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Rede von Außenministerin Annalena Baerbock auf dem Eröffnungspanel der Ukraine Recovery Conference

21.06.2023 - Rede

„Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, wieder zur Schule zu gehen, mit meinen Freundinnen und Freunden Volleyball zu spielen und ein normales Leben zu leben.“

Das sagte mir im Januar in Charkiw eine Teenagerin, 16 Jahre alt, die ich in einem Wärmeraum getroffen habe, mitten in einer von russischen Bomben zerstörten Stadt, bei Temperaturen von minus 15 Grad.

Sie erzählte mir, dass es für sie seit Beginn des russischen Angriffskriegs Teil ihres Alltags geworden ist, bis 45 zu zählen.

Denn es dauert nach dem Ertönen der Sirenen 45 Sekunden, bis die russischen Raketen in Charkiw einschlagen.

45 Sekunden – wenn man Glück hat, ist das genug Zeit, um den kleinen Bruder oder die Großmutter in Sicherheit zu bringen.

Aber 45 Sekunden sind nicht genug Zeit für ein normales Leben. 45 Sekunden sind nicht genug Zeit, um zur Schule zu gehen. 45 Sekunden sind nicht genug Zeit, um Volleyball zu spielen.

Ich glaube, dass es bei der heutigen Konferenz um diese Teenagerin aus Charkiw und um die Jungen und Mädchen ihrer Generation geht – es geht darum, die Ukraine beim Aufbau einer Zukunft zu unterstützen, in der alle Ukrainerinnen und Ukrainer wieder in Freiheit, Sicherheit und Frieden leben.

Seit dem Moment, in dem Russland am 24. Februar 2022 seinen skrupellosen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, stehen wir alle, die wir heute hier versammelt sind, fest an der Seite der Ukraine – auf der Seite des Selbstverteidigungsrechts der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Diese Zusage gilt weiter. Für die Bundesregierung und für alle anderen Regierungen, die heute hier zusammengekommen sind, gilt diese Zusage, so lange es nötig ist.

Gemeinsam setzen wir Präsident Putins Angriffskrieg eine Wiederaufbauoffensive entgegen – geeint bei der Verteidigung, geeint beim Wiederaufbau.

Wir unterstützen die Ukraine weiterhin finanziell, politisch und mit Waffen.

Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt – und Frieden erlangt.

Deshalb haben wir deutlich gemacht, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehört. Und, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits sagte, das Update der Europäischen Kommission von heute Morgen zu den Reformbemühungen der Ukraine zeigt, dass das Land – trotz des Krieges – lobenswerte Fortschritte macht.

Die Ukraine wird letztlich ein Mitglied der Europäischen Union werden.

Gemeinsam mit unseren Partnern arbeiten wir auch auf eine größere politische und praktische Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der NATO hin.

Und meine Kollegin Entwicklungsministerin Svenja Schulze und ich sind heute auch hier, um zu unterstreichen, dass die Bundesregierung ihre Bemühungen um den Wiederaufbau der Ukraine erhöht.

Dieser Wiederaufbau beginnt mit humanitärer Unterstützung:

Deutschland wird der Ukraine im Jahr 2023 zusätzliche 381 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen – für alles, was die Menschen, die kürzlich geflohen sind oder ihr Zuhause verloren haben, benötigen, von Generatoren über Lebensmittel bis hin zu Zelten.

Wir werden auch unsere Arbeit zur Minenräumung fortsetzen – denn es kann dort keinen Frieden geben, wo Menschen in ständiger Angst davor leben, dass ihre Kinder beim Spielen auf eine Mine treten könnten.

Diese Unterstützung leisten wir zusätzlich zu der gemeinsam vom Auswärtigen Amt, vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vom Wirtschaftsministerium und von vielen anderen Stellen der Bundesregierung geleisteten Wiederaufbauhilfe.

Denn ja, beim Wiederaufbau geht es um Geld. Es muss um Geld gehen.

Seit Beginn des russischen Krieges hat Deutschland 16,8 Milliarden Euro an Unterstützung im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zur Verfügung gestellt, darunter auch für militärische Unterstützung. Und wir würdigen diejenigen Länder, die – auch in Bezug auf ihr BIP – ähnliche Beiträge geleistet haben.

Aber mit Blick auf den langfristigen Wiederaufbau ist Geld allein nicht genug.

Wir wollen die Ukraine bei einem Wiederaufbau nach der Devise „build back better“ unterstützen, wie wir es auf der Wiederaufbaukonferenz in Lugano im letzten Jahr und auch in Italien bezeichnet haben.

Das bedeutet, dass wir die Ukraine beim Wiederaufbau ihres Energiesektors dabei unterstützen, in erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu investieren – und damit bei einem Wiederaufbau, der grün und daher langfristig angelegt und nachhaltig ist.

Und der Wiederaufbau ist ein gemeinsames Unterfangen, das nur gelingen wird, wenn Akteure aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor zusammenarbeiten – so wie Du, lieber James, es schon viele Male gesagt hast.

Trotz des Krieges und der Schäden, die dieser in der ukrainischen Wirtschaft anrichtet, sind viele deutsche Unternehmen weiterhin in der Ukraine tätig – im Gesundheitswesen, im Energie-, Lebensmittel- und Wasserversorgungssektor. Und sie begreifen den Wiederaufbau als Chance für Wachstum.

Ich begrüße dies. Sie stellen nicht nur Waren, Dienstleistungen und Arbeitsplätze zur Verfügung – sie schaffen Vertrauen in die Zukunft der Ukraine.

Als Bundesregierung unterstützen wir diese Unternehmen daher mit nationalen Investitionsgarantien – denn ja, auch das ist politisch.

Und wir ermutigen andere, es uns gleichzutun, damit Unternehmen nicht vor Investitionen in der Ukraine zurückschrecken.

Und schließlich bin ich überzeugt, dass wir den Wiederaufbau der Ukraine noch stärker mit dem EU-Beitrittsprozess verknüpfen müssen.

Unser Ziel ist der Wiederaufbau einer Ukraine, die „fit für die EU“ ist.

Wir stehen bereit, um die Ukraine in ihren Reformbemühungen auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft zu unterstützen.

Aus diesem Grund werden wir auf der Wiederaufbaukonferenz des nächsten Jahres, die in Deutschland stattfinden wird, besonderes Augenmerk auf den EU-Beitrittsprozess der Ukraine legen – damit der Wiederaufbau ein wirklich europäisches Unterfangen wird.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,

wir wissen nicht, wann Russland seinen brutalen Angriffskrieg beenden wird – das liegt in den Händen des Mannes, der diesen Krieg begonnen hat.

Aber was wir wissen und was wir versprechen, ist Folgendes:

Wir werden den Wiederaufbau der Ukraine weiter unterstützen – und wir werden der Ukraine weiterhin dabei helfen, diesen Krieg zu gewinnen und Frieden zu erlangen.

Damit jede Teenagerin und jeder Teenager in der Ukraine das tun kann, was jungen Menschen im restlichen Europa jeden Tag tun:

Ohne Angst zur Schule gehen.

Mit Freundinnen und Freunden Volleyball spielen, ohne bis 45 zählen zu müssen.

Einfach ein normales Leben in Frieden und Freiheit leben.

Vielen Dank.

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