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„Es liegt allein am russischen Präsidenten“ - Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit dem Tagesspiegel

12.01.2023 - Interview

Frage: Frau Baerbock, befinden wir uns im Krieg mit Russland?

Außenministerin Baerbock: Nein. Russland greift die Ukraine mit dem Ziel an, dieses Land zu vernichten. Es greift damit auch unsere europäische Friedensordnung an. Deshalb war es so wichtig, dass wir seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar vor einem Jahr bei unserem Bemühen größte internationale Einigkeit gewahrt haben. Und zwar sowohl bei der Unterstützung der Ukraine in der Ausübung ihres Rechts auf Selbstverteidigung als auch bei der Verteidigung der Charta der Vereinten Nationen und der europäischen Friedensordnung.

Frage: Wir spielen auf Ihre Aussage vor dem Europarat an, wo Sie auf Englisch sagten: “We are fighting a war against Russia.”

Außenministerin Baerbock: Das ist mir klar. Aber gerade in so schwierigen Zeiten, in denen wir uns auf einem sehr, sehr schmalen Grat bewegen, in denen immer wieder Dinge bewusst fehlinterpretiert werden, ist der Kontext entscheidend. In der konkreten Situation warfen mir im Europarat viele Fragesteller vor, Deutschland lasse die Ukraine im Stich, wenn wir nicht sofort Kampfpanzer liefern. Deshalb habe ich deutlich gemacht, dass wir die Ukraine dabei unterstützen, sich zu verteidigen. Ich plädierte dafür, als Europäer nicht mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern dafür zu sorgen, dass die Ukraine endlich wieder in Frieden leben kann. Und ich wollte zudem deutlich machen, dass der Angriff auf die Ukraine eben auch ein Angriff auf unsere europäische Friedensordnung sowie die Charta der Vereinten Nationen ist.

Frage: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wirft Ihnen vor, mit dieser Aussage die russische Propaganda gestärkt zu haben. Haben Sie das getan?

Außenministerin Baerbock: Das russische Regime und Wladimir Putin versuchen jede Äußerung von mir für ihre Propaganda auszuschlachten. Das tun sie auch, wenn ich sage: Heute ist Samstag.

Frage: Sie sind bekannt für eine direkte Ausdrucksweise und auch für emotionale Botschaften. So berichten Sie gern von Begegnungen mit Menschen, oft von solchen mit Frauen oder Kindern, und verbinden diese Erzählung mit einer politischen Aussage. Ist der Preis für diese Kommunikation eine höhere Fehleranfälligkeit?

Außenministerin Baerbock: Es gibt einen Spruch, der lautet: Wer keine Fehler macht, der lebt nicht. Mir ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass Außenpolitik keine abstrakte Angelegenheit ist, sondern dass sie direkt mit ihnen und ihrem Leben zu tun hat. Ich will Politik für Menschen machen.

Frage: Wie könnte dieser Krieg enden?

Außenministerin Baerbock: Mit Frieden. Das ist oberstes Ziel unseres Handelns. In den vergangenen zwölf Monaten hat die deutsche Bundesregierung und haben mehr als 100 andere Länder Russland immer wieder deutlich gemacht, dass wir jederzeit reden können. Aber die Antwort war jedes Mal noch mehr Bomben und Raketen auf unschuldige Menschen. Es liegt allein am russischen Präsidenten. Seit einem Jahr tötet Russlands Krieg in der Ukraine täglich Menschen. Putin hat diesen brutalen Angriffskrieg gestartet. Und er könnte ihn sofort beenden.

Frage: Das wird er kaum tun. Welchen Weg sehen Sie, ein Ende des Krieges näherzubringen?

