Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Konferenz “2019. Capturing Technology. Rethinking Arms Control”

Heiko Maas bei Capturing-Technology-Konferenz im Auswärtigen Amt

Heiko Maas bei Capturing-Technology-Konferenz im Auswärtigen Amt, © Florian Gaertner/photothek.net

15.03.2019 - Rede

Wir können heute Morgen keine Konferenz über neue Waffensysteme durchführen ohne auch an das erinnern, was heute Nacht in Neuseeland geschehen ist, was Waffen anrichten können. Lassen Sie mich zu Beginn dieser Konferenz sagen, dass wir – und mehr können wir zur Zeit nicht tun – in Gedanken bei den Verletzten, aber auch bei den Angehörigen der Opfer dieses schrecklichen Anschlags sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der deutsche Chemiker Fritz Haber erforschte vor über 100 Jahren die Synthese von Ammoniak. Seine Entdeckungen ebneten den Weg für die Massenproduktion von Kunstdünger und bewahrten unzählige Menschen vor dem Verhungern.

Im Jahr 1919, kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs, erhielt Fritz Haber dafür den Nobelpreis.

Heute ist Fritz Haber allerdings weniger für die Ammoniaksynthese bekannt. Er gilt vielmehr als „Vater des Gaskriegs“. Mit seinem Wissen über giftige Gase half er der deutschen Militärführung im Ersten Weltkrieg, Chlorgas und Phosgen einzusetzen.

Laut Zeitzeugen hoffte er darauf, dass Giftgas den Krieg schneller beenden und so tausende Menschenleben gerettet werden würden. Wie sehr Fritz Haber sich irren sollte, das zeigen noch heute die Gräberfelder Flanderns.

Die Schlussfolgerungen, die sich aus Fritz Habers tragischer Geschichte ergeben, sind leider heute aktueller denn je.

Erstens: Fluch und Segen technologischer Entwicklung liegen einfach nah beieinander.

Wenn wir heute hier in Berlin über neue Technologien und ihre Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit sprechen, dann kann es nicht darum gehen, technologische Entwicklung abzuschneiden oder zu verhindern. Für ein Land wie Deutschland – Hochtechnologiestandort und Exportweltmeister – wäre das fatal.

Aber im Kern geht es um die Frage, ob wir die Technologie beherrschen oder wir am Ende von ihr beherrscht werden. Darauf suchen wir nach Antworten, darauf suchen wir nach der richtigen Antwort.

Zweitens: Die Hoffnung, dass technologische Entwicklung Kriege eindämmt, ist eine Illusion. Das gilt heute noch viel mehr, als im Gaskrieg auf den Feldern Flanderns.

Denn: Viele dieser Technologien stoßen in politische und rechtliche Graubereiche vor, in denen die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, zwischen Frieden und Konflikt verschwimmen.

Neue Technologien sind zudem viel anfälliger für Proliferation, für Manipulation und Missbrauch als konventionelle Waffen.

Für Cyberangriffe brauchen Hacker nicht viel mehr als einen Computer. Und der Zugang zu tödlichen Erregern, die sich zu Kampfzwecken missbrauchen lassen, ist viel schwerer zu kontrollieren als ein Waffen- oder Munitionslager.

Die dritte Schlussfolgerung ist auch die alarmierendste: Unsere gemeinsamen Regelwerke kamen fast immer zu spät. Sie halten nicht Schritt mit der technologischen Entwicklung und sie bleiben dadurch löchrig.

Erst nachdem zehntausende Soldaten im Ersten Weltkrieg qualvoll an Giftgas gestorben waren, rang sich die Welt 1925 zu einem Verbot solcher Waffen durch.

Und der Blick nach Syrien zeigt: Selbst gegen dieses Tabu wird heute wieder auf grausamste Weise verstoßen.

Wenn neue Technologien heute also die Entwicklung von Waffen und die Kriegsführung revolutionieren, dann stehen wir vor einer ganz entscheidenden Frage: Schaffen wir es diesmal, vorausschauend zu handeln? Oder werden unsere Regeln wieder zu spät kommen – dieses Mal vielleicht endgültig zu spät?

Meine Damen und Herren,

Nichtstun ist dabei keine Option. Denn die Welt, in der wir heute leben, ist viel unübersichtlicher und gefährlicher als noch vor einigen Jahrzehnten, sogar zu Zeiten des Kalten Kriegs.

Die Rivalität der Großmächte spielt sich nicht mehr nur zwischen zwei Blöcken ab. Neue Akteure sind hinzugekommen, vor allem China. Aber auch neue Felder der Auseinandersetzung - vom Weltraum bis in den Cyberraum.

