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Für Nordirland können Partnerschaft und Weitblick viel erreichen

03.07.2022 - Namensbeitrag

Namensbeitrag von Annalena Baerbock, Bundesministerin des Auswärtigen, und Simon Coveney, Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung von Irland im Observer

Vor 24 Jahren haben die Menschen auf der ganzen irischen Insel in großer Zahl ihre Stimme für das in Belfast geschlossene Karfreitagsabkommen abgegeben. Mit ihrem Votum haben sie sich klar gegen Konflikt und Gewalt ausgesprochen und ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, dass alle Kinder auf der irischen Insel unter friedlichen Bedingungen aufwachsen können. Es war ein wahrhaft beeindruckender Moment, eine Sternstunde.

Das Abkommen gründete ausdrücklich auf den Grundsätzen der Partnerschaft, Gleichheit und gegenseitigen Achtung. Sein besonderes Vermächtnis ist es, dass alle zum Dialog verpflichtet sind, um Differenzen auszuräumen.

Im Friedensprozess hat die EU eine wesentliche Rolle gespielt. Die Architektinnen und Architekten des Abkommens wussten nur zu gut, dass die EU selbst ein Friedensprojekt ist, das auf internationaler Zusammenarbeit und gegenseitigem Verständnis fußt. Durch die EU-Mitgliedschaft und den Binnenmarkt wurde den Menschen überall auf der irischen Insel ein gemeinsamen Raum eröffnet, wo zuvor Spaltung herrschte. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die EU mehr als 1,5 Milliarden Euro in Programme zur Förderung des Friedens und der grenzübergreifenden Zusammenarbeit investiert.

Als das Vereinigte Königreich den Beschluss fasste, die EU zu verlassen, war klar, dass beide Seiten, die EU und das Vereinigte Königreich, eine gemeinsame Lösung finden mussten, um das Karfreitagsabkommen zu bewahren und den so kostbaren Frieden für alle Menschen zu erhalten.

Diese Lösung, auf die man sich in langen und harten Verhandlungen geeinigt hat, ist das Nordirland-Protokoll.

Dieser Lösung hat die britische Regierung vor zwei Jahren zugestimmt.

Diese Lösung erkennt den verfassungsrechtlichen Status von Nordirland sowie das im Karfreitagsabkommen niedergelegte Konsensprinzip ausdrücklich an.

Entscheidend war außerdem, dass wir Nordirland weithin den Zugang zum EU-Binnenmarkt mit seinen mehr als 450 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglichen wollten.

Der Abschluss des Austrittsabkommens und des Protokolls ebnete auch den Weg für die Finalisierung des Abkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über Handel und Zusammenarbeit.

Die Menschen und Unternehmen Nordirlands profitieren tagtäglich hiervon. Zahlen belegen, dass die Wirtschaft Nordirlands sich rascher von der Pandemie erholt als die meisten anderen Regionen im Vereinigten Königreich. Das Interesse an Investitionen in Nordirland ist so groß wie nie zuvor. Aufgrund ihres Zugangs zum Binnenmarkt können sich nordirische Unternehmen in Ausschreibungen durchsetzen. Mit Freude sehen wir, dass nordirische Unternehmen in wichtigen Bereichen wie dem produzierenden Gewerbe, der Milchwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie durch diese Möglichkeiten gute Wachstumschancen haben.

Während der gesamten Verhandlungen hat die EU aufmerksam zugehört, wie die am meisten betroffenen Bürger und Unternehmen, auch innerhalb der unionistischen Gemeinschaft, die Lage bewerten.

Und wir haben nicht nur zugehört. Nach Äußerung ernster Besorgnisse von Menschen in Nordirland hat die EU Vorschläge gemacht, wie sich der Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland vereinfachen lässt, ihre Rechtsvorschriften angepasst, um Besorgnissen im Hinblick auf die Lieferung von Medikamenten Rechnung zu tragen, und Akteuren in Nordirland mehr Mitsprache bei der praktischen Umsetzung des Protokolls eingeräumt.

Dieses Paket stellte einen fairen und vernünftigen Ausgleich zwischen zwei wesentlichen Erfordernissen dar: das Karfreitagsabkommen nach Geist und Buchstabe uneingeschränkt zu erfüllen und so die Errungenschaften des Friedensprozesses zu bewahren sowie die hohen Anforderungen, auch im Bereich öffentliche und Lebensmittelsicherheit, aufrechtzuerhalten, die die EU-Bürger vom Binnenmarkt erwarten.

Leider hat sich die britische Regierung dafür entschieden, diese Vorschläge nicht gutwillig zu erörtern. Statt für den Weg der Partnerschaft und des Dialogs hat sich die britische Regierung für eine Politik des Alleingangs entschieden.

Für den einseitigen Bruch einer völkerrechtlichen Übereinkunft, die vor gerade einmal zwei Jahren geschlossen wurde, gibt es keine juristische oder politische Rechtfertigung. Die Vorlage von Rechtsvorschriften in diesem Monat wird die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Protokoll nicht beseitigen. Stattdessen werden hierdurch neue Unsicherheiten geschaffen und es wird noch schwieriger werden, dauerhafte Lösungen zu finden.

Wir wissen und verstehen, dass die Menschen in Nordirland im Hinblick auf ihre Zukunft und die ihrer Kinder Sicherheit, Stabilität und Verlässlichkeit wollen. Dies hat sich auch in den jüngsten Wahlen zur Northern Ireland Assembly, dem nordirischen Parlament, gezeigt, wo 52 der 90 gewählten Abgeordneten sich für das Protokoll aussprechen.

Deshalb steht die EU zum Protokoll und deshalb bleiben die Vorschläge der EU auf dem Tisch. Wir sind offen für flexible und kreative Lösungen, weil wir überzeugt sind, dass alle Menschen in Nordirland von dem Protokoll profitieren können.

In dieser schwierigen Zeit, in der Russland einen skrupellosen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und unsere europäische Friedensordnung angreift, müssen die EU und das Vereinigte Königreich als Partner mit gemeinsamen Werten zusammenstehen und dafür eintreten, die regelbasierte internationale Ordnung aufrechtzuerhalten und zu stärken.

Wir fordern die britische Regierung nachdrücklich auf, von ihrem einseitigen Vorgehen Abstand zu nehmen und im gleichen Maß wie die EU Pragmatismus und Kompromissbereitschaft an den Tag zu legen.

Wenn wir zusammenarbeiten - in Partnerschaft und gegenseitigem Respekt - können wir eine gemeinsame Basis finden und die Herausforderungen, wie schwierig sie auch sein mögen, meistern.

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