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„Kultur des Dialogs - Dialog der Kultur“ Rede von Außenminister Steinmeier bei der Auftaktveranstaltung deutscher OSZE-Vorsitz 2016 im Auswärtigen Amt

12.01.2016 - Rede

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich hier im Auswärtigen Amt zu Beginn des deutschen OSZE-Vorsitzes in diesem Jahr!

Passend zu der schönen Musik, die Sie gleich hören werden und passend zum Sitz der OSZE in Wien wollte ich meine Rede eigentlich mit ein paar launigen Worten über Mozart beginnen.

Aber die wollen mir nun so gar nicht über die Lippen. Heute Vormittag sind bei einem Terroranschlag im Zentrum von Istanbul mindestens acht Deutsche getötet und weitere Neun verletzt worden. Sie waren Reisende, Neugierige, Staunende, auf einem der schönsten Plätze der Türkei, als die Bombe detonierte. Wir sind vereint mit den Angehörigen in der Trauer über die Opfer. Vereint auch in Wut und Abscheu gegenüber dieser heimtückischen Tat. Entgegen meiner Planungen muss ich gleich zu einer Sondersitzung des Kabinetts im Kanzleramt.

So sind wir gleich zu Beginn dieses Jahres jäh hineingezogen in Hass, Gewalt, Terror und Krisen – Krisen, die auch unser Land und unsere Bürgerinnen und Bürger unmittelbar bedrohen.

Das eben erst vergangene Jahr, 2015, wird uns wohl ähnlich düster in Erinnerung bleiben: die furchtbaren Terroranschläge von Paris, in der Türkei, Beirut, auf dem Sinai, Tunesien, der immer noch andauernde Krieg in Syrien, die Hundertausenden von Flüchtlingen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung nach Europa und auch hier zu uns nach Deutschland geflohen sind.

Aber trotz aller Krisen und Konflikten weiß ich, wissen wir: Hoffnungsschimmer gibt es dennoch. Zeichen nämlich, dass es uns gelungen ist, zumindest einige der internationalen Konflikte, die uns über Jahre – teilweise schon Jahrzehnte –beschäftigt haben, zumindest einer Lösung näherzubringen. Und zwar durch geduldigen Dialog und durch die Einsicht in die Notwendigkeit von Zusammenarbeit.

Ich nenne hier nur die Übereinkunft über das iranische Atomprogramm vom letzten Juli, die Ansätze zu einem diplomatischen Ausweg aus dem Syrienkrieg mit den Wiener Gesprächen seit Oktober 2015, oder die weitgehende, wenn auch fragile Beruhigung der Kampfhandlungen in der Ostukraine seit letztem September.

Deutschland hat in allen diesen Konflikten Verantwortung übernommen und dafür geworben, auf Diplomatie zu vertrauen und ihr Zeit zu geben, um tragfähige Kompromisse zu entwickeln und für diese Zustimmung zu finden.

Mit dem Vorsitz in der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wird Deutschland sich in diesem Jahr noch intensiver engagieren. In Verantwortung für Frieden und Sicherheit in einem Raum, der 57 Staaten auf drei Kontinenten umfasst und von den USA und Kanada über Europa mit Russland und der Türkei bis nach Zentralasien reicht.

Wir übernehmen diese Verantwortung aus einem doppelten Grund:

Erstens kommt der OSZE eine Schlüsselrolle zu als Forum für Dialog und gemeinsames Bemühen um Konfliktlösung– und zwar nicht nur im Ukraine-Konflikt. Die OSZE kann auch das Forum für Verständigung darüber sein, langfristig das grundlegende Regelfundament für Europas Sicherheit und die Instrumente der Kooperation in Europa wieder herzustellen und zu stärken. „Dialog erneuern, Vertrauen neu aufbauen, Sicherheit wieder herstellen“ – unter dieses Motto haben wir den deutschen Vorsitz in der OSZE 2016 daher gestellt.

Der zweite Grund, aus dem wir diese Verantwortung übernehmen wollen, lautet: Gerade wir Deutsche verdanken der OSZE und ihrer Vorgängerin, der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sehr viel. Die KSZE hat 1975 mit der Schlussakte von Helsinki eine Übereinkunft zwischen Ost und West darüber erreicht, wie Konflikte durch Vertrauensbildung und Transparenz vermieden oder mit den Mitteln des Dialogs vermieden oder entschärft werden sollten.