Oft ist zu hören: In Zeiten solcher Spannungen sei kein Platz für Rüstungskontrolle. Das ist bereits historisch falsch.

Am Anfang von Rüstungskontrolle und Abrüstung stand immer die Einsicht, dadurch sicherheitspolitische Rivalitäten eindämmen und wechselseitige Interessen besser wahren zu können. Die Alternative dazu sind unkontrollierte Rüstungswettläufe.

Ohne Transparenz gibt es keine Stabilität, ohne Kooperation keinen dauerhaften Frieden. Rüstungskontrolle – das sollte eigentlich Realpolitik im besten Sinne sein!

Diese Einsicht scheint heute aber immer häufiger verloren zu gehen.

  • Weltweit dreht sich die Aufrüstungsspirale.
  • Das multilaterale System wirkt wie gelähmt.
  • Die Rüstungskontrollarchitektur bröckelt. Tragende Pfeiler - wie der INF-Vertrag oder New START - drohen wegzubrechen.

Gegenüber Präsident Putin und auch gegenüber Sergej Lawrow dringen wir deshalb darauf, dass Russland zur Einhaltung des INF-Vertrags zurückkehrt. Sein Ende hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Sicherheit der Europäer. Schlimmer noch: Durch die Verstöße drohen Vertrauen, Transparenz und Stabilität verloren zu gehen, die wir über Jahrzehnte mühsam aufgebaut haben.

Trotz dieser schwerwiegenden Konsequenzen - realistisch betrachtet stehen die Chancen schlecht für die Zukunft des INF-Vertrags. Ein Grund dafür ist auch, das muss man sehen, dass Moskau und Washington sich nicht länger die Hände binden wollen, während Länder wie China, Nordkorea, Indien oder Pakistan gerade bei den landgestützten Mittelstreckenraketen aufrüsten.

Das Beispiel zeigt: Mit der bilateralen Logik des Kalten Kriegs kommen wir nicht mehr weiter in einer multipolaren Welt. Wir müssen bestehende Realitäten erkennen und die Regeln anpassen. Auch Akteure wie China müssen sich der Verantwortung für die strategische Stabilität stellen. Und wir müssen Lösungen finden für die technologischen Herausforderungen von morgen. Kurzum: Wir müssen Rüstungskontrolle neu denken.

Das gelingt nur durch Dialog. Denn – um einmal Stephen Hawking zu zitieren: „Die größten menschlichen Errungenschaften sind durch Kommunikation zustande gekommen – die schlimmsten Fehler, weil nicht miteinander geredet wurde.“

  • Deshalb werden wir das Thema der nuklearen Nichtverbreitung auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats setzen, wenn wir dort Anfang April die Präsidentschaft übernehmen. Wir wollen der Erosion ganzer Systeme etwas entgegensetzen, auch mit Blick auf die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags im nächsten Jahr.
  • Dialog braucht es eben ganz besonders auch mit schwierigen Akteuren.
    Deshalb begrüße ich die Bereitschaft der USA, mit Nordkorea Gespräche zu führen über das nordkoreanische Atomprogramm und diese, trotz der schwierigen Ergebnisse aus der letzten Zeit, auch fortzusetzen. Der Gipfel von Hanoi war ein wichtiger “reality check”. Wir wissen jetzt, wo Nordkorea steht und dass die internationalen Sanktionen ihre Wirkung nicht verfehlt haben.
  • Noch wichtiger ist aber: Die Gespräche sind bei der Kernfrage des Konflikts angelangt: nämlich der
    ollständigen, überprüfbaren und unumkehrbaren Denuklearisierung Nordkoreas. Und dafür brauchen wir eine Lösung, denn ohne diese Lösung wird der Frieden bedroht.
    Nordkorea muss daher jetzt nicht nur rhetorisch abrüsten, sondern einsteigen in einen glaubwürdigen Prozess der Denuklearisierung.
    Das ist unsere Erwartung, vor allen Dingen auch als Vorsitz des Sanktionskomitees für Nordkorea im VN-Sicherheitsrat.
  • Und schließlich brauchen wir einen offenen, ernsthaften Dialog über die Zukunftsfragen der Rüstungskontrolle. Darum soll es gerade heute hier in Berlin gehen.
    Ein Neuanfang kann nach unserer Auffassung nur gelingen, wenn wir Hand in Hand arbeiten - Parlamentarier und Regierungsvertreter, aber eben auch Think Tanks, Forscher, Militärexperten und Industrievertreter.
    Und ich freue mich ganz besonders, mit Margot Wallström und Stef Blok so engagierte Mitstreiter gewonnen zu haben, die auch in der Vergangenheit bei diesem Thema schon eine hohe Präsenz hatten.
    Unseren Willen, das das Thema Rüstungskontrolle und neue Technologien auf die internationale Tagesordnung gesetzt wird, werden wir heute auch in einer gemeinsamen Politischen Erklärung festhalten und dafür bin ich den Kollegen sehr, sehr dankbar.

