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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Aktuellen Stunde des Bundestages: „Zur Zukunft des INF-Vertrages als Kernelement europäischer Sicherheit“

08.11.2018 - Rede

Ein Ereignis wird im politischen Sprachgebrauch schnell als „Meilenstein“ bezeichnet. Die Zahl solcher Meilensteine weckt gewisse Zweifel, ob das immer berechtigt ist.

Als jedoch 1987, also mitten im Kalten Krieg, der Vertrag über das Verbot bodengebundener Mittelstreckenraketen geschlossen wurde, war das zweifellos ein Meilenstein. Der INF-Vertrag liefert den Beleg dafür, dass Verständigung in Zeiten extremer Konfrontation möglich ist, dass alle Seiten sicherer leben, wenn gegenseitiges Misstrauen überwunden wird.

Michail Gorbatschow und Ronald Reagan wussten dies, als sie den Vertrag unterzeichneten. Und daran sollten sich auch diejenigen erinnern, die heute in Washington und Moskau politische Verantwortung tragen.

Von der Logik der Entspannungspolitik ist die Welt heute leider meilenweit entfernt. Bittere Bestandsaufnahme, mit der wir uns aber nicht abfinden dürfen, ist: Die multilateralen Regelwerke werden löchriger, und wir drohen auf eine Zeit zuzusteuern, in der gerade Nuklearwaffen keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen.

Diese Entwicklung kommt nicht aus dem Nichts. Schon Präsident Obama forderte vor Jahren Russland auf, die Vorwürfe einer möglichen Verletzung des INF-Vertrags auszuräumen.

Wir stehen dazu mit Russland in einem engen Dialog. Ich habe meinen russischen Kollegen Lawrow darauf angesprochen und ihn aufgefordert, gerade jetzt, in dieser Diskussion, in der die Kündigung des Vertrages zu befürchten ist, volle Transparenz herzustellen.

Nächste Woche tagt die Hohe Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik, deren Wiederaufnahme wir im Mai in der Bundesregierung beschlossen haben. Auch dort werden wir diese Themen ansprechen.

Das war auch unsere Botschaft beim NATO-Russland-Rat, der auch auf unser Betreiben letzte Woche getagt hat. So viel zum Thema Dialog mit Russland.

Gegenüber den USA setzen wir uns dafür ein, den von Präsident Trump angekündigten Ausstieg nicht vorschnell zu vollziehen, sondern gemeinsam mit uns Europäern die verbleibenden Spielräume zum Erhalt des Vertrages auszuloten.

Auch darüber habe ich mit meinem amerikanischen Kollegen gesprochen, und unser Staatssekretär ist zur Stunde in Washington, um diese Gespräche fortzuführen.

Warum tun wir das? Wir wollen den INF-Vertrag behalten, weil wir nicht wollen, dass Deutschland oder irgendein anderes Land in Europa zum Schauplatz einer nuklearen Aufrüstungsspirale wird.

Deshalb brauchen wir diesen Vertrag. Aber das reicht uns noch nicht; denn wir verfolgen in der Abrüstungspolitik keine fossilen Prinzipien. Wir wollen noch mehr, und wir brauchen auch noch mehr.

So wichtig der INF-Vertrag für die globale Rüstungskontrollarchitektur ist, sein Erhalt alleine würde Frieden in Europa noch nicht sichern.

Wir stehen in der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik vor einer völlig neuen Situation und vor vielen neuen Herausforderungen.

Der Ost-West-Gegensatz ist längst nicht mehr die eine bestimmende Frage. Asymmetrien haben längst zugenommen. Länder wie China rüsten ihre Raketen- und Nukleararsenale deutlich auf, ohne dass dies in irgendeiner Weise von Vertrauensbildung begleitet wäre.

Durch die rasante technologische Entwicklung verschwimmen zudem die Grenzen zwischen konventionellen und nuklearen Bedrohungen. Auch die Entwicklung immer neuer Waffensysteme vergrößert die Unberechenbarkeit und beeinflusst das sogenannte strategische Gleichgewicht.

Wir brauchen mehr internationale Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik.