Für uns Deutsche hatte dieser Prozess ganz praktische Bedeutung: Politisch, weil in Helsinki zum ersten Mal beide deutsche Staaten gemeinsam an einer internationalen Konferenz teilnahmen und durch die Unterzeichnung der Schlussakte einen weiteren Schritt zur Normalisierung ihrer Beziehungen taten.

Menschlich, weil hier international das bekräftigt wurde, was beide deutsche Staaten zuvor untereinander in langen Verhandlungen vereinbart hatten: Erleichterungen im Reiseverkehr, für familiäre Kontakte und für Austausch in Wissenschaft und Kultur über den Eisernen Vorhang hinweg.

Eine Lehre ziehen wir noch heute daraus, auch mit Blick auf unseren OSZE-Vorsitz:

Militärische Auseinandersetzungen, Krisen und politische Differenzen sind schwer zu überwinden; noch schwerer zu überwinden sind jedoch einmal gesäter Hass, Misstrauen und Entfremdung zwischen den Menschen.

Wir wollen uns während unseres Vorsitzes deshalb nicht allein bemühen, diplomatische Gesprächskanäle zu erhalten und politischen Dialog wieder zu intensivieren. Es geht uns auch darum, den Geist von Helsinki in diesen stürmischen Zeiten neu zu beleben – gerade auch jenen in Vergessenheit geratenen und heute wenig beachteten Teil der Helsinki-Schlussakte, in dem die Teilnehmerstaaten damals ganz konkrete Vereinbarungen zur kulturellen und zwischenmenschlichen Begegnung trafen.

„Austausch und Zusammenarbeit im Bereich der Kultur“, so steht es in der Schlussakte, kann „zu einem besseren Verständnis zwischen den Menschen und den Völkern beitragen und so eine dauerhafte Verständigung zwischen den Staaten fördern“.

In genau diesem Geiste, meine Damen und Herren, sollen heute Abend, zum Auftakt des deutschen OSZE-Vorsitzes, Kultur, Musik und Literatur eine zentrale Rolle spielen! Und nicht nur da! Denn ich bin sicher: wer die Literaturen und die Musik, die Filme und das kulturelle Erbe Europas besser kennen lernt, der wird mehr verstehen von den Träumen und den Traumata unserer Partner und Freunde. Der kann, das ist meine Hoffnung, die dunklen Seiten unseres Kontinentes besser verstehen und sich gemeinsam auf den Weg machen zu den helleren Seiten.

Nur ein aktuelles Beispiel möchte ich stellvertretend für viele erwähnen, weil ich den Verantwortlichen gerade im Saal erblickt habe: Lieber Uli Schreiber, die FAZ schrieb im vergangenen Jahr über das Literaturfestival, in Odessa: „Dieses Festival, gefördert vom Auswärtigen Amt, wird die Ukraine verändern“. Das mag übertrieben sein, zeigt aber, welche Erwartungen von Menschen – und nicht nur denen in der Kultur – auf uns ruhen!

Wir wollen anknüpfen an eine gute Tradition der KSZE, die nach dem Meilenstein von Helsinki 1975 u. a. mehr Kontakte zwischen Verlagen vereinbart hat und die Förderung von Übersetzungen „literarischer und anderer kultureller Werke“, insbesondere in die „weniger verbreiteten Sprachen“.

Die vertrauensbildende und zusammenführende Wirkung von Literatur und Musik, die soziale Kraft von Kultur insgesamt dürfte zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Schlussakte so manchem der Staatenvertreter nicht in vollem Umfang klar gewesen sein.

Es waren eben vor allem auch Kulturschaffende, Künstler und Intellektuelle in den Staaten Osteuropas, die nun vehement jene Rechte einforderten, die ihre Regierungen ihnen in Helsinki schwarz auf weiß zugestanden hatten.

Vor fast genau 40 Jahren, im Februar 1976, führte die Verhaftung der Rockband „Plastic People of the Universe“ zu einer Welle der Empörung unter Künstlern und Intellektuellen, ebenso wie unter einfachen Arbeitern und Angestellten in der Tschechoslowakei und im Ausland.

