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Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen

13.09.2023 - Interview

Themen: vierter Ukraine-Besuch der Außenministerin seit Beginn des russischen Angriffskrieges, europäische Asylpolitik, transatlantisches Verhältnis, Situation in der Sahel-Region und in Iran.

Frage: Frau Außenministerin, Sie haben die Ukraine zum vierten Mal seit Ausbruch des Krieges besucht. Nachdem aus Amerika über kritische Stimmen mit Blick auf die ukrainische Offensive berichtet wurde, scheint es langsam voranzugehen. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Außenministerin Annalena Baerbock: Es wäre vermessen zu glauben, die Lage besser einschätzen zu können als die Ukrainer selber. Fakt ist, der russische Präsident wollte vor über 560 Tagen in Paradeuniform in Kiew einmarschieren. Der Mut und die Kraft der Ukrainer haben das verhindert. Jetzt steckt Putin mit seinem Terrorfeldzug in den Schützengräben im Osten der Ukraine fest.

Frage: Es ist schwer abzusehen, ob die Ukraine die Kraft hat, weiter nachzusetzen. In dieser Situation werden die Rufe nach deutschen Taurus-Marschflugkörpern immer lauter. Wann werden sie erhört?

Baerbock: Die russischen Kräfte haben einen Minengürtel zur Abschottung der Ostukraine gelegt, der etwa so groß ist wie das ehemalige Westdeutschland. Seit mehr als eineinhalb Jahren verstecken sich Menschen in den besetzten Gebieten in Kellern, aus Angst, vergewaltigt oder getötet zu werden. Wir wissen nicht, wie viele Menschen schon verhungern und verdursten mussten, weil noch nicht einmal das Internationale Rote Kreuz wirklich in diese Gebiete kommt. Um diese Menschen zu befreien, müssen die ukrainischen Streitkräfte den riesigen Minengürtel überwinden können. Dafür braucht es Reichweite.

Frage: Läuft es wie bei den Panzern: Muss Washington ATACMS-Marschflugkörper zusagen, bevor wir liefern?

Baerbock: Wir stimmen uns eng mit unseren Partnern ab und sind nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Wahr ist aber auch, dass wir aufgrund der früheren deutschen Russlandpolitik und Fehlern wie der Nord Stream 2-Pipeline viel Vertrauen im Osten Europas verloren haben. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass wir Dinge nicht nur ankündigen, sondern diese dann auch funktionieren. Wie beim so wichtigen Luftabwehrsystem IRIS-T oder den Patriots wollen wir daher jede Frage geklärt, und die Systeme für die Ukraine einwandfrei handhabbar haben.

Frage: Ist es für Sie wichtig, dass die Reichweite der Flugkörper begrenzt wird?

Baerbock: Wenn die Ukraine wollte, könnte sie jetzt schon Raketen weit über die Grenze schießen. Aber die Ukraine hat Russland nicht angegriffen, und sie will Russland nicht angreifen. Die Ukraine verteidigt ihr Staatsgebiet. Dafür braucht es neben Marschflugkörpern vor allem weiter massiv Luftabwehr. Mein Besuch in dem Umspannwerk vor den Toren Kiews hat auch nochmal die Dringlichkeit gezeigt für den Schutz der Strom-, Wasser, und Wärmeversorgung vor der kalten Jahreszeit. Mein Appell daher an uns und unsere Partner: Wir müssen ein Winterschutzschirm aus Luftabwehr über die kritische Infrastruktur der Ukraine spannen.

Frage: Wie soll das konkret aussehen?

Baerbock: Bei Iris-T wollen wir in den kommenden Monaten noch nachlegen. Und bei den Partnern dafür werben, verfügbare Luftabwehrsysteme mit Blick auf den Winter – gegebenenfalls auch temporär – abzugeben. Auch Gepard-Munition aus deutscher Produktion läuft jetzt richtig an.

