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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der 55. Münchner Sicherheitskonferenz

15.02.2019 - Rede

Im diesjährigen Bericht zur Sicherheitskonferenz wird eine Welt beschrieben, die in ihre Teile zerfällt. Und seien wir ehrlich: Mit dem Aufheben dieser Teile ist es längst nicht getan. Um die Teile zusammenzufügen, braucht es eine neue Übersicht. Den Blick dafür, wie sich die Dinge neu fügen oder auch verkanten können, bei alldem, was sich um uns herum verändert. Und wir brauchen vor allem eines: Geduld und Ausdauer – und zwar weit mehr, als schon in der Vergangenheit. Wahrscheinlich gibt es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt und keinen besseren Ort als die Münchner Sicherheitskonferenz, um diesen Überblick herzustellen.

Dabei sind für mich drei Punkte von ganz besonderer Bedeutung:

Erstens: wir Deutschen - und ich sage das ausdrücklich an die zahlreichen Gäste und Freunde aus den USA gerichtet - wir wissen, wie wichtig eine starke transatlantische Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität und den Fortbestand der internationalen Ordnung ist. Wir werden weiterhin unseren Teil zum Erfolg dieser Partnerschaft beitragen. An einer transatlantischen Entfremdung und Spaltung des Westens kann niemand, können wir kein Interesse haben. Ganz im Gegenteil, wir werben intensiv für eine viel engere Zusammenarbeit in allen Politikfeldern: Von Sicherheit, über Handel und Digitales, bis zu Klima und Umwelt.

Zweitens: Gerade in einer unsichereren Welt, anfällig für Nationalismus und Populismus, setzen wir auf internationale Zusammenarbeit und multilaterale Verständigung. Und zwar nicht aus postnationaler Träumerei, sondern weil dies klaren außenpolitischen, strategischen und wirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten entspricht.

Drittens: Wir wollen uns in der Welt von morgen behaupten. In einer Welt, in der es geopolitisch absehbar ungemütlicher wird. In einer Welt, die von neuen Rivalitäten zwischen etablierten und aufstrebenden Mächten geprägt ist. Dafür setzen wir vor allen Dingen auf eines: auf ein starkes, handlungsfähiges Europa. Deutschland und seine europäischen Partner - und hier schließe ich Großbritannien ausdrücklich mit ein - brauchen Europa als starken Akteur und nicht als Objekt globaler Politik. Der Erfolg und die Fortentwicklung des europäischen Projekts ist und bleibt unser nationales Kerninteresse, ist und bleibt Teil unserer „Staatsraison“.

Die letzten 70 Jahre haben dies- und jenseits des Atlantiks gezeigt, was starke Allianzen wert sind. Dafür steht das transatlantische Bündnis. Seine Stärke speist sich aus der Grundüberzeugung: „Niemals allein. Auf Partner ist Verlass!“

Die Bundesrepublik konnte sich auch in den heißesten Phasen des Kalten Kriegs immer auf ihre Partner verlassen und allen voran die USA. Und auch auf Deutschland war und ist Verlass.

Wir leisten unsere Beiträge, im Baltikum, wir stellen die Schnelle Eingreiftruppe der NATO.

Wir sind auf dem Balkan, im Irak, im Libanon oder in Mali mit deutschen Kräften in internationalen Missionen engagiert.

Wir sind dabei - nach Jahren der Konsolidierung - die Bundeswehr wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Aber ich sage auch ganz deutlich: Sicherheit bemisst sich für uns nicht allein im wachsenden Verteidigungsbudget. Dazu mag es durchaus unterschiedliche Auffassungen geben.

Dauerhafte Sicherheit entsteht nur, wenn wir zivile und militärische Mittel verzahnen. Wenn wir Konfliktprävention stärken, humanitäre Hilfe, Stabilisierung und Entwicklungszusammenarbeit verstetigen, statt sie in Frage zu stellen. Und wenn wir kooperative Ansätze in der Rüstungskontrolle stärken und Abrüstung überhaupt erst wieder auf die Tagesordnung setzen. Dafür muss Vertrauen entstehen, Ängste müssen abgebaut werden. Die 90‘er Jahre haben gezeigt, dass solche Entwicklungen erreichbar sind.