Bei ihrem Protest konnten diese sich auf die im Jahr zuvor in der Schlussakte von Helsinki ausdrücklich garantierte Meinungsfreiheit berufen. Als Plattform dieses Protestes entstand die Bürgerrechtsbewegung der „Charta 77“, die bald Nachahmerinnen in vielen anderen osteuropäischen Staaten und auch in der Sowjetunion finden sollte.

Nur selten ist die Meinungsfreiheit als Grundlage der Freiheit von politischer Diskussion, von Wissenschaft und Kunst und als Grundlage freier, streitbarer und innovationsfreudiger Gesellschaften so vehement und mit so weitreichenden Folgen verteidigt worden, wie mit der „Charta 77“.

Und heute? Heute sind die Freiheit von Medien, Kunst und Kultur vielerorts wieder gefährdet!

Meine Damen und Herren,

Die OSZE steht für die Vision eines vielfältigen, offenen kulturellen Raumes - „von Vancouver bis Wladiwostok“. Früher als andere hat die OSZE in der „Charta von Paris für ein neues Europa“ den wesentlichen Beitrag unserer gemeinsamen europäischen Kultur und unserer gemeinsamen Werte zur Überwindung der Teilung des Kontinents erkannt und betont.

Gemeinsam haben wir uns damals verpflichtet zum „Eintreten für die schöpferische Freiheit sowie für den Schutz und die Förderung unseres kulturellen und geistigen Erbes in all seinem Reichtum und all seiner Vielfalt.“

Dieses europäische Erbe wollen wir pflegen. Europa, das ist der Kontinent der Vielstimmigkeit und der Vielfalt. Und erst aus den ganz unterschiedlichen Beiträgen zu seinem kulturellen Leben erfährt er seine wiedererkennbare Gestalt, seine Identität.

Genau darum soll es auch hier gleich nach der Musik auf dem Panel gehen:

Andrei Pleșu steht wie kaum ein anderer für das politische und kulturelle Zusammenwachsens Europas nach 1989. Für seine Einheit in Vielfalt. Zugleich hat er mit großer Klarheit und Weitsicht bereits vor zehn Jahren darauf hingewiesen, dass der Fall des Eisernen Vorhangs nicht einfach zur Erfüllung der Hoffnungen auf ein gemeinsames europäisches Haus geführt, sondern auch neue Spannungen und Missverständnisse zu befördern droht oder gar befördert hat.

Katja Petrowskaja und Nino Haratischwili stehen für eine andere Dimension dieser gemeinsamen Geschichte und der gemeinsamen Geschichten unseres Kontinents: Sie haben uns in ihren wunderbaren Büchern gezeigt, wie eng verwoben der Erinnerungsraum zwischen Tiflis und Lemberg, zwischen Petersburg und Berlin ist und wie achtsam wir mit diesen Verbindungslinien umzugehen haben.

Ich freue mich, Sie gleich auf dem Podium zu begrüßen.

Und ich darf die Musikerinnen und Musiker des Asasello Quartetts begrüßen, das uns heute begleitet. Ebenso wie unsere beiden Literatinnen sind Sie Teil einer Generation, in der die Überschreitung von Grenzen und die Freiheit des Austausches beinahe Normalität geworden sind. Sie haben ihre Kindheit und Jugend in Kiew oder Tiflis, in Omsk, im finnischen Kuopio, in Helsinki, in Zabrze im südlichen Polen oder in Basel verbracht. Heute leben und arbeiten sie in Berlin, Hamburg, Köln oder irgendwo dazwischen. Und ich freue mich sehr, dass sie heute hier sind. Weil auch für unser Land gilt, was für Europa gilt: aus der Verschiedenheit der Herkunft erwächst eine bessere gemeinsame Zukunft!

Das ist jedenfalls unsere Hoffnung. Aber wir wissen auch, wie zerbrechlich diese Hoffnung ist. Wir wissen wie zerbrechlich die Architektur unserer Sicherheit ist und wie kostbar der Friede auf unserem Kontinent. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam ans Werk gehen.

„Dialog erneuern, Vertrauen neu aufbauen, Sicherheit wieder herstellen“. Das soll unser Fokus sein im nächsten Jahr.

Und ich lade Sie jetzt ein zu Musik und Diskussion – mit Künstlern und Denkern, die genau dazu ihren Beitrag leisten.

Vielen Dank.


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