Dabei stehen vier Punkte im Zentrum unserer Politik:

Wir brauchen - erstens - einen offenen Austausch zwischen den USA, Europa und Russland über die Sicherheit in Europa. Voraussetzung dafür ist, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht. Erst wenn wir das Bewusstsein schaffen, dass wir in Europa in einem gemeinsamen Raum der Sicherheit leben, werden wir nach außen wirklich handlungsfähig sein.

Gerade hier brauchen wir eine europäische Ostpolitik. Ziel ist, gemeinsam mit unseren östlichen Nachbarn in der Europäischen Union auf unsere östlichen Nachbarn jenseits der EU-Außengrenzen zuzugehen. Letzten Endes geht es um die unteilbare Sicherheit aller Europäer.

In diesem Verständnis sollten wir den Austausch miteinander und auch mit den USA und Russland suchen. Ziel muss sein, durch gegenseitige Transparenz längst verlorengegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.

Dabei können wir an die positiven Erfahrungen aus der von uns angestoßenen Initiative zur konventionellen Rüstungskontrolle im Rahmen der OSZE anknüpfen; denn dauerhafte Sicherheit auf unserem Kontinent kann es nur mit- und niemals gegeneinander geben.

Ich möchte alle Punkte ansprechen, die nicht nur bei uns, sondern auch an anderer Stelle in Europa diskutiert werden: Uns besorgt die Stationierung nuklearfähiger Raketen in Kaliningrad. Wir können auch nicht die Augen davor verschließen, dass unsere östlichen Partner in Europa darüber noch mehr besorgt sind. Ebenso wichtig ist, dass sich der Austausch eben nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen erschöpft; in diesem Stadium befinden wir uns gerade. Denn: Aus zwei Monologen entsteht noch lange kein vernünftiger Dialog.

Wir wollen - zweitens - die Diskussion über ein umfassendes, internationales Transparenzregime für Raketen und Marschflugkörper voranbringen; denn egal ob im Nahen und Mittleren Osten oder in Ostasien: Schon der Wettlauf um solche Waffen lässt die Konflikte weltweit eskalieren.

Rüstungskontrolle muss - drittens - wieder Kernbestandteil der internationalen Diplomatie werden. Man hatte nicht den Eindruck, dass das in den letzten Jahren der Fall gewesen ist. Deshalb werde ich in den nächsten Tagen Gespräche in Peking dazu nutzen, um auch dort für Transparenz und Rüstungskontrolle zu werben; denn da ist es bitter notwendig.

Wir müssen - viertens - dafür sorgen, dass völkerrechtliche Standards mit der Entwicklung hochmoderner Waffenarten Schritt halten. Was wie Zukunftsfantasie klingt, ist in Teilen bereits tödliche Realität. Vollautonome Waffensysteme, die außerhalb jeglicher menschlicher Kontrolle töten, gehören weltweit geächtet.

Das ist das Ziel einer Initiative bei den Vereinten Nationen, die wir als Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht haben. Und ich würde mich freuen, wenn diese Initiative vom ganzen Haus unterstützt werden würde.

Meine Damen und Herren,

die Frage menschlicher Kontrolle stellt sich aber auch bei anderen neuartigen Systemen wie Hyperschallwaffen oder weltraumgestützten Waffen.

Darüber wird nicht nur diskutiert; sie werden längst schon entwickelt. Bei einer Konferenz in Berlin im kommenden Jahr wollen wir uns mit Fragen zur Regulierung solcher Waffensysteme international beschäftigen. Und wir werden im nächsten Jahr unseren Sitz im Sicherheitsrat dafür nutzen, damit das auch dort Thema wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir werden Verbündete für all das brauchen, Verbündete, um die weltweiten Aufrüstungstendenzen zu stoppen. Wir werden daran arbeiten, dass Abrüstung international wieder in den Vordergrund gerückt wird.

Und dabei müssen wir Friedensstifter sein; denn letztlich ist eine Lehre der Entspannungspolitik weiter gültig: Nur Verlässlichkeit und Transparenz schaffen Vertrauen, und nur Vertrauen schafft Sicherheit.

Vielen Dank.

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