Außenministerin Baerbock: Wie so viele andere wünsche auch ich mir nichts sehnlicher, als dass dieser Krieg aufhört. Dafür setze ich mich ein. Jeden Tag. Ich verstehe, dass sich viele Menschen wünschen, man würde sich an einen Tisch setzen und miteinander reden, damit der Krieg nur ein Ende fände. Das funktioniert leider nicht, solange der russische Präsident sich in den Kopf gesetzt hat, sein Nachbarland auszulöschen. Wir müssen daher – so schwer das ist – der Tatsache ins Auge blicken, dass Gewissheiten nicht mehr funktionieren, auf die man bislang vertraut hat. Der russische Präsident handelt nicht entsprechend der Logik einer Demokratie. In Russland regiert ein Autokrat. Die Opposition sitzt im Gefängnis. Menschen, die gegen diesen Krieg demonstrieren, werden verhaftet, junge Männer zwangsrekrutiert. Wir werden daher die Ukraine weiter dabei unterstützen, Menschenleben zu schützen, bis das Töten Russlands ein Ende hat.

Frage: Sie haben sich schon früh für eine schnellere Entscheidung über die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern ausgesprochen. Haben Sie wegen der eher zögerlichen Haltung des Kanzleramtes Partner ermutigt, Druck auf Deutschland auszuüben?

Außenministerin Baerbock: Nein. In diesem Jahr des Schreckens standen und stehen wir als Bundesregierung immer wieder vor schwierigen Abwägungen. Ich als Außenministerin bin durch meine Rolle in EU- und Nato-Formaten und bei bilateralen Treffen oftmals die erste Ansprechpartnerin für die Frage, was wir gemeinsam tun können, um die Ukraine bei der Verteidigung ihrer Menschen zu unterstützen. Natürlich führe ich diese Gespräche mit dem gleichen Ziel wie der Kanzler, und das lautet: gemeinsam die Ukraine unterstützen und zugleich uns selbst nicht gefährden. Wir haben zwar unterschiedliche Ämter und unterscheiden uns vielleicht auch als Person, aber im Ziel sind wir uns völlig einig.

Frage: Die „Zeit“ berichtet, Sie hätten hinter dem Rücken des Kanzlers gehandelt, etwa indem Sie in London für die Lieferung britischer Kampfpanzer warben. War das so?

Außenministerin Baerbock: Keineswegs. So wie auch der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister tausche ich mich stetig mit unseren Partnern zu der Frage aus, wie wir die Ukraine noch weiter militärisch unterstützen können. Dies ist mein Job. Und weil uns zu dem Zeitpunkt einige vorwarfen, nicht entschieden genug zu handeln, ging es natürlich auch darum, was die Briten tun. Sie erwogen damals, Challenger-Panzer zu liefern. Wir standen kurz vor der Marder-Entscheidung. Gerade weil ich es falsch fand, Deutschland als Zögerer anzuklagen, habe ich in meinen unterschiedlichen Gesprächen auch immer wieder gefragt, was andere liefern.

Frage: Sie hatten allerdings schon im Herbst öffentlich eine schnelle Entscheidung über Kampfpanzer für die Ukraine gefordert.

Außenministerin Baerbock: Nochmal: Das sind schwierige Entscheidungen. Es geht nicht um Spielzeug, sondern um schweres Kriegsmaterial. Daher ist es wichtig, immer wieder sorgfältig abzuwägen, wie wir bestmöglich Leben schützen können. Und zugleich – das ist die andere Seite unserer Verantwortung – muss man sich immer wieder vorstellen, was passiert, wenn die Ukraine sich nicht verteidigen kann. Dann werden Städte wie Charkiw wieder belagert und beschossen, ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und Frauen, Kinder, Großeltern müssen aus ihrer Heimat fliehen. Es ist eine Gratwanderung. Dabei spielt Zeit eben auch eine wichtige Rolle, um Leben zu retten.

Frage: Der Kanzler hat diese Woche im Bundestag gemahnt, öffentlicher Dissens über Waffenlieferungen helfe nur Putin. Stimmen Sie zu?

Außenministerin Baerbock: Ja. Deshalb habe ich im Europarat ja auch gesagt, dass wir als Europäer zusammenstehen müssen, weil der russische Präsident die europäische Friedensordnung angreift.

Frage: Sie haben die Mahnung des Kanzlers also nicht auf sich bezogen?

