als Bürger im Internet auf Desinformation stoße, an wen wende ich mich dann, um sozusagen die Anzeige zu stellen? Also, gibt es da eine offizielle Meldebehörde oder irgendeine Stelle, an die ich mich wenden kann? Und wenn ja, wo und wie erreiche ich die?„

Irene Biontino: Hat jemand darauf eine Antwort?

Lutz Güllner: Wir haben natürlich eine Ausgangssituation, wo wir keine Zensur haben und auch keine Zensur haben wollen in unserem öffentlichen Raum. Deswegen gibt es nicht die zentrale Behörde, an die man sozusagen alles, was irgendwie, was einem nicht gefällt, oder was, was man glaubt, sozusagen melden kann. Und das ist auch gut so. Und gerade noch in Deutschland mit Länderkompetenz ist das sowieso eine andere Sache. Das heißt, wir müssen uns angucken: Was genau ist das Problem? Es gibt natürlich unterschiedliche Formen von Desinformation. Wenn Desinformation in der Form von Hassbotschaften, von Antisemitismus und zum Teil mit illegalen Inhalten aufgespürt wird, dann ist das gegen das Gesetz und wird sowohl von nationalen Gesetzen auf deutscher Ebene als auch jetzt durch dieses digitale Dienstleistungsgesetz, das wird auf europäischer Ebene jetzt geahndet, und da gibt es entsprechende Meldebehörden. Es wird ein bisschen komplizierter bei Desinformation, die eben nicht unbedingt falsch ist, die eben nicht unbedingt sozusagen ganz klar zugeordnet werden kann. Da braucht man nämlich dann zum Teil forensische Möglichkeiten, um da nochmal genau zu sehen: Ist da was falsch dahinter? Aber auch hier würde ich immer sagen: bitte an die, an die Fact-Checking Organisationen, an zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder wenden und selber auch seinen eigenen Freundes- und Bekanntenkreis darauf hinweisen: Hier ist was nicht richtig! oder einfach als Frage: “Ist das hier richtig?„ Weil am Ende, was wir ja wollen, ist, dass wir mündige Bürgerinnen und Bürger haben, die eben so weit wie möglich gegen diese Manipulation geschützt werden können, gerade in diesem Bereich, der eben durch Grundgesetz und unsere Grundwerte eigentlich so hoch geschützt ist. Ich weiß es ist nicht ganz einfach. Da ist nicht schwarz und weiß: Da geht man hin, und dann wird das abgeschaltet. Sondern es ist nur sehr, sehr wichtig, trotzdem aktiv zu werden und das auch selber zu verfolgen.

Irene Biontino: Weiß jemand hier am Tisch, wer diese Meldebehörden sind? Also, wenn ich jetzt was finde und möchte das gerne anzeigen, dann werde ich wahrscheinlich kein europäisches Gesetz deshalb studieren. Gibt es beim Auswärtigen Amt einen Briefkasten, wo man sich da beschweren kann, wenn man sowas findet?

Conrad Häßler: Also, das kommt immer drauf an: Was ist jetzt die Zielrichtung einer möglichen Desinformation? Und wir haben ja ganz klar den Auftrag, als Auswärtiges Amt, uns nach außen zu orientieren, also die außenpolitischen Interessen Deutschlands zu schützen, und verfolgen daher gar nicht die Debatten hier im Inland. Also wir schauen uns auch nicht an, was wird jetzt hier auf “X„ oder anderen Plattformen zu innenpolitischen Themen besprochen, weil das nicht unser Auftrag ist. Ich wollte auch noch mal unterstreichen, was Lutz sagte, es gibt keine zentrale Meldebehörde, weil es ja auch nicht den Anspruch gibt, eines Wahrheitsministeriums. Es soll es ja auch nicht geben. Es soll keine zentrale Stelle bestimmen können, was ist wahr und was ist falsch, sondern wir wollen immer wieder darauf hinweisen, wie die Abläufe von Desinformationen sind, wie die Mechanismen von Desinformationen sind, und wenn man das dann sozusagen einsickern lässt in die kollektive Wahrnehmung, dass es diese Möglichkeiten der Manipulation gibt, dann ist man schon ein Stück besser gewappnet, solche Desinformationsvorkommen zu erkennen.

