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Rede von Außenminister Westerwelle zur Eröffnung der Kronberger Gespräche in Rabat

17.05.2011 - Rede

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrter Herr Außenminister, lieber Taieb, sehr geehrte Frau Mohn,
sehr geehrter Herr Thielen,
sehr geehrter Herr Kommissar Oettinger,
meine Damen und Herren,

dem marokkanischen Außenministerium und der Bertelsmann-Stiftung danke ich für die Organisation unserer Kronberger Gespräche.

Die Entwicklungen im Maghreb, in Nordafrika und der gesamten arabischen Welt sind historisch. Ihre Bedeutung geht weit über die Region hinaus. Es eröffnet sich neues Potential für eine engere Zusammenarbeit mit Europa. Der Einfluss der Region auf die Weltpolitik wird wachsen.

Leider wird die große Hoffnung, mit der ich in die arabische Welt blicke, von großer Sorge begleitet.

Viele Regierungen in der Region verkennen die Zeichen der Zeit und beantworten die zutiefst menschliche Sehnsucht nach Freiheit mit brutaler Gewalt.

In Libyen muss Oberst Gaddafi den Krieg gegen das eigene Volk endlich beenden und Platz für einen Neuanfang machen.

Gegen die Führung in Syrien hat die EU Sanktionen beschlossen, damit Präsident Assad die Angriffe auf friedliche Demonstranten sofort einstellt und grundlegende politische Reformen einleitet.

Im Jemen sollten alle Seiten Eskalation vermeiden und dem Vorschlag des Golfkooperationsrats für einen friedlichen Wandel zustimmen.

Von der Regierung in Bahrain fordern wir die Achtung der Menschenrechte und erhoffen einen echten Dialog mit der Opposition.

All diese Krisen können nur politisch gelöst werden. Ein Zurück in die Vergangenheit wird es nicht geben.

Die Menschen werden nur Lösungen hinnehmen, die zu mehr Offenheit, mehr Demokratie, mehr Rechtsstaatlichkeit und einem besseren Schutz der Menschenrechte führen.

Wir wollen alle Regierungen unterstützen, die einen demokratischen Wandel vorantreiben. Das gilt vor allem für Ägypten, Tunesien und Marokko. Deutschland hat den Ruf nach Freiheit gehört und steht an der Seite der Demokratinnen und Demokraten. Der demokratische Aufbruch ist zuallererst das Verdienst mutiger Frauen und Männer in Nordafrika und im Nahen Osten. Ihr Mut und ihre Phantasie haben Veränderungen erzwungen. Sie werden ihren Weg in eine freiere und bessere Zukunft selbst gestalten.

Als Nachbar liegt es jetzt an Europa, diesen Wandel zu unterstützen, der auch in unserem ureigenen Interesse ist. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass die Europäische Union den reformwilligen Ländern in der Region echte Partnerschaften des Wandels anbietet.

Wir wollen die Region beim Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft unterstützen. Deutschland ist mit eigenen Transformations-Programmen vorangegangen. Wir unterstützen Ägypten und Tunesien beim Aufbau einer unabhängigen Justiz, unabhängiger politischer Parteien und freien Medien. Das sind Grundpfeiler einer freien und demokratischen Ordnung und Vorbedingungen für freie und faire Wahlen.

Wir bauen unsere Hochschulkooperationen mit beiden Ländern aus. Mit Unterstützung der Außenhandelskammern schaffen deutsche Unternehmen gerade in diesen Zeiten Arbeitsplätze in der Region. Der Wandel kann nur gelingen, wenn er für die Menschen spürbar wird, mit mehr Freiheit, aber auch mehr Chancen auf Wohlstand.

Die bilaterale Unterstützung ist wichtig. Aber noch größere Impulse können vom europäischen Verbund kommen. Unsere Überlegungen für eine neue „Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand mit dem südlichen Mittelmeerraum“ gehen in die richtige Richtung.

Die Europäische Nachbarschaftspolitik muss neu ausgerichtet werden, damit sie gezielt den demokratischen Wandel unterstützt. Wir Europäer müssen den Mut aufbringen, überkommene Sichtweisen in Frage zu stellen.

Anstelle formalisierter Treffen im Rahmen der Assoziationsabkommen brauchen wir einen offenen und klaren Austausch über politische Fragen, Menschen- und Freiheitsrechte.

Anstelle vereinzelter Handelserleichterungen brauchen wir eine vollständige Öffnung des europäischen Marktes auch für Agrarprodukte.

Anstelle verschärfter Grenzkontrollen brauchen wir mehr Mobilität, um wirtschaftliche Entwicklung im südlichen Mittelmeerraum voranzutreiben.

Anstelle vereinzelter Energieprojekte brauchen wir eine euromediterrane Energiegemeinschaft, um die Stärken eines gemeinsamen Marktes zu nutzen und Weichen für unsere gemeinsame Energiezukunft zu stellen.

Die Ausgestaltung der künftigen Beziehungen zwischen Europa und Nordafrika ist eine gemeinsame Herausforderung. Von der EU-Kommission erwarten wir mutige Vorschläge zur Europäischen Nachbarschaftspolitik, die wir gemeinsam mit unseren Partnern im Süden des Mittelmeers weiter entwickeln wollen.

Marokko hat den Weg zu mehr Freiheit und Teilhabe schon früh beschritten. Seit 1999 ist Seine Majestät Mohammed VI. mit mutigen Reformen Vorreiter in der Region. Besonders sichtbar wird dieser Wandel im modernen marokkanische Familienrecht, das die Rechte der Frau von Grund auf gestärkt hat. Ich ermutige die marokkanische Regierung, auf dem Weg der Öffnung nicht nachzulassen, sondern mit ganzer Kraft den Wandel voranzutreiben.