Außenministerin Baerbock: Nein.

Frage: Ihre Forderung nach einer schnellen Entscheidung war kein Dissens?

Außenministerin Baerbock: Wir alle haben noch nie so eine Situation erlebt. Wenn man innerhalb einer Regierung gründlich und auch miteinander abwägt, ist das aus meiner Sicht nichts Schlechtes. Das macht doch den Kern von Demokratie aus.

Frage: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Forderung nach Kampfflugzeugen bekräftigt. Was ist der politische Unterschied zwischen einem Kampfpanzer, den Deutschland liefern will, und einem Kampfflugzeug, das Deutschland nicht liefern will?

Außenministerin Baerbock: Das ist keine Debatte, die wir führen. Wichtig ist, dass bisherigen Entscheidungen auch zügig umgesetzt werden. Wir sehen gerade eine russische Offensive, in der in völliger Verachtung der eigenen Soldaten immer neue Wellen Zwangsmobilisierter auf die ukrainischen Stellungen geworfen werden. In dieser Situation liefern wir Kampf- und Schützenpanzer, Munition, Artillerie und Luftabwehr.

Frage: Aber die Debatte ist doch schon voll ausgebrochen, die Briten bilden schon ukrainische Piloten an westlichen Flugzeugen aus…

Außenministerin Baerbock: Das ist mir bekannt.

Frage: Die Ukraine soll den Krieg gewinnen. Umfasst das auch die Rückeroberung der Krim?

Außenministerin Baerbock: Die Krim gehört zur Ukraine und sie wurde 2014 völkerrechtswidrig von Russland besetzt.

Frage: Muss die Ukraine, sollte es zu Verhandlungen kommen, territoriale Zugeständnisse machen?

Außenministerin Baerbock: Wir helfen der Ukraine ihre Freiheit, also auch ihre territoriale Unversehrtheit, zu verteidigen. Es obliegt allein der Ukraine ob und wie sie Verhandlungen führt und nicht uns.

Frage: Wie reagiert Russland, wenn die Ukraine die Krim befreien sollte?

Außenministerin Baerbock: In den letzten zwölf Monaten sind in Europa Dinge passiert, die ich mir niemals hätte vorstellen können: Russische Soldaten haben bewusst Minen in Kinderspielzeug gelegt. In Butscha wurden Menschen auf dem Rückweg vom Einkauf auf ihren Fahrrädern kaltblütig erschossen. Teenager wurden verschleppt und vergewaltigt. Mit der Zerstörung von Infrastruktur im Winter will man Menschen bei -15 Grad systematisch erfrieren und verdursten lassen. Das sind offensichtlich alles Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für uns ist daher zentral, dass diese Verbrechen so schnell wie möglich ein Ende nehmen. Das ist unser Ziel als internationale Gemeinschaft.

Frage: Was tun Sie, um Voraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen.

Außenministerin Baerbock: Wir stimmen uns eng mit unseren internationalen Partnern ab und schmieden Bündnisse gegen den brutalen Bruch der UN-Charta. Die 143 Staaten, die in den Vereinten Nationen diesen Angriffskrieg verurteilt haben, sind ja nicht vom Himmel gefallen. Viele Länder haben zu Kriegsbeginn gesagt, es sei ein europäischer Krieg. Gerade während meiner Zeit als Vorsitzende im Kreis der G7-Außenministerinnen und Außenminister haben wir skeptischere Länder davon überzeugt, dass dieser Krieg auch sie betrifft. Denn wenn wir hinnehmen, dass ein stärkeres Land seinen schwächeren Nachbarn überfällt und alle nur zusehen, kann so gut wie kein Land mehr ruhig schlafen. Das wäre das Ende des Völkerrechts. Diplomatie ist mühsam – erst recht in Zeiten dieses vollkommenen Regelbruchs. Aber wir konnten unter anderem erreichen, dass der Zugang des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in die Ukraine sich verbessert hat und dass Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) vor Ort im Atomkraftwerk Saporischschja in einer hochgefährlichen Situation für ein Mindestmaß an Sicherheit und Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen. Es mangelt nicht an Diplomatie, sondern an der Bereitschaft Putins, von seinem Wahnsinn Abstand zu nehmen.