Lukas Münster: Na ja, ich würde sagen, da gibt es doch auch Meldestellen bei den Social Media Plattformen wie zum Beispiel Facebook. Das lässt sich leicht googeln.

Irene Biontino: Wie ist da die Aufgabenteilung innerhalb der Bundesregierung?

Conrad Häßler: Also, es gibt zwischen den einzelnen Ministerien natürlich einen engen Austausch. Da sind in aller vorderster Linie zu nennen: das Bundesinnenministerium, dann das Bundespresseamt, auch das Bundeskanzleramt und andere Behörden sind hier sehr stark mit involviert. Wir beraten und konsultieren mehrfach pro Woche in verschiedenen Zusammensetzungen, um letztlich zu sagen, was ist in Eurem Bereich aufgefallen? In den vergangenen Tagen habt Ihr Desinformations-Fälle? Gibt es da falsche Behauptungen, die im Raum stehen und die sich verbreiten? Und dann ist das im Grunde schon sehr hilfreich, weil man dann sagen kann: Okay, das hat jetzt vielleicht einen gewissen Dringlichkeitsgrad erreicht, wo wir uns gemeinsam jetzt Gedanken machen sollen. Ist das jetzt hier eine Attacke, die in sozialen Medien gegen die komplette Bundesregierung stattfindet, und wie reagieren wir darauf? Also, das findet auf jeden Fall statt, aber es könnte natürlich noch zentraler laufen. Das ist alles noch derzeit recht dezentralisiert, aber auch daran wird bereits gearbeitet, diese Strukturen noch etwas zentraler zu organisieren.

Irene Biontino: Und wie bereiten wir uns auf das vor, was auf uns zukommt? Also ganz konkret, am 9. Juni wählen wir hier in Deutschland ein Europaparlament. Wie bereiten wir uns auf die Wahlen vor? Firmen laden ja Hacker zu Wettbewerben ein, bei denen es darum geht, die Firmen-Software zu knacken. Planen wir eine europaweite Troll-Suche, so wie ‚Jugend-Forscht‘, damit sich alle Wähler mit ungetrübter Linse ein Bild von den demokratischen Angeboten und Leistungen der Kandidaten machen können? Sozusagen Bot- und Troll-frei nach dem Troll Putz? Oder wie muss man sich das vorstellen?

Swantje Kortemeyer: Also, wir sind zwar ‚Digitaldetektive‘, aber ganz genau so machen wir es dann nicht. Was wir definitiv machen, ist, dass wir den Austausch auch gerade zwischen den verschiedenen Ressorts dafür verstärken, aber auch innerhalb der EU. Da kann vielleicht Lutz auch noch mehr dazu sagen, dass wir da natürlich auch uns mit den Partnern viel stärker austauschen und gucken, was wir beobachten.

Die Wahlen kommen ja auch nicht überraschend für uns also. Das Europaparlament hat sich im letzten Jahr auch schon sehr umfassend damit auseinandergesetzt, welche Risiken es da gibt und den Bericht auch vorgelegt und auch Lutz und sein Team haben jetzt gerade noch mal wieder einen neuen Bericht vorgestellt zu der Informationsmanipulation.

Conrad Häßler: Und es kommt sehr stark jetzt - das ist ja das, was wir am Anfang sagten: Der aktive Teil unserer Kommunikation ist wichtig. Wir wollen also jetzt auch sehen, bis zum 09. Juni was, wie können die Vorzüge der europäischen Einigung den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen?

Irene Biontino: Danke. Wie sieht es aus mit anderen Wahlen oder anderen Ländern? Wir hatten eine Hörerfrage, die sich auch mit diesem Thema beschäftigt.

Lukas Münster: Genau da hat eine Hörerin, die Frage, ob es irgendwie so ein Ranking gibt, dass man sagen kann, von welchen Ländern die meiste Desinformation ausgeht, beziehungsweise welche Länder auch am meisten von Desinformation betroffen sind.

