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„Für ein Internet der Freiheit und der Demokratie“ - Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Jahreskonferenz der Freedom Online Coalition

29.11.2018 - Rede

Na, wer hat heute Morgen schon seine E-Mails gecheckt? Oder Tweets gelesen, seinen Facebook- oder Instagram-Account überprüft? Wahrscheinlich die meisten, wenn nicht in Wirklichkeit alle.

Wir kommunizieren mittlerweile fast permanent. Das Internet hat die Distanzen zwischen Ländern und Kontinenten sozusagen auf die Übertragungsdauer einer Mail zusammengeschrumpft. Ein Post in sozialen Medien kann in Sekunden Millionen Nutzer auf der ganzen Welt erreichen. Und ein Hashtag kann globale Debatten auslösen, im Positiven wie im Negativen.

Timothy Garton Ash beschreibt diese digitale Welt als globale Großstadt, als eine virtuelle „Kosmopolis“.

Ich möchte gerne einen Augenblick bei diesem Bild bleiben, weil es ein sehr schönes und auch sehr zutreffendes ist, denn es verdeutlicht die Chancen, die wir haben, aber auch die Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Ähnlich einer Großstadt verspricht das Internet fast unbegrenzten Zugang zu neuen Ideen. Es ermöglicht Begegnungen mit Menschen anderer Länder und Kulturen. Es bietet unterschiedlichen Meinungen Raum. Es verbindet uns.

Und trotzdem spüren wir auch: Irgendetwas läuft schief in dieser digitalen Großstadt.

  • Anstatt gemeinsam über Zukunftsfragen zu diskutieren, zerfällt die Stadt in kleine, abgeschlossene Häuserblocks.
  • In manche Viertel dringen Meinungen von außerhalb schon gar nicht mehr vor.
  • Stattdessen überschwemmen Propaganda, Beleidigungen und Hassreden die Straßen.
  • Und mancher Aufpasser nutzt die Technologie der digitalen Großstadt leider auch, um die Bewohner seines Hauses zu überwachen oder auch um andere Wohnblocks auszuspionieren.
  • So harmlos das bildlich gesprochen noch klingt - in der Realität stehen wir vor tiefgreifenden Fragen:
  • Gelingt es uns, das Internet als Raum der Freiheit zu erhalten oder wird es zu einem Instrument der Unterdrückung?
  • Schaffen wir es, Demokratie im digitalen Zeitalter zu organisieren oder wird das Internet am Ende zur Bedrohung?

Auf solche grundsätzlichen Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Meine Hoffnung ruht daher auch auf Ihrer Expertise, die Sie heute mit hier ins Auswärtige Amt gebracht haben.

Bevor Sie mit der Diskussion beginnen, möchte ich Ihnen aber ein paar Gedanken mit auf den Weg geben, und zwar zu etwas, was uns hier sehr beschäftigt: zu Freiheit und Demokratie in dieser digitalen Großstadt.

Zunächst zur Freiheit. Die Hoffnung, dass das Internet die Menschheit quasi automatisch zur Freiheit führt, ist spätestens mit dem Traum des Arabischen Frühlings zumindest in Mitleidenschaft gezogen worden.

Heute sehen wir, wie Länder wie China oder Russland neue Technologien nutzen, um Inhalte im Netz zu zensieren und auch um ihre Bürger zu überwachen. Das geschieht nicht einmal immer alleine durch Repression. Auch vermeintlich positive Anreize erfüllen ihren Zweck - denken wir nur an Chinas „social scoring“, mit dem das Wohlverhalten der Bürger belohnt wird oder belohnt werden soll.

Machen wir uns nichts vor: Dieses autoritäre Modell hat das Zeug zum Exportschlager. Und dies trotz der Kosten, die mit Abschottung und Überwachung einhergehen.

Das Mantra eines „freien und offenen“ Internets genügt schon lange nicht mehr als ein Gegenargument. Regellosigkeit bedeutet eben nicht automatisch mehr Freiheit. Im Gegenteil: Gerade ohne Regeln kann der Cyberspace auch zum perfekten Kontrollinstrument werden.

Die Herausforderung für uns besteht deshalb darin, Regeln so zu setzen, dass sie Freiheit nicht beschneiden, sondern überhaupt erst ermöglichen.