Frage: Seit Chinas Präsident Xi Jinping am Rande des Besuchs des Bundeskanzlers den möglichen Einsatz von Atomwaffen verurteilt hat, gibt es keine nuklearen Drohungen mehr aus dem Kreml. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Außenministerin Baerbock: Ja, natürlich. Wir haben als G20 – in denen ja nicht nur die westlichen G7-Staaten vertreten sind, sondern auch Länder wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien – deutlich gemacht, dass Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine unter keinen Umständen auf Atomwaffen zurückgreifen darf. Russland wurde in dieser Frage isoliert. Hier sieht man, wie wichtig es ist, diese internationalen Bündnisse zu schmieden.

Frage: Durch die Affäre um den Spionageballon verschlechtern sich die chinesisch-amerikanischen Beziehungen dramatisch. Ist die Bundesregierung solidarisch mit den USA?

Außenministerin Baerbock: Ballon klingt ja erstmal harmlos. Aber es war ja kein Luftballon. Es ist eine ernste Sache, wenn ein Spionageballon ohne Zustimmung der USA in ihren Luftraum fliegt. Das ist ein Bruch von international vereinbarten Regeln. Wenn andere gegen internationales Recht verstoßen, stehen wir an der Seite unserer Partner und der regelbasierten Ordnung.

Frage: Frau Baerbock, bei den Erdbeben in Syrien und der Türkei sind weit mehr als 10.000 Menschen gestorben. Welche Hilfe muss Deutschland leisten?

Außenministerin Baerbock: Das Ausmaß dieser Katastrophe erschüttert mich wie uns alle zutiefst. Man muss sich das vorstellen: Eltern versuchen mit bloßen Händen, ihre Kinder aus den Trümmern zu retten. Jeder in Deutschland kennt jemanden, der Verwandte oder Bekannte in der Region hat. Die Hilfsbereitschaft auch in unserem Land beeindruckt mich zutiefst. Um bei der Rettung der Verschütteten zu helfen, haben wir unmittelbar nach den Erdbeben mehrere Bergungs- und Suchtrupps in die betroffenen Gebiete in der Türkei entsandt. Nun bringt die Bundeswehr zusätzlich Zelte, Decken, Heizgeräte, Medikamente und Generatoren in die Türkei, die in dieser akuten Phase nach den Beben und den schwierigen Witterungsverhältnissen vor Ort besonders dringend gebraucht werden. In Syrien ist die Lage noch komplizierter, denn das Leid der Menschen war schon wegen des andauernden Konflikts riesig. Die Erdbeben haben die Situation nochmal dramatisch verschlechtert. Wir leisten Hilfe vor Ort, über die Hilfsorganisationen. Und wir versuchen trotz der zynischen Politik des syrischen Regimes alles, die Menschen in den betroffenen Gebieten zu erreichen. In einem ersten Schritt haben wir ganz schnell zusätzliche 25 Millionen Euro für Hilfsfonds der Vereinten Nationen freigegeben.

Frage: Sie haben sich dafür ausgesprochen, die Grenze zwischen Syrien und der Türkei zu öffnen. Werden Sie auch beim syrischen und russischen Regime dafür werben?

Außenministerin Baerbock: Ich habe gleich zu Anfang dieser Katastrophe international, auch gegenüber Russland, geworben, dass das syrische Regime einer Öffnung der Grenzübergänge zustimmt. Schon seit Jahren ist es alles andere als einfach, humanitäre Hilfe nach Syrien zu bekommen. Die Vereinten Nationen hängen wegen der syrischen Blockade von einem Grenzübergang ab. Damit Hilfe die Menschen erreicht, müssen auch andere Grenzübergänge geöffnet werden. In so einer Situation muss man jeden diplomatischen Kanal nutzen, den man hat.

Interview: Felix Hackenbruch, Valerie Höhne und Hans Monath

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