Conrad Häßler: Also, so ein Ranking gibt es nicht, aber es gibt natürlich Desinformationsakteure, die mehr oder weniger stark in Erscheinung treten und dann auch unterschiedliche Methodiken anwenden. Vielleicht aber erst mal zum zweiten Teil der Frage: Gibt es Regionen oder Länder, die besonders betroffen sind? Ja, also da denken wir in erster Linie natürlich an die westlichen Balkanstaaten. Das ist ja auch das, womit sie -sozusagen die Region - mit der sich die Arbeitseinheit von Lutz Güllner schon früh beschäftigt hat. Jetzt kommt neu hinzu eine eigene Task Force auf EU-Ebene, also im EAD, für strategische Kommunikationsfragen zu Afrika, und da fällt natürlich auf: Das sind meistens Regierungen, Länder, die vielleicht nicht die Ressourcen haben, die uns zur Verfügung stehen, und die technischen Möglichkeiten, um Desinformationen aufzudecken. Wir sprachen ja vorhin über “Team Jorge„, das auch vor allem in Afrika aktiv war. Also da ist noch sehr, sehr viel, ja, an Vorsicht geboten und auch an Kooperation, um gemeinsam mit den afrikanischen Partnerländern oder auch in den Westbalkanstaaten hier ja letztlich eine Art Bewusstseinsschaffung vorzunehmen, dass Desinformation wirklich eine reale Gefahr ist.

Lutz Güllner: Es gibt so eine Faustregel: je weniger Medien-Pluralität und je weniger Professionalismus, sag ich mal jetzt gerade von journalistischen Standards, von Dezentralisation und so weiter, desto vulnerabler sind die Länder eigentlich, und das kann man nicht 1 zu 1 umsetzen natürlich. Aber deswegen ist viel unserer Arbeit eben nicht, gegen einzelne Narrative, einzelne Erzählungen unbedingt vorzugehen. Das müssen wir auch machen oder müssen auch die Länder selber machen, aber insbesondere strukturell eben auch zu helfen. Wir haben gerade eben gesprochen über die unglaubliche Bedeutung der Zivilgesellschaft in diesem Bereich. Fact-Checker, Journalisten, digitale Medienkompetenz, und überhaupt erst mal das Bewusstsein um die verschiedenen Gefahren und Formen auch dieser Desinformation und Informationsmanipulation, das ist also ein Bereich, in dem wir sehr, sehr viel investieren, wahrscheinlich noch nicht genug. Aber das ist für uns ein wesentlicher Bestandteil. Das zählt in gewisser Weise natürlich auch für die Europäische Union, weil wir ja auch nicht perfekt sind und unsere Mitgliedsstaaten. Aber es zählt natürlich noch mehr in Partnerländern, egal in welcher Region, die eben strukturell weniger gut aufgestellt sind.

Lukas Münster: Eine Hörerin fragt noch mal ein bisschen spezifischer und zwar um das Thema Taiwan und die Präsidentschaftswahlen, die jetzt vor ein paar Wochen stattgefunden haben, und hat die Frage - beziehungsweise das haben Sie jetzt auch vielleicht schon ein bisschen beantwortet, weil Sie meinten, es gibt kein Ranking. Aber, dass zu den Präsidentschaftswahlen Taiwan am stärksten von Desinformation betroffen war, beziehungsweise eine große Zielscheibe dargestellt hat. Und da war die Frage, ob Sie wissen: Wie haben sich denn Taiwan und seine Bevölkerung gegen Desinformation geschützt? Gibt es da irgendwelche Maßnahmen, von denen Sie wissen?

Conrad Häßler: Also, wir sind zum Beispiel in Kontakt mit ‚Double Think‘. Das ist so ein Think Tank, die sich genau das zum Ziel gesetzt haben, also eine Art eigene Fact-Checking-Seite zu betreiben, gleichzeitig aber auch Desinformationen aufspüren. Also da ist die Taiwanische Zivilgesellschaft, glaube ich, schon sehr gut aufgestellt, weil es natürlich auch wegen der politischen Lage und jetzt natürlich Wahljahr, ja, aber es ist ja nicht das erste Mal. Ich meine, die Lage ist ja schon seit Jahren so, hat sich da sozusagen auch eine gewisse Bedrohungslage herausgebildet, und der versucht man eben dadurch zu begegnen, dass man eben in der Zivilgesellschaft auch diese Strukturen hat.