Frage: Für die Ukraine sind auch Perspektiven für eine Zeit danach wichtig. Dazu gehört, dass Kriegsverbrecher verurteilt werden. Das von Ihnen vorgeschlagene internationalisierte Tribunal, ein ukrainisches Gericht mit internationalen Elementen, hat der ukrainische Außenminister gerade abgelehnt, weil man Putin so nicht belangen könnte.

Baerbock: Es gibt ja mittlerweile die Anklage gegen Putin vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Blick auf die Verschleppung von Kindern. Das unterstützen wir aktiv. Nach geltendem Völkerstrafrecht, also den Regeln des Internationalen Strafgerichtshofs, können für das Kernverbrechen des Angriffskriegs allerdings nur Staats- und Regierungschefs von Staaten verurteilt werden, die die Kampala-Amendements zum Römischen Statut ratifiziert haben. Russland hat das nicht getan, deshalb kann Putin dafür nicht angeklagt werden. Das gilt es zu ändern. Dafür braucht es aber eine Mehrheit der Vertragsstaaten – für die ich intensiv werbe.

Frage: Der Weg zu Änderung des Römischen Statuts ist lang, deshalb hatten Sie das internationalisierte Tribunal vorgeschlagen. Wenn Kiew sich aber ein Sondertribunal wünscht, ist die Idee doch tot?

Baerbock: Genau deshalb habe ich ja einen zweigleisigen Vorschlag gemacht. Ich betone immer wieder, dass man sich auch in so brutalen Zeiten das Recht nicht einfach zurechtbiegen kann. So ein Sondertribunal fällt nicht vom Himmel. Und die Generalversammlung der UN kann nicht einfach den UN-Sicherheitsrat aushebeln. Wenn die nötige überwältigende Mehrheit in den Vereinten Nationen dafür da wäre, könnten wir auch das Römische Statut ändern. Dann bräuchte es ja gar kein Sondertribunal, sondern Putin könnte vor dem Internationalen Strafgerichtshof auch für das Aggressionsverbrechen angeklagt werden. Offensichtlich gibt es diese Mehrheit aber derzeit nicht und deshalb habe ich dafür ein internationalisiertes Tribunal auf Grundlage ukrainischen Rechts mit internationaler Unterstützung vorgeschlagen.

Frage: Eine andere Perspektive ist die EU-Mitgliedschaft. Die Ukraine ist Beitrittskandidat, aber es sind Reformen nötig. Wenn Präsident Selenskyi davon spricht, Korruption künftig mit Hochverrat gleichsetzen zu wollen – sind das die Fortschritte, an die Sie gedacht haben?

Baerbock: Das wären nicht meine Worte. Aber wir sind auch nicht in so einem fürchterlichen Krieg. Als Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist es für uns wichtig, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Es darf bei Beitritten – so geopolitisch wichtig sie sind – keine Abkürzungen geben bei Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschrechten. Die Korruption hat der Ukraine in der Vergangenheit sehr geschadet. Da braucht es nicht nur Gesetze, sondern tiefgreifende Reformen. Ich bin beeindruckt, mit welchem Hochdruck das Land dies mitten im Krieg angeht.

Frage: Bevor die EU neue Mitglieder aufnimmt, muss sie beweisen, selbst reformfähig zu sein. Sehen Sie die EU mit Blick auf die lange diskutierte Reform der Asylpolitik dazu in der Lage?

Baerbock: Die Erweiterung der Union ist für mich die geopolitische Konsequenz aus Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg. Es wäre daher wirklich beschämend, wenn die Ukraine mitten in einem brutalen Angriffskrieg massive Reformen auf die Reihe kriegt, und wir als Europäische Union uns nicht schnell genug reformieren. Dazu gehört ein gemeinsames Europäisches Asylsystems, dazu gehört aber vor allem auch, dass wir in der Lage sind, rasch Entscheidungen zu treffen, gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir haben im Angesicht dieses Krieges bewiesen, dass wir schnell handeln können. Diese Geschwindigkeit müssen wir auf andere Bereiche ausweiten. Die Welt wartet nicht auf Europa.

Frage: Unter Schmerzen haben die Innenminister einen Kompromiss zum Asylsystem gefunden, aber führt der zum Ziel?

