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Außenministerin Baerbock zum Kairoer Friedensgipfel und dem Abschluss ihrer Nahost-Reise

22.10.2023 - Pressemitteilung

Außenministerin Baerbock erklärte auf einer Pressekonferenz in Kairo am Samstag (21.10.):

Ich bin in den letzten 72 Stunden in vier verschiedenen Ländern hier im Nahen Osten gewesen, in Jordanien, in Israel, in Libanon und jetzt hier bei dem Gipfel in Ägypten.

Ich habe in allen Orten deutlich gemacht, Deutschland steht fest an der Seite Israels. Und habe ebenso deutlich gesagt: Wir verschließen die Augen vor der furchtbaren Situation in Gaza nicht. Wir sehen das Leid, das Leid der Menschen, der Frauen, kleiner Kinder und Männer in Gaza.

Die Hamas missbraucht sie als menschliche Schutzschilde. Der Terror der Hamas muss bekämpft werden, sonst wird es keinen Frieden und keine Sicherheit geben, weder für Israelis noch für Palästinenser.

Zugleich mindert neues großes Leid unter der Zivilbevölkerung in Gaza den Terror nicht, sondern ist Nährboden für neuen Terrorismus.

Dieses perfide Kalkül zu durchkreuzen, ist nicht einfach. Meine israelischen Gesprächspartner sehen genau dieses Dilemma. Es ist die Quadratur des Kreises. Um diese Quadratur des Kreises ging es heute auch auf der Konferenz in Kairo, wie alle anwesenden Regierungs- und Staats und Regierungschefs deutlich gemacht haben. Aus der Region habe ich auch genau diesen Eindruck in den letzten 72 Stunden erneut mitgenommen.

Die Menschen sind in Aufruhr, in Trauer, in tiefer Sorge vor dem, was kommen könnte.

Der verzweifelte Vater, den ich bei meinem ersten Besuch in Israel getroffen habe, der immer noch nicht weiß, was mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern gerade passiert, weil sie nach wie vor in den Händen der Hamas in den Händen von Terroristen als zivile Geisel sind.

Die verzweifelten Mütter in Gaza, die nicht wissen, wo sie in dieser Notlage Wasser für ihre Kinder herbekommen sollen, und die jungen Familien im Libanon, die aus Angst vor einer erneuten militärischen Eskalation wie gelähmt sind.

Die Sorge vor einem regionalen Flächenbrand ist riesig.

Hamas Kalkül ist es nicht nur Tod und Verderben über die Region zu bringen. Hamas möchte mit ihrem Terror auch einen Keil zwischen die arabischen Staaten und den globalen Norden treiben und insbesondere eine weitere Annäherung zwischen Israel und Saudi Arabien verhindern. Mir und vielen Kolleginnen und Kollegen hier auf der Konferenz in Kairo war es wichtig, genau das Gegenteil zu zeigen.

Auf dieser Konferenz hier in Kairo ist auf ägyptische Initiative hin eine sehr breite Gruppe von Staaten zusammengekommen, natürlich aus der arabischen Welt, aus Europa, aus Afrika, aber auch aus Asien, Lateinamerika und Nordamerika.

Wir alle wissen, dass sich unsere Sichtweisen auf den Konflikt durchaus unterscheiden. Uns alle eint jedoch, dass ein Flächenbrand in der Region verhindert werden muss für die ganze Welt. Dass das menschliche Leid in Israel, Gaza, der Westbank so nicht weitergehen kann.

Gleichzeitig ist es nicht überraschend, dass es am Ende kein gemeinsames Statement gegeben hat. Aus meiner Sicht war das von Anfang an klar. So wichtig es auch für die Europäische Union, für uns, ist, dass die humanitäre Katastrophe verhindert wird, so wichtig ist jedoch auch eine klare Verurteilung des brutalen Terrors der Hamas als Auslöser der Krise. Und natürlich hat Israel genau wie jedes andere Land auf der Welt im Rahmen des humanitären Völkerrechts das Recht und die Pflicht, seine eigene Bevölkerung zu schützen.

Auch und gerade am Rande dieses Gipfels heute hier haben wir deswegen zu ganz vielen Fragen gesprochen, insbesondere natürlich über die Frage, wie eine regionale Eskalation verhindert werden kann, über die Frage, wie wir gemeinsam bestmöglich den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza sicherstellen können, wie wir Lieferungen von Hilfsgütern jetzt nach Gaza bekommen. Und natürlich stand auch die Freilassung der Geiseln im Mittelpunkt dieser Konferenz.

Die Menschen in Gaza, unter ihnen viele Familien, viele Kinder, leiden unter katastrophalen Bedingungen. Kleine Kinder, schwangere Frauen, hochbetagte Großväter und Großmütter leiden Hunger, müssen verunreinigtes Wasser trinken. Die humanitäre Lage ist verzweifelt. Es fehlt buchstäblich an allem.

Gleichzeitig stauen sich an der Grenze in Rafah Wasser, Essen und Medikamente in Hunderten von Containern.

Die heutige Öffnung des Grenzübergangs in Rafah für 20 Lastwagen mit dringend benötigten Hilfsgütern ist ein kleines Zeichen der Hoffnung in diesen schwierigen Zeiten.

Die heutige Lieferung von Hilfsgütern darf und kann aber nur ein erster Schritt sein. Die Menschen brauchen neben Nahrung und Medikamenten auch dringend Treibstoff, um die Generatoren der Krankenhäuser in Gaza am Laufen zu halten und um für die Trinkwasserversorgung, die so wichtigen zentralen Entsalzungsanlagen und Wasserpumpen wieder betreiben zu können.