Irene Biontino: Wir sprachen eben über mehr südlich gelegene Länder. Wie sieht das aus mit der Kooperation?

Conrad Häßler: also wir leisten Resilienzarbeit. Resilienz heißt für uns, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Desinformationen zu erhöhen. Und das machen wir in verschiedenen Weltregionen. Wir haben letztes Jahr verschiedene Projekte in Afrika durchgeführt, aber auch in der Balkanregion, letztlich immer mit dem Ziel, zwei Sachen zu verfolgen: das Eine: die Medienkompetenz in der breiten Gesellschaft zu erhöhen und gleichzeitig unabhängigen Journalismus zu fördern. Denn das, was vorhin ja auch schon zur Sprache kam: die Medien-Pluralität ist sehr, sehr wichtig, und da spielt auch Journalismus, also wirklich professioneller Journalismus, eine gewichtige Rolle.

Irene Biontino: Wie muss man sich das praktisch vorstellen ‚Medienkompetenz erhöhen‘? Sind das dann Seminare, in denen das erklärt wird, was Ihr jetzt uns erklärt?

Lutz Güllner: Das kann alles Mögliche sein. Das können Seminare sein. Das kann Erwachsenenbildung sein. Das kann im Jugendarbeitsbereich sein. Das kann im digitalen Bereich sein. Da gibt es sehr unterschiedliche Formen, und das ist auch nicht ganz neu, glaube ich. Wir machen ja das schon als Europäische Union, als Mitgliedsstaaten, schon seit einer ganzen Weile, gerade in der Arbeit in unserem Kooperationsbereich. Was, glaube ich, neu ist, ist, dass man eigentlich drei Bereiche zusammen denken muss. Also da geht es einerseits um diese Medien, Medienkompetenz, Medienvielfalt. Auch da muss man natürlich diesen ganzen Technologiebereich auch mit einbauen, nachdem sich eben die meisten Dinge in diesem digitalen Raum auch abspielen und der manchmal sehr technisch ist. Da muss man nicht alles verstehen. Man muss nicht genau wissen, wie jeder Algorithmus funktioniert. Aber als zivilgesellschaftlicher Akteur, der oder die in diesem Bereich aktiv werden will, braucht man natürlich auch ein gewisses Grundverständnis. Also das kommt dann auch mit rein. Und der dritte ist genau der Bereich, über den wir hier als Außenministerium natürlich auch sprechen: dass es nicht nur eine Frage der Instabilität oder nicht nur eine innenpolitische Frage sein kann, sondern dass das manchmal auch externe Akteure sind, wo es also dann noch einen sicherheitspolitischen Aspekt auch mitbekommen kann, und deswegen sind diese Programme relativ neu. Ich glaube, wir arbeiten da alle ganz eng zusammen, auch mit unseren G7 Partnern in dem Bereich, und es ist, glaube ich, einer der ganz, ganz wichtigen Bereiche, in dem wir gemeinsam investieren momentan. Und vielleicht noch mal ein Wort zu Taiwan, weil es eben angesprochen wurde: Es ist ja nicht so, dass wir alle Antworten in der EU, also entweder in Brüssel oder in Berlin, auf dieses relativ neue, nicht ganz neu natürlich, aber sich immer weiterentwickelnde Phänomen haben. Und wir können genauso lernen von unseren Partnern international. Weil viele haben mit ähnlichen Herausforderungen zu tun, und gerade wie die Zivilgesellschaft in Taiwan dieses Thema angegangen ist. Das ist, glaube ich, ein ganz, ganz interessanter Ansatz, und das wirklich intensivst in diese Kompetenz der Bevölkerung zu investieren, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt, auch für uns.

Conrad Häßler: Das würde ich auch gerne noch mal unterstreichen. Also wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass auch Partnerländer wie die Ukraine uns sehr, sehr viel auch beibringen können: wie der Umgang mit Desinformation am besten funktioniert, wie strategische Kommunikation in Krisenlagen funktioniert. Also wir hatten letztes Jahr einen Workshop hier über mehrere Tage mit einem Team aus Kiew, und es war auch für uns wahnsinnig interessant. Wir haben sehr viel mitgenommen. Also das kann ich nur unterstreichen, dass wir natürlich auch immer wieder die Augen und die Ohren offenhalten, wo wir noch Input mitnehmen können für unsere Arbeit.