Baerbock: Wenn man nicht selbst bereit ist, über den eigenen Schatten zu springen, kann man das auch nicht von anderen erwarten. Eine gemeinsame europäische Antwort wird immer ein Kompromiss, wird niemals perfekt sein. Aber wenn es uns nicht gelingt, eine gemeinsame europäische Antwort gerade in der Migrationsfrage zu geben, werden andere diese Lücken zu nutzen wissen. Und zwar diejenigen, die Europa kaputt machen wollen, diejenigen, für die die Würde eines jeden Menschen nicht unantastbar ist. Deshalb ist es mir ein Anliegen, möglichst noch vor der Europawahl ein gemeinsames, solidarisches Ergebnis hinzubekommen.

Frage: Eine andere Perspektive fordert die Ukraine mit Blick auf ihre Sicherheit ein. Die NATO-Mitgliedschaft kommt so schnell nicht, die G7 haben aber Sicherheitspartnerschaften zugesagt. Manche G7-Länder verhandeln schon mit Kiew, Deutschland nicht – warum?

Baerbock: Wir sind mitten im Prozess, aber Kiew kann ja nicht mit allen gleichzeitig verhandeln. Die Partnerschaften müssen schließlich ineinandergreifen. So abgestimmt, wie wir unsere militärische Unterstützung geleistet haben, gehen wir auch diese Sicherheitspartnerschaft an.

Frage: Wie wird das deutsche Paket aussehen?

Baerbock: Wir arbeiten gemeinsam mit unseren Partnern an einer Friedensversicherung für die Ukraine, die kurz-, mittel-, und langfristig angelegt ist. Diese beinhaltet den Weg in die Europäische Union, in die NATO, ebenso wie unmittelbare Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung, und mittelfristige wirtschaftliche Unterstützung bis hin zum Wiederaufbau. Ganz konkret: Auf meiner Kiew-Reise wurden zum Beispiel erste Schritte zu einem Windpark im ehemaligen Sperrgebiet von Tschernobyl unterzeichnet und über die stärkere Verzahnung der ukrainischen Stromnetze mit den europäischen gesprochen.

Frage: Für die Unterstützung der Ukraine im Krieg und danach ist Amerika unverzichtbar. Dort zieht aber der Wahlkampf auf, und unter Republikanern ist die Hilfe für die Ukraine umstritten. Was bedeutet diese Unsicherheit?

Baerbock: Der russische Angriffskrieg hat auch ein neues Kapitel in den transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA aufgeschlagen, die Verbundenheit ist noch stärker. Das beschränkt sich nicht nur auf die Regierungsbeziehungen – auch wenn es natürlich stimmt, dass sich der Bundeskanzler und Präsident Biden sehr gut verstehen. Und auch ich schätze die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit meinem amerikanischen Kollegen Antony Blinken sehr. Vertrauen, das persönliche Miteinander, ist gerade in Krisenzeiten unbezahlbar.

Frage: Aber sind wir darauf vorbereitet, wenn es wieder anders kommt in Washington? Nach Kiew reisen Sie gleich weiter nach Amerika.

Baerbock: Die transatlantische Freundschaft ist nicht auf eine Partei abonniert. Wir sind nicht naiv, aber wir lassen uns auch nicht verrückt machen. Deswegen reise ich nicht nur nach Washington, sondern auch nach Texas. Ein Bundesstaat der schon heute Gradmesser ist für das Amerika von Morgen; der mit einem Fuß noch in der alten Ölwelt steht, mit dem anderen bereits massiv in erneuerbaren Energien. Ein Staat, mit einer vielfältigen Bevölkerung, aber auch mit besorgniserregenden Fliehkräften an die Ränder. Ein Bundesstaat also, wo man vieles sehen und erfahren kann.

Frage: Zentraler Punkt der Trump-Kritik war die Lastenteilung, runtergebrochen auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Sollten wir da nicht alles tun, damit keine Zweifel an unseren Zusagen aufkommen, und nicht nur auf das Sondervermögen verweisen und von „mehrjährigem Durchschnitt“ reden?