Meine Damen und Herren,

ich will den Diskussionen, die heute stattfinden, gar nicht vorgreifen. Doch ich möchte zumindest vier konkrete Ansatzpunkte nennen, um die neuen Risiken für Frieden und Stabilität einzugrenzen. Vier Felder, auf denen Deutschland bereit ist, gemeinsam mit allen anderen voranzugehen.

Erstens: Wir brauchen Regeln für autonome Waffensysteme. Killer-Roboter, die auf Basis anonymer Datensätze und völlig jenseits menschlicher Kontrolle über Leben und Tod entscheiden, sind bereits heute eine erschreckend reale Perspektive.

Das ist nicht weniger als ein Angriff auf die Menschlichkeit selbst, auf die menschliche Würde und auf den Kern unserer Verfassung.

Doch es sind nicht nur ethische Erwägungen, die gegen solche Waffen sprechen: Vollautonome Waffen sind anfällig für Manipulation und auch für Fehlkalkulationen. Automatische Eskalationen - “flash wars” - und Rüstungswettläufe sind praktisch vorprogrammiert.

Wir dürfen deshalb diese rote Linie nicht überschreiten. Dafür setzen wir uns bereits in Genf ein und dabei wollen wir dieses Jahr Fortschritte erzielen: Wir wollen das Prinzip wirksamer menschlicher Kontrolle über alle tödlichen Waffensysteme international festschreiben und damit einen großen Schritt gehen hin zur weltweiten Ächtung vollautonomer Waffen. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung!

Mein zweiter Punkt betrifft die rasante Entwicklung und Verbreitung von Raketentechnologie – und zwar überall auf der Welt. Im Nahen Osten verfügen nicht-staatliche Akteure bereits über Kurzstreckenraketen. Und die Fähigkeiten und Reichweiten iranischer oder nordkoreanischer Raketen sind mehr als beunruhigend.

Hinzu kommt die technologische Entwicklung: Manövrierfähige Flugkörper, die mit vielfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs sind, lassen abgewogene menschliche Reaktionen kaum noch zu. Dass wir dabei nicht über Science Fiction reden, das zeigt die russische Ankündigung, erste Avangard-Systeme schon in diesem Jahr in den Dienst zu stellen.

Ich möchte diese Konferenz daher auch zum Anlass nehmen, einen internationalen Raketendialog ins Leben zu rufen, der beides in den Blick nimmt: Nämlich die Herausforderungen durch neue Technologien und die Gefahren ihrer
Verbreitung. Die heute hier versammelten Experten könnten das Rückgrat bilden einer solchen weltumspannenden Missile Dialogue Initiative.

Anders ausgedrückt: Bevor wir die Büchse der Pandora öffnen, sollten wir genau überlegen, was wir tun - und ob unsere Regeln ausreichend sind für das, was uns dann erwartet.

Ein dritter Bereich ist die Sicherheit des Cyberraums. Der nächste Krieg – so viel Prognose würde ich heute schon mal wagen – wird nicht mehr nur mit Megabomben, sondern auch mit Megabits und Megabytes geführt. Auch Bomben werden ja mittlerweile so gesteuert.

Was aber bedeutet es für die Transparenz und für Abrüstung, wenn das schädliche Objekt nur ein Code ist, der blitzschnell kopiert und um die Welt bewegt werden kann?

Wir sollten dort ansetzen, wo unsere gemeinsamen Sicherheitsinteressen ganz offensichtlich sind:

  • Kein Staat wird ernsthaft wollen, dass der hochgradig vernetzte Welthandel zum Opfer von Cyber-Angriffen wird.
  • Kein Staat kann hinnehmen, dass Hacker sein Bankensystem lahmlegen oder den Zahlungsverkehr manipulieren.
  • Und kein Staat kann zusehen, wenn Cyber-Angreifer den internationalen Luftverkehr gefährden.

Lassen Sie uns diese gemeinsamen Interessen zum Ausgangspunkt nehmen für universelle Verhaltensnormen und Standards im Cyberraum.

Die nötigen Prozesse gibt es bereits: In den Vereinten Nationen, zum Beispiel, und auch in der OSZE.

Was bisher fehlt, ist der ernsthafte politische Wille. Das müssen und das wollen wir ändern – und dazu wollen wir heute einen Anstoß geben.

Mein vierter und letzter Punkt betrifft die Chancen und Risiken