Dafür müssen wir dort eine klare Linie ziehen, wo das Strafrecht beginnt. Mordaufrufe, strafbare Drohungen und Hetze gegen Minderheiten sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. So wie jeder Staat solche Straftaten auf seinen Straßen und Plätzen verfolgt, so muss er dies auch in der virtuellen Großstadt tun. Andernfalls geht der offene Meinungsaustausch zugrunde.

Und dabei, und das wissen Sie alle, die sich mit diesen Fragen professionell beschäftigen, liegt der Teufel im Detail: Zum einen überschreitet der grenzenlose Cyberspace den Geltungsbereich eines jeden Strafgesetzbuchs. Zum anderen gibt es natürlich unterschiedliche Grenzen dafür, wo eine Meinungsäußerung endet und wo strafbares Handeln beginnt.

In Deutschland, zum Beispiel, ist die Leugnung des Holocaust aus historischen Gründen strafbar. In den meisten anderen Ländern ist dies aber nicht der Fall.

Wir werden solche Unterschiede nicht völlig einebnen können. Aber wir brauchen eine Diskussion darüber, wo wir gemeinsam Grenzen ziehen und wie wir mit den Graubereichen in Zukunft umgehen wollen.

Gerade dort, wo das Strafrecht nicht greift, gilt derzeit: „Code is law“. Wenn dieser Satz zutrifft – und dafür spricht einiges – dann tragen dort diejenigen besondere Verantwortung, die für die Programmierung der Software und der Algorithmen zuständig sind. Also Unternehmen, wie wir sie alle kennen: Google, Facebook, Twitter.

Die Leitplanken aber, in denen sich die Unternehmen bewegen, die können wir auch als Nutzer definieren. Wir verfügen sozusagen über die Macht der Maus. Sie erlaubt uns, bestimmte Mindeststandards von den Plattformbetreibern einzufordern.

Aber sie ermöglicht uns auch, manch hässliche Meinungsäußerung durch einen Klick schlicht zu ignorieren – der Meinungsfreiheit zuliebe. „Robuste Zivilität“ nennt Timothy Garton Ash das.

Eines der Ziele der „Freedom Online Coalition“ sollte deshalb darin bestehen, ein gemeinsames Verständnis dieser robusten Zivilität zu entwickeln. Dafür brauchen wir die Unternehmen und die Zivilgesellschaft, die sich in diesem Jahr zu einem neu gegründeten Beraternetzwerk zusammengeschlossen haben.

Dafür brauchen wir aber auch einen offenen Dialog unter den Mitgliedstaaten. Einen Dialog darüber, welche Ansätze beim Menschenrechtsschutz online funktionieren und wo wir möglicherweise auch nachsteuern müssen. Auch deshalb haben wir der diesjährigen Konferenz erstmals ein Peer-Learning unter den Mitgliedstaaten vorgeschaltet.

Dabei ist deutlich geworden, dass wir gemeinsam schon einiges erreicht haben. Als Deutschland und Brasilien vor fünf Jahren erstmals eine Resolution zum Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter in die Vereinten Nationen eingebracht haben, da war auch unter uns noch umstritten, ob Menschenrechte online genauso wie offline gelten. Inzwischen ist dies Gott sei Dank von uns allen anerkannt.

Solche Fortschritte machen Mut. Mut, unser Leitbild eines demokratisch regulierten, freien und offenen Internets selbstbewusst gegen die autoritären und die libertären Modelle zu setzen.

Den Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Systemen spüren wir an den Angriffen, denen unser Modell immer öfter ausgesetzt ist. Fast alle der hier vertretenen Länder waren schon einmal Opfer von Hackerangriffen und von Desinformationskampagnen. Deshalb unterstützen wir den von Präsident Macron vor zwei Wochen lancierten „Paris Call“, den wir gemeinsam mit der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft voranbringen wollen.

Auch mit Blick auf die Europawahl im kommenden Mai müssen wir uns vor Cyber-Attacken und auch Desinformation wappnen. Die aktuelle Debatte in Deutschland über den Globalen Pakt zu Migration gibt da nur einen kleinen Vorgeschmack.

Gegen solche gezielten Desinformationskampagnen hilft nur eines: Wir müssen die Fakten offenlegen, um Wahrheit klar von Lügen und „fake news“ abzugrenzen.

Damit bin ich bei meinem zweiten Thema: Demokratie im Cyberraum. Was unserer digitalen Großstadt fehlt, ist das, was in den Städten des alten Griechenlands die Agora war. Ein Marktplatz, auf dem Meinungen ausgetauscht, Lösungen debattiert und auch gemeinsame Entscheidungen getroffen werden.