Das ist harte Arbeit. Umso bedeutender ist es, dass der marokkanische König den arabischen Frühling nutzen will, um den Reformen in Marokko neuen Schwung zu verleihen.

Ich begrüße vor allem die Vorschläge zur Gewaltenteilung und die Entschlossenheit, die Justiz zu einer vollständig unabhängigen Staatsgewalt umzugestalten.

Ich freue mich, dass die Mitglieder der Verfassungs-Kommission heute hier sind. Ihre Verantwortung ist groß. Wir verfolgen Ihre Arbeit mit großem Interesse und Sympathie und wünschen Ihnen viel Erfolg. Der Wunsch nach Teilhabe am politischen Geschehen ist eine Grundkonstante der Reformbewegungen der Region. Mehr Teilhabe am politischen Prozess wird die Messlatte für heutige und künftige Regierungen sein.

Viele Europäer haben bezweifelt, ob eine tiefgreifende staatliche und gesellschaftliche Modernisierung in einem arabischen Land möglich ist. In diesen Wochen und Monaten wird der Beweis erbracht, dass Islam und Demokratisierung nicht im Widerspruch zueinander stehen.

Leider ist auch in Marokko der Wandel von Gewalt überschattet. Die Nachricht von dem verabscheuungswürdigen Anschlag in Marrakesch Ende April hat mich zutiefst bestürzt.

Dem marokkanischen Volk spreche ich mein Beileid aus. Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer. Den Verletzten wünsche ich schnelle und vollständige Genesung.

Terrorismus, insbesondere durch „Al Qaida im Islamischen Maghreb“, ist eine große regionale Bedrohung, die nicht nur nationaler Antworten bedarf, sondern auch regional und international erwidert werden muss. Aber auch mit Terror lässt sich die Sehnsucht nach Freiheit nicht zerstören. Auch wenn die Gefahr des Terrorismus real bliebt, dürfen wir uns von Terroristen nicht an weiteren Reformen hindern lassen.

Der Umbruch in der arabischen Welt kann Impulse für eine engere regionale Zusammenarbeit geben. Der Maghreb ist ein geographischer Begriff, aber bislang keine ökonomische Lebenswirklichkeit.

Die Kosten der Zersplitterung des Maghreb betragen 2% des Bruttoinlandsprodukts. Dieses bislang vernachlässigte Potential gilt es zu heben.

Wir freuen uns über die hochrangigen Kontakte zwischen Marokko und Algerien der letzten Wochen. Wir hoffen auf deren Fortsetzung und Intensivierung. Wenn es gelänge, die Integration der nordafrikanischen Volkswirtschaften schrittweise zu verwirklichen und bestehende Grenzen wie die zwischen Marokko und Algerien durchlässig zu machen, könnte ein einheitlicher Wirtschaftsraum entstehen, der für die globalisierte Wirtschaft ein viel interessanterer Partner ist. Mit der politischen Erneuerung in Nordafrika sind auch große Chancen auf wirtschaftliche Erneuerung verbunden. Umgekehrt werden Reformen dann erfolgreich sein, wenn es mit der Wirtschaft bergauf geht und junge Menschen eine Zukunftsperspektiven haben.

Im Verhältnis zu Algerien steckt viel ungehobenes wirtschaftliches Potential. Wir dürfen uns die Zukunft nicht von den Konflikten der Vergangenheit verstellen lassen. Wir brauchen neue Impulse zur Lösung des Westsahara-Konflikts.

Ich wünsche dem Sondergesandten der Vereinten Nationen für die Westsahara, dass er einer Verhandlungslösung Schritt für Schritt näher kommt. Alle Parteien sind in der Pflicht.

Die engere Zusammenarbeit mit Deutschland und mit Europa bietet viele Chancen. Schon jetzt arbeiten wir bilateral und europäisch eng zusammen, um erneuerbare Energien zu fördern. Beständige und saubere Energie sind der Schlüssel für Infrastruktur und gesundes Wachstum. Die Verbindung von europäischem Know-how und den für erneuerbare Energien ideale Klimabedingungen in Marokko schaffen hier vor Ort zukunftsweisende Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Mittelfristig können erneuerbare Energien aus Marokko zum Exportschlager nach Europa werden. Das heißt mehr Chancen für die marokkanische Jugend.

Schon heute unterstützt Deutschland den marokkanischen Solarplan. Schon heute bereiten wir eine dauerhafte deutsch-marokkanische Zusammenarbeit für den Ausbau erneuerbarer Energien vor. Ein Beispiel für unsere Zusammenarbeit ist der Bau des solarthermischen Kraftwerks in Ouarzazate. Die Bundesregierung unterstützt dieses Projekt mit einem zinsgünstigen Kredit von 80 Millionen Euro.

Wenn solche Pilotprojekte rentabel sind, werden sie auch privaten Investoren den Weg nach Marokko ebnen.

Ich bin zuversichtlich, dass auch deutsche Unternehmer den Mut zu mehr nachhaltigem Engagement im Maghreb aufbringen. Auf deutscher Seite sind alle gefordert, die Regierung, die Parteien, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die politischen Stiftungen, die Zivilgesellschaft. Wir müssen auch die Kräfte eines gemäßigten politischen Islams in den Dialog einbeziehen, damit ein Wandel auf Dauer gelingen können.

Die Energie-Partnerschaft mit der Europäischen Union kann Vorbild für die künftige euromediterrane Partnerschaften werden. Und wir alle brauchen diese enge Partnerschaft. Sie wird dem Mittelmeer das Trennende nehmen und uns alle enger denn je miteinander verbinden.

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