Derzeit geht es allerdings in eine andere Richtung: Vertragsbrüche schüren Misstrauen. Der aktuelle Umgang Russlands mit dem INF-Vertrag zeigt, welche negative Folgen dies für die Sicherheit aller Beteiligten haben kann – vor allem aber für uns in Europa.

Gerade angesichts der Krise um den Erhalt des INF Vertrags brauchen wir mehr Dialog zwischen Amerikanern, Europäern und Russen.

Wir müssen aber auch andere Akteure – allen voran China – stärker in die Diskussion über Rüstungskontrolle einbeziehen. Die INF-Krise zeigt ja, dass wir nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle globaler denken müssen, als das jemals der Fall war. Deutschland wird dazu im April den Anstoß geben, wenn wir dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Vorsitz haben.

Und wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die technologische Entwicklung neuer Waffenarten nicht die gesamte Sicherheitsarchitektur, wie wir sie kennen, untergräbt. Deshalb wird in Berlin bereits am 15. März eine internationale Konferenz stattfinden, um einen Dialog anzustoßen, wie Rüstungskontrolle auch im 21. Jahrhundert Stabilität sichern kann.

Dabei ist mir und uns in der Bundesregierung bewusst, dass dieser Einsatz für kooperative Sicherheit, für Abrüstung und Rüstungskontrolle wahrscheinlich keine einfachen “quick wins” bringen wird.

Aber angesichts der Weltlage darf man sich auch nicht entmutigen lassen. Die internationale Rüstungskontroll-Architektur ist dafür viel zu wichtig. Wir dürfen nicht in wenigen Jahren verspielen, was in vielen Jahrzehnten aufgebaut wurde. Auch darin liegt eine zentrale Aufgabe für die transatlantische Partnerschaft.

Wenn wir Deutschen uns für multilaterale Zusammenarbeit einsetzen, tun wir das nicht in Verkennung geostrategischer Realitäten. Verbindlichkeit in der internationalen Politik, Multilateralismus – das ist für uns kein Selbstzweck. Sondern vielmehr die Voraussetzung für unsere Sicherheit, unseren Wohlstand und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas.

Das Label „Multilateralist“ taugt nicht zum Kampfbegriff. Wir sollten uns nicht in Multilateralisten hier und Nationalisten dort spalten lassen. Natürlich bleibt die militärische und wirtschaftliche Stärke der Nationalstaaten zentral für ihre Beziehungen. Aber Globalisierung, Digitalisierung, Migration, der Klimawandel und weltweite Machtverschiebungen verstärken eben wechselseitige Abhängigkeiten. Nationale Machtprojektion stößt an Grenzen, wenn unsere Unternehmen, die Finanzströme, aber auch unsere Gesellschaften und unser ökologisches Schicksal immer enger miteinander verbunden werden.

Wer da zu laut “Take back control” ruft, steht schnell alleine da und hat noch dazu kein einziges Problem gelöst.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Nicht alle Regionen haben in den letzten Jahren von der wirtschaftlichen Vernetzung profitiert – gerade auch in den westlichen Ländern. Die Menschen auch bei uns haben Sorge, den Anschluss zu verlieren in einem globalen Wettbewerb, dessen Spielregeln sie längst nicht mehr verstehen. Wir müssen diese Sorgen ernst nehmen, gerader auch als Außen- und Sicherheitspolitiker, denn solche Abstiegsängste sind die Ursache für die Krise des Multilateralismus. Wenn Populismus und Nationalismus sich wie Rost in unsere Gesellschaften fressen, gefährdet das unsere Demokratien, aber auch das Vertrauen, auf dem die internationale Zusammenarbeit beruht. Die Bürgerinnen und Bürger müssen einfach spüren, dass internationale Zusammenarbeit sich auszahlt, auch für sie ganz persönlich. Internationale Zusammenarbeit bedeutet eben nicht den Verlust von Souveränität und Kontrolle, sondern ermöglicht überhaupt erst die Rückerlangung von Kontroll- und Einflussmöglichkeiten.

Wenn wir in Deutschland über Multilateralismus sprechen, dann gibt es einen zentralen Dreh- und Angelpunkt: Das ist die Europäische Union. Denn wir wissen aus Erfahrung: Nur wenn wir Souveränität europäisch bündeln, kann Europa souverän handeln. Nur wenn wir gemeinsam vorangehen, erhalten wir auch unsere nationale Gestaltungskraft.