Hannah Arendt nahm die griechische Agora zum Ausgang ihrer Überlegungen über die Demokratie. Deren Wesenskern bestand für sie darin „dass Menschen in Freiheit, jenseits von Gewalt, Zwang und Herrschaft, miteinander verkehren, Gleiche mit Gleichen, die alle Angelegenheiten durch das Miteinander-Reden und das gegenseitige Sich-Überzeugen“ regeln.

Heute klingt das fast etwas utopisch. Unser Ziel muss es aber sein, im Cyberspace genau solche demokratischen Räume zu erhalten.

Das setzt aus meiner Sicht drei Dinge voraus:

Erstens: Damit im Internet wirklich „Gleiche mit Gleichen“ kommunizieren, muss der Zugang für alle frei und offen bleiben.

Letztlich geht es darum, die wichtigste Ressource der Menschheit - Wissen - allen zugänglich zu machen. Das Schöne ist ja: Wissen, das man jemandem zur Verfügung stellt, muss man niemandem wegnehmen. Geteilte Information wird nicht weniger, sondern eben mehr.

Dieser Gedanke liegt auch der Stellungnahme zur Überwindung des digitalen Grabens zwischen Nord und Süd zugrunde, die wir als „Freedom Online Coalition“ dieses Jahr beschließen wollen.

Wir müssen, zweitens, Fakten gegen „fake news“ setzen. Nur auf der Basis von Fakten ist ein sinnvoller Austausch unter Gleichen überhaupt erst möglich.

Dabei sind wir als Regierungen auf die Mithilfe von Unternehmen und der Zivilgesellschaft mehr als angewiesen. Denn Regierungen können und dürfen niemals zu Wahrheitsministerien werden.

Zuversichtlich macht mich, dass es immer mehr private „fact checker“ gibt. Dass sich immer mehr NGOs für einen respektvollen Umgang und Dialog im Internet einsetzen. Ein leuchtendes Beispiel, hier in Deutschland, ist die Initiative „Ich bin hier“, die erfolgreich gegen die Verrohung im Netz eintritt.

Und auch Internetunternehmen stellen sich zunehmend ihrer Verantwortung: Etwa, indem sie vertrauenswürdige Quellen kennzeichnen und überprüfbare Fakten an die Seite manch kruder These stellen.

Das alles sind gute Ansätze, die weiterverfolgt werden sollten. Denn uns allen muss daran gelegen sein, dass „frei und offen“ auch in Zukunft „menschlich und demokratisch“ bedeutet.

Um die Demokratie in unserer Kosmopolis zu stärken, braucht es, drittens, auch einen neuen Umgang mit sozialen Medien.

Ich will dafür ein Beispiel nennen. Facebook hat über zwei Milliarden Nutzer. Es kennt unsere Hobbys und Vorlieben. Warum aber schlägt es uns trotzdem stets nur die Inhalte und nur die Personen vor, die konform gehen mit Ansichten, die wir an irgendeiner Stelle mal geäußert haben?

Durch solche Algorithmen geht die größte Ressource der digitalen Großstadt verloren: ihre Diversität. So entstehen Echokammern, in denen eine Auseinandersetzung mit anderen Standpunkten am Ende überhaupt nicht mehr stattfinden kann. Sozusagen die „gated communities“ der globalen Großstadt.

Im Interesse unserer Demokratie müssen wir das verhindern – Nutzer, Regierungen und Unternehmen gleichermaßen.

Unsere Zusammenarbeit in der „Freedom Online Coalition“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie Multilateralismus auch in diesem Bereich heute funktionieren kann.

Gemeinsam sind wir nichts anderes als eine normative Supermacht. Uns Europäern ist dies spätestens durch die weltweite Reaktion auf die EU-Datenschutzverordnung bewusst geworden.

Lassen Sie uns unser Treffen heute und morgen, aber auch die „Internet and Jurisdiction“ Konferenz im Juni und das „Internet Governance Forum“ im November 2019 in diesem Sinne nutzen.

Von Berlin kann dann ein Impuls ausgehen für ein rechtsstaatlich abgesichertes und gleichzeitig offenes Internet.

Für ein Internet der Freiheit und für ein Internet der Demokratie. Das ist letztlich das, worum es uns allen geht. Und ich hoffe, dass wir auf unserer Konferenz heute dazu einen Beitrag leisten können.

Noch einmal herzlich willkommen und vielen Dank, dass Sie gekommen sind!

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