Baerbock: Mit der Zeitenwende tun wir genau das. Das Bekenntnis der Nationalen Sicherheitsstrategie ist, dass wir in die Wehrhaftigkeit unseres Landes mindestens zwei Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes investieren. Aber statt ineffizient zu stückeln, um immer glatt auf zwei Prozent zu kommen, ist ein mehrjähriger Durchschnitt doch viel effizienter. Zugleich erkläre ich gegenüber unseren amerikanischen Partnern immer wieder, dass zur Lastenteilung in diesem Angriffskrieg gegen die Ukraine auch gehört, dass Millionen von Menschen in Europa Schutz finden. Eine Million davon in Deutschland, wo sie arbeiten, Kinder in die Schule gehen und jeder zum Arzt kann – letzteres bekanntermaßen in den USA ja nicht für jeden eine Selbstverständlichkeit. Auch das leisten wir. Ich will auf meiner USA-Reise daher auch darüber sprechen, dass mit Blick auf die Ukraine ein genaues Bild der jeweiligen Unterstützung der gemeinsame Maßstab sein muss. Und da brauchen sich Deutschland und auch Europa wahrlich nicht zu verstecken.

Frage: In den vergangenen Monaten hat Berlin viel getan, um die Zahl der Staaten groß zu halten, die den russischen Angriffskrieg ablehnen. Am Wochenende hat der G20-Gipfel gezeigt, wie schwer es fällt, die Schwellenländer mitzunehmen. Der Preis war eine weichgespülte Erklärung, über die sich die Ukraine beschwert hat. Ist das nicht ein sehr hoher Preis?

Baerbock: Wir müssen da präzise bleiben. Ich habe zuletzt das Gegenteil erlebt. Als der Krieg ausbrach, habe ich mir die Finger wund gewählt, und ganz oft habe ich am Telefon gehört: was interessiert uns der Krieg und wo wart ihr, als wir euch gebraucht haben? Das höre ich jetzt kaum mehr. Längst ist es klar, dass dieser Krieg etwas anderes ist: Ein Angriff auf die internationale Gemeinschaft. Wer Kinder verschleppt und einer Gehirnwäsche unterzieht, um einen Krieg zu führen, hat jede Menschlichkeit verloren. Aber in einem Format, in dem auch China und Russland das Abschlussdokument unterzeichnen müssen, klingt dann die Sprache so, wie sie jetzt klingt.

Frage: Im letzten Jahr klang sie nach dem Gipfel in Bali klarer.

Baerbock: Da war das anders gelöst. Dort hieß es, die „meisten Mitglieder verurteilen den Krieg in der Ukraine auf das Schärfste“. Das bezog sich damals nicht nur auf Russland und China. In diesem Jahr tragen alle den Text mit. Das zeigt, dass die chinesische Position sich leicht geändert hat. China macht sich nicht mehr mit Russland zum Außenseiter. Auch Südafrika oder Brasilien sehen die fatalen Konsequenzen von Russlands Krieg. Somit gibt es einen Text, mit dem selbst Russland implizit mit anerkennt, dass dieser Krieg massive globale Auswirkungen hat. Es steht auch „Krieg“ in dem Dokument, nicht „Konflikt“. Dass ich so sehr auf einzelne Worte abziele, zeigt den Leserinnen und Lesern vielleicht, wie schwierig in Zeiten des Krieges internationale Krisendiplomatie ist. Man ringt um jedes Wort.

Frage: Sie werben bei Reden für eine aktivere, selbstbestimmte deutsche Außenpolitik, die vorangehen und bei Gegenwind nicht einknicken soll. Was wir gerade in der Sahel-Region erleben, im Niger und in Mali, ist aber eher ein Sturm. Was tun wir jetzt?

Baerbock: Da sein, wenn andere uns brauchen – gerade wenn es stürmischer wird. Die bequeme alte Position wäre gewesen, wir können als Deutsche sowieso nichts machen. Aber jetzt stehen wir als Europäer den Demokratien in Westafrika bei. Wir unterstützen ECOWAS, als Regionalorganisation Westafrikas, damit nicht noch weitere Demokratien weggeputscht werden. Wir helfen, dass durch Migration und Terror nicht andere Staaten destabilisiert werden.

Frage: Die Generaldirektorin der Welthandelsorganisation Ngozi Okonjo-Iweala hat bei einer Rede den Spruch eines Verantwortlichen aus dem globalen Süden zitiert: Er möge unsere Werte. Aber wenn er sich mit den Chinesen einlasse, bekomme er einen Flughafen. Wenn er sich mit uns einlasse, bekommt er Belehrungen. Klingt nicht gut für uns?

Baerbock: Wir haben ja ein ähnliches Sprichwort: „Mit warmen Worten ist es nicht getan“. Deshalb geht es bei einer wertegeleiteten, vor allem um eine aktive Außenpolitik. Es gab lange eine stehende Weisung im Auswärtigen Amt, wie Botschafter sich auf Konferenzen zu verhalten haben. Da hieß es, das Wichtigste ist, dass wir nicht allein dastehen. Das führt aber dazu, dass man es sich sehr einfach machen kann, indem man sagt, es gibt keine Mehrheit für unsere Position, also machen wir erst einmal nichts. Wenn aber niemand versucht, nicht nur für unsere, sondern die Werte der Vereinten Nationen einzustehen, tut es am Ende keiner. Dann ist auch keiner da, wenn wir mal Hilfe brauchen.

Frage: Im Iran jährt sich gerade der Todestag von Mahsa Amini, in dem Land hätten sich auch viele, vor allem Frauen, unsere Hilfe gewünscht.

Baerbock: Deswegen habe ich mit den Partnern in der EU erstmals ein Menschenrechts-Sanktionsregime auf den Weg gebracht, das auf diejenigen abzielt, die so brutal die Rechte von Frauen und Kindern im Iran mit Füßen treten. Auch ein Jahr nach dem Beginn der Protestbewegung lassen wir die Menschen in Iran in ihren mutigen Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung nicht alleine. Aktuell arbeiten wir an weiteren Listungen in diesem Sanktionspaket und wir haben beim Menschenrechtsrat in Genf dafür gesorgt, dass die Vereinten Nationen einen unabhängigen Mechanismus auf die Beine stellen, um die Menschenrechtsverletzungen in Iran zu untersuchen und aufzuarbeiten, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Das ist echte außenpolitische Kärrnerarbeit. So furchtbar das manchmal auszuhalten ist: Wir können ähnlich wie in Russland oder Afghanistan das Regime von außen nicht ändern.

Frage: Warum gibt es noch keine Terrorlistung der Revolutionsgarden, die viele Außenpolitiker fordern?

Baerbock: Ich nehme wahr, dass es sich in der Iran-Debatte bei uns manche sehr einfach machen, wenn z.B. die Terrorlistung der iranischen Revolutionsgarden als Allheilmittel verkauft wird. Ja, ein solches Label hätte Symbolcharakter. In der Praxis geht es aber darum, solch eine Listung auch gerichtsfest zu machen. Und da kommt der zuständige Juristische Dienst des Rats der EU zu dem Schluss, dass dies derzeit nicht gelingen wird und europäische Gerichte solch eine Entscheidung wohl wieder aufheben würden, weil es bei dieser Rechtsform einer Terrorermittlung im Inland bedarf. Der Union, die das immer wieder fordert, habe ich das ja schon im Bundestag erklärt. Zudem sind die Revolutionsgarden bereits seit zig Jahren gerichtsfest in der EU gelistet, im sogenannten Massenvernichtungswaffen-Sanktionsregime. Diese Sanktionen gehen vom Umfang her deutlich weiter als EU-Terrorlistungen. Ich finde, wir müssen uns die Realitäten genau anschauen, die mutigen Menschen in Iran in den Mittelpunkt stellen und diese dann so unterstützen, dass es ihnen auch hilft. Ideen, die gut klingen, aber in der Sache nichts ändern, helfen keinem – am wenigsten den Frauen im Iran.

Fragen: Matthias Wyssowa

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