Gelingt uns dies nicht, laufen wir Gefahr, in einer Welt der Großmachtkonkurrenz zerrieben zu werden. Fragmentiert, orientierungslos und ausgeliefert der Einflussnahme von außen. Subjekt oder Objekt der Weltpolitik - dies ist die entscheidende Zukunftsfrage, vor der Europa steht.

Dabei gibt es für mich nur einen Weg: Wir müssen als Europäer eine gemeinsame Vision von Europas Stärke und Rolle entwickeln. Wir müssen mit noch viel mehr Kraft daran arbeiten, ein souveränes, kraftvolles Europa zu bauen, das eine eigene geopolitische Identität entwickelt.

Europa muss dafür in den nächsten Jahren, erstens, in der Sicherheitspolitik handlungsfähiger werden – als Säule im transatlantischen Bündnis, aber auch, um die eigene Stärke zu entwickeln. Die Fortschritte der letzten Jahre - Stichworte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, zivile GSVP und Europäischer Verteidigungsfonds - helfen uns bereits dabei. Der nächste Schritt muss sein, eine gemeinsame strategische Kultur in der EU zu entwickeln.

Wir haben das zwischen Deutschland und Frankreich bereits verabredet, müssen dies aber auch für die gesamte EU anstreben. Und wie im Vertrag von Aachen vereinbart werden wir uns mit Frankreich auch noch enger abstimmen bei Verteidigung und Rüstung. Nach dem Brexit stehen wir beide für rund 50 Prozent der Verteidigungsausgaben aller EU-Mitgliedsstaaten. Damit wächst unsere Verantwortung für die Handlungsfähigkeit Europas.

Wir müssen, zweitens, geo-ökonomisches in geo-politisches Kapital verwandeln. In der Handelspolitik ist Europa eine Weltmacht. Die Europäische Union ist der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt. Europa hat den größten Anteil am Welthandel.

Wir Europäer bieten unseren Partnern eine positive Handelsagenda an. Wir wollen gemeinsam Lösungen finden für Überkapazitäten, Staatskapitalismus oder Protektionismus. Wenn wir solche Lösungen hinbekommen - auch mit Blick auf ein zunehmend übermächtiges China – dann kann eine transatlantische Handelspartnerschaft zum Nukleus werden einer breiten transatlantischen Agenda zum Umgang mit aufstrebenden Mächten.

Das geht eben nur mit- und nicht gegeneinander. Zollschranken und Abschottung führen nicht weiter. Ich will dazu nur mal ein Beispiel dafür nennen: Die amerikanischen Strafzölle auf Stahl und Aluminium haben laut einer ersten Bilanz 8.700 neuen Stellen in der US-Stahlindustrie geschaffen. Im gleichen Zeitraum sind die Stahlpreise in den USA um 9 Prozent gestiegen. Umgerechnet bedeutet das: US-Stahlkonsumenten haben jede neue Stelle mit circa 650.000 Dollar im Jahr subventioniert. Gleichzeitig drohen Arbeitsplätze in Europa und anderswo wegzufallen. Was ist das anderes, als ein klassischer Fall von “lose-lose”?

Mit Japan haben wir Europäer gerade die größte Freihandelszone der Welt ins Leben gerufen – im übrigen mit hohen Schutzstandards für Umwelt, Verbraucher und Arbeitnehmer und klaren Regeln sogar zum Datentransfer. Mit vielen anderen Ländern und Regionen laufen ähnliche Verhandlungen.

Es gibt weltweit Interesse daran, gemeinsam mit der Europäischen Union die Globalisierung gerecht zu gestalten.

Drittens müssen wir alles dafür tun, bei den Spitzentechnologien von morgen nicht abgehängt zu werden. Wer Gefahr läuft, sich nur noch zwischen zwei konkurrierenden Techno-Sphären entscheiden zu können – chinesisch oder US-amerikanisch dominiert – der gehört ganz sicher nicht zur technologischen Avantgarde. Deshalb wird es notwendig sein, den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU konsequent darauf ausrichten – auf Forschung und Technologie.

