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Zurück zur Abrüstung

31.07.2019 - Namensbeitrag

Das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen gerät in immer größere Ferne. Aber Rüstungskontrolle muss wieder in den Mittelpunkt rücken. Ein Gastbeitrag von Heiko Maas in den Medien der RND-Gruppe.

„Ballistische Rakete im Anflug. Suchen Sie sofort Schutz.“ Diese SMS erhielten hunderttausende Bewohner Hawaiis am Morgen des 13. Januar 2018. Menschen gerieten in Panik, verabschiedeten sich von ihren Liebsten. Es folgten 38 lange Minuten der Ungewissheit, dann die Entwarnung: Fehlalarm, ausgelöst von einem Mitarbeiter der Katastrophenschutzbehörde.

Die Nachricht vom vermeintlichen Raketenangriff ging um die Welt – wohl auch, weil so etwas für die meisten von uns heute unvorstellbar ist. Dabei besitzen die Atomwaffenstaaten nach wie vor fast 14 000 nukleare Sprengköpfe. Ein einziger würde genügen, ganze Städte auszulöschen. Und auch wenn die Zahl der Nuklearwaffen in den letzten Jahren leicht gesunken ist – die Investitionen in neue Systeme gehen nach oben.

Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt gerät mehr und mehr aus den Augen. Und wenn wir am Freitag aufwachen, wird einer der erfolgreichsten Abrüstungsverträge aller Zeiten Geschichte sein. Michail Gorbatschow und Ronald Reagan hatten 1987 vereinbart, landgestützte Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper komplett zu vernichten. Mitten im Kalten Krieg wurde ein tödliches Risiko für Europa aus dem Weg geräumt.

Aller Appelle und Dialogangebote zum Trotz verweigert Russland die Vernichtung des vertragswidrigen Systems und hat zudem modernste Nuklearwaffen in unserer Nachbarschaft stationiert. Uns Europäern bereitet das große Sorgen. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern suchen wir nach Antworten – ausgewogen, abgestimmt, defensiv. Denn eins ist klar: Aufrüstungsspiralen machen die Welt nicht sicherer. Im Gegenteil: Wenn wir den Zerfall der weltweiten Rüstungskontroll-Architektur nicht stoppen, hat das ernste Folgen – für unsere Sicherheit und den Frieden weltweit.

Wir brauchen einen klaren Fahrplan zurück zu nuklearer Abrüstung und Rüstungskontrolle. Dabei müssen wir den Blick auch über Europa hinauswerfen. Die Verantwortung Chinas und anderer nimmt zu.

1. Erstes Element ist daher, Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder auf die internationale Tagesordnung zu setzen und Partner dafür zu gewinnen. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich im April mit nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung befasst hat – erstmals seit 2012! Die Diskussion lief ermutigend sachlich. Gemeinsam mit Schweden, Japan und anderen haben wir eine Initiative gestartet, um der Verpflichtung zu nuklearer Abrüstung aus dem Atomwaffensperrvertrag wieder Geltung zu verschaffen. Dazu werde ich meine Kolleginnen und Kollegen in den kommenden Monaten nach Berlin einladen, bereits mit Blick auf die entscheidende Überprüfungskonferenz des Vertrags im kommenden Jahr.

2. Wir müssen Eskalationen verhindern. Deshalb werden wir uns für mehr Transparenz in den Arsenalen der Nuklearwaffenstaaten einsetzen, zurückhaltende Einsatzdoktrinen fördern und robuste Überprüfungsverfahren für die Vernichtung von Atomwaffen entwickeln. Und wir werden mit unseren Partnern alles daran setzen, dass sich Atomwaffen nicht weiter verbreiten – Stichwort Nordkorea. All das erfordert Deutschlands vollen Einsatz.

3. Ein weiteres Element ist der New-START-Vertrag zwischen den USA und Russland, der 2021 ausläuft. Er begrenzt die strategischen Arsenale der mächtigsten Atomwaffenstaaten und verhindert einen atomaren Rüstungswettlauf. Wir appellieren an Washington und Moskau, sich bereits heute zu seiner Verlängerung zu bekennen. Das böte Zeit, den Vertrag an neue Entwicklungen anzupassen – und wäre ein dringend nötiges Signal der Sicherheit in unsicheren Zeiten.

4. Wir brauchen einen strukturierten Dialog über Sicherheit in Europa – zwischen den USA und Russland, aber unter Einschluss der Europäer. Nur wenn wir offen miteinander reden – ohne Scheuklappen, aber auf Basis klarer Prinzipien – kommen wir voran. Denn am Ende gilt: Was immer eine Seite als Bedrohung empfindet, schafft für die andere auf Dauer keine Sicherheit.

5. Neue Technologien stellen die Rüstungskontrolle von morgen vor völlig neue Herausforderungen. Vollautonome Waffensysteme, Hyperschallwaffen, Cyber-Bedrohungen, die militärische Nutzung des Weltraums – all das droht die alten Regelwerke zu unterlaufen. Hunderte Diplomaten und Experten aus aller Welt haben sich im März in Berlin auf unsere Initiative hin mit der Rüstungskontrolle der Zukunft befasst – eine Premiere. Wir wollen diesen Weg weitergehen, zum Beispiel durch einen weltweiten Dialog über Raketentechnologie. Und auch die EU muss sich dieser Fragen stärker annehmen – das wird ein Ziel unserer Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr.

Keiner dieser Schritte wird einfach. Aber jeder von ihnen bringt uns unserem Ziel näher: einer Welt ohne Atomwaffen, einer Welt, die friedlicher ist. Deutschland will diesen Weg mit seinen Partnern gehen. Damit es nicht eines Tages heißt: „Ballistische Rakete im Anflug“ – und dies ein echter Alarm ist.

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