Irene Biontino: Ja also, Stichwort: aktuelle Konflikte und Krisen. Jetzt ist die Ukraine erwähnt worden. Wie sieht das denn aus mit dem Konflikt im Nahen Osten?

Conrad Häßler: Also seit dem 07. Oktober waren wir während wir tatsächlich vorher sehr stark in so einem Ukraine Modus waren, sind wir dann sehr schnell in den Nah-Ost Modus gewechselt, wobei Ukraine auch weiterhin natürlich sehr stark auf unserem Schirm ist. Aber natürlich, im Nahen-Osten haben wir gleich am ersten Wochenende nach der Hamas Terrorattacke ja schon gesehen, wie sich Desinformation verbreitet hat. Da gab es Videoausschnitte, die eigentlich aus Videospielen waren, die als echt dann sozusagen dargestellt wurden, vermeintlich. Dann gab es vermeintliche Attacken, Luftangriffe auf Gaza. Es stellte sich heraus, dass das dann aber eigentlich nur eine Dachterrasse in Algier war, wo Fußballfans Feuerwerkskörper gezündet hatten. Also das zeigt einmal mehr, wie mit Bildern da gearbeitet wurde, und gleichzeitig muss man dann eben auch sehen, gab es ja dann auch sehr, sehr kontroverse Situationen, brenzlige Situationen, wenn es um das Al-Ahli-Krankenhaus ging. Mitte Oktober, wo im Raum stand: War das jetzt also ein Geschoss, eine Rakete von israelischer Seite, oder war das tatsächlich etwas, was aus Gaza heraus abgefeuert wurde? Und auch da zeigte sich, wie schnell dann auch hier der Mobilisierungsgrad war, also die Meldung war keine 30 Minuten in der Welt. Dann gab es schon erste Demonstrationen hier vor dem Brandenburger Tor. Und erst am nächsten Tag, als das dann alles nochmal genau bewertet wurde, stellte sich heraus, wie es wirklich gewesen sein könnte. Und das sind Punkte, die uns natürlich auch aufgefallen sind, vor allem diese Mobilisierung - nicht nur auf den Plattformen, die wir vielleicht besonders im Blick haben, sondern auch auf anderen - TikTok sei hier genannt. Und für uns kommunikativ ist durch den Nah-Ost-Konflikt, diese neue Eskalation auch nochmal Bedarf entstanden, wie wir überhaupt kommunizieren in unserer Außenpolitik. Und da sind wir in einem sehr, sehr engen Austausch mit unseren Auslandsvertretungen, nicht nur in der Region, sondern im Grunde weltweit.

Irene Biontino: Das erinnert mich, dass wir nicht nur digital kommunizieren, sondern letztlich, wie es so schön heißt: “The proof is in the pudding„. Also was man anfassen kann, kann man dann oft dann doch noch etwas besser beurteilen. Und vor diesem Hintergrund ist es eben auch wichtig zu erwähnen, dass vom 24. bis 26. Mai aus Anlass des 75. Geburtstages unseres Grundgesetzes die Bundesregierung ein Demokratiefest organisiert, in Berlin-Mitte, in der Gegend des Bundestages, wo im Rahmen diverser Veranstaltungen Dialoge, der direkte Austausch zwischen denen, die Politik gestalten, und denen, die sie auch mitgestalten, weil sie nämlich wählen, stattfinden soll. Und das ist dann eben doch die Möglichkeit, Dinge mal anzufassen, die man sonst nur sehen kann.

Herzlichen Dank an meine Gesprächspartner und Partnerinnen heute und an unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir freuen uns über Zuschriften, Anregungen, Themenvorschläge und Fragen an podcast@diplo.de, und wer als Autor oder Autorin genannt werden möchte, namentlich oder anonymisiert, der möge das dazuschreiben. Ansonsten hoffe ich, Sie das nächste Mal wieder dabei zu haben. Machen Sie es bis dahin gut und schalten sich wieder ein. Vielen Dank, auf Wiederhören!

ENDE

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