Und wir müssen, viertens, dafür sorgen, dass die Europäische Union eine tragende Säule internationaler Ordnung wird - Partner und Stütze des Multilateralismus. Verständigung über Grenzen hinweg, die Fähigkeit zum Kompromiss – das war und ist Kern und Anspruch Europas. Wir setzen uns dafür ein, dass die EU schon in den nächsten Monaten Beschlüsse fasst, um ihre Globale Strategie von 2016 noch viel stärker in konkretes Handeln umzusetzen.

Wir haben vor einigen Monaten eine „Allianz für den Multilateralismus“ vorgeschlagen - ein flexibles Netzwerk engagierter Staaten und Institutionen. Ziel ist es dabei, all diejenigen Partner zusammenzubringen, die sich internationalen Regeln und multilateralen Lösungen verpflichtet fühlen, die auch Reformen gemeinsam weiterbringen wollen. Wir brauchen dafür keine neuen Formate, sondern belastbare Netzwerke für handfeste, diplomatische Teamarbeit.
Das betrifft wichtige Bereiche wie den Schutz der Menschenrechte, den Klimawandel, den freien Welthandel, oder Antworten auf Desinformationskampagnen und Cyber-Attacken, mit denen wir es heute viel zu häufig zu tun haben. Das gilt natürlich auch für ganz konkrete Fragen der Sicherheit und des Krisenmanagements, wie wir sie hier in München diskutieren:

Im Syrien-Konflikt arbeiten wir zum Beispiel in der “small Group”, aber auch mit Russland und anderen daran, die zentrale VN-Resolution 2254 umzusetzen und endlich den politischen Prozess in Gang zu setzen, indem das Verfassungskomitee auf die Bühne gehoben wird. Erst diese Woche habe ich mit dem neuen UN-Sondergesandten Pedersen überlegt, wie es gelingen kann, die verschiedenen Stränge - small group und Astana – enger zusammenzuführen.

Gemeinsam mit unseren Partnern - und zwar unter Führung der Vereinigten Staaten - ist es uns gelungen, die Menschen im Irak von der Terrorherrschaft des IS zu befreien. Vier Millionen Geflüchtete konnten in ihre Heimatorte zurückkehren. Die Grundlage war ein enges, gut koordiniertes Netzwerk aus Staaten, internationalen Organisationen und Verantwortlichen vor Ort.

Auch im Jemen hat ein gemeinsamer Ansatz in den letzten Wochen Fortschritte gebracht – so fragil sie auch sein mögen.

Wir haben das unterstützt – auch mit einer eigenen Stabilisierungskonferenz in Berlin. Die neue Dynamik muss jetzt genutzt werden – und zwar von allen Konfliktparteien – um endlich den Konflikt zu lösen. Das ist auch wichtig, um eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden.

Gemeinsam mit Briten, Franzosen und der gesamten EU haben wir Wege gefunden, um den Iran bis heute im Nuklearabkommen zu halten. Unser Ziel ist und bleibt ein Iran ohne Nuklearwaffen - gerade weil wir klar sehen, wie der Iran die Region destabilisiert. Deshalb wollen und werden wir das Nuklearabkommen erhalten. Denn ohne das JCPoA - so viel ist klar - wäre die Region kein Stück sicherer, sondern einen Schritt näher an einer offenen Konfrontation - mit allen Auswirkungen, die das für die Sicherheitslage in Europa hätte.

Und schließlich: In Venezuela ist es eine Allianz aus lateinamerikanischen Staaten, den USA, Kanada und Europäern, die den Weg hin zu freien Präsidentschaftswahlen und einem demokratischen Neuanfang ebnen will.

Gerade dieses letzte Beispiel zeigt: Es ist gut, wenn wir bei der Verteidigung von Demokratie, beim Einsatz für Freiheit und Menschenwürde zusammenstehen. Gemeinsam haben wir die internationale Ordnung geprägt. Der Multilateralismus ist vor allem auch eine transatlantische Errungenschaft.

Wir Europäer sind uns dessen bewusst und wir wollen diese Errungenschaft weiterentwickeln. Gemeinsam können wir auch die internationale Ordnung des 21. Jahrhunderts schaffen.

Der Multilateralismus bleibt dabei unser Weg in Europa. Wir bleiben Teamspieler – und das ist unser Angebot.

Herzlichen Dank!

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