Ich appelliere daher an alle Seiten, jetzt umgehend die Voraussetzungen für eine dauerhafte Öffnung des Grenzübergangs Rafah, für humanitäre Güter und auch für den dringend notwendigen Treibstoff zu schaffen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch hier aus Ägypten auf die Debatte bei uns zu Hause in Deutschland diesbezüglich eingehen.

Manche Stimmen aus dem politischen Raum lehnen dieser Tage jegliche Hilfe für die Menschen in Gaza ab. Und ich möchte sehr deutlich sagen: Es geht hier nicht um abstrakte Debatten am grünen Tisch, sondern es geht um Menschen. Ja, es geht im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Und daher möchte ich einmal sehr deutlich diejenigen, die jetzt Aufforderungen stellen, keine humanitäre Hilfe nach Gaza zu schicken, zurückfragen.

Sollen wir wirklich mehr als 2 Millionen Menschen in Gaza, die Hälfte von ihnen Kinder, verdursten lassen, weil sie kein sauberes Trinkwasser mehr finden?

Sollen wir es wirklich zulassen, dass schwangere Frauen in Gefahr gebracht werden, weil dringend notwendige medizinische Hilfe nicht mehr finanziert werden kann oder die Krankenhäuser ohne Treibstoff, ohne Strom nicht funktionieren können?

Und was bedeutet das für unsere Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Ländern, den USA, Kanada, Großbritannien und den ganzen Nachbarländern in der Region, die jetzt genau wie wir als Bundesrepublik Deutschland gerade ihre humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza erhöhen?

Und was würde das bedeuten eigentlich für die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes, für Ägypten und nicht zuletzt Israel, die derzeit alles dafür tun, die Trucks an der Grenze so zu kontrollieren, dass die Hamas keine Möglichkeit hat, sich hierdurch mit Nachschub zu versorgen.

Lassen Sie mich daher sehr klar sagen: Humanitäre Hilfe für Menschen in Not ist ein Gebot der Menschlichkeit.

Natürlich müssen wir alles dafür tun, dass davon nichts in die Hände der Hamas fällt. Deshalb überprüfen wir unsere Hilfe immer wieder, auch schon in der Vergangenheit im Detail. Und so hat es gerade auch der Deutsche Bundestag noch einmal beschlossen.

Und deswegen leisten wir unsere humanitäre Hilfe über die Vereinten Nationen, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die vielen anderen Unterorganisationen der Vereinten Nationen, so wie wir das auch in jeder anderen humanitären Katastrophe an anderen Orten der Welt machen.

Und im Übrigen habe ich bei meinen politischen Gesprächen in Israel niemanden gehört, der ernsthaft verlangt hat, dass wir Lieferungen von Wasser jetzt stoppen sollten.

Auch für Israel ist klar: Der Kampf gilt der Hamas, nicht der palästinensischen Zivilbevölkerung.

Dass gestern unter Vermittlung Katars zwei Geiseln freigelassen wurden und eine Mutter und ihre Tochter nun ihre Familie wieder in den Arm schließen kann, ist ein kleiner Hoffnungsschimmer. Es ist Ausdruck der internationalen Zusammenarbeit, gerade in dieser so maximal schwierigen Situation.

Das Schicksal der anderen Geiseln war natürlich auch ein zentrales Thema hier auf dieser Konferenz, wo so viele unterschiedliche Akteure aus der Region zusammenkommen. Viele der anwesenden Außenministerin und Außenminister, Staats- und Regierungschefs bangen selbst um Staatsangehörige, die von der Hamas verschleppt worden sind, genau wie wir als Bundesrepublik Deutschland.

Zudem wurden hier auf dieser Konferenz natürlich auch die großen politischen Fragen diskutiert. Es ging auf dieser Konferenz gerade auch mir stark darum, dass wir auch darüber sprechen, wie ein politischer Horizont aussehen könnte. Auch wenn ein Horizont, wie der Name schon sagt, ein bisschen in der Ferne liegt. Es geht jetzt auch darum, selbst wenn es noch in der Ferne liegt, was der nächste Schritt für einen dauerhaften Frieden, für Israelis, für Palästinenser, für die Menschen in der Region sein kann.

Was wird aus Gaza? Wer wird für die Sicherheit sorgen? Wer wird die zivile Verwaltung übernehmen?

Hamas wird und darf es sicher nicht mehr sein und auch nicht Israel. Israel hat genau das öffentlich erklärt. Dass es das nicht will.

Es scheint angesichts der dramatischen Lage fast schon vermessen, darüber nachzudenken. Dennoch wird der Tag kommen, an dem die internationale Gemeinschaft einen Plan für Gaza braucht.

Deshalb können wir mit den Überlegungen gar nicht früh genug anfangen. Und für Deutschland wie für viele andere Partner haben wir uns deswegen gemeinsam darüber ausgetauscht.

Für Deutschland wie für viele andere Partner kann es für einen dauerhaften Frieden für Israel und die Palästinenser nur eine verhandelte Zweistaatenlösung geben. Hierfür braucht es wieder Ideen, einen Prozess und Unterstützung.

Es muss uns gelingen, aus dem Grauen dieser Krise jetzt die Kraft zu gewinnen, um dafür einen neuen Anlauf zu unternehmen. Wann auch immer er möglich ist. Auch dafür habe ich heute hier geworben. So wie sehr, sehr viele andere Kolleginnen und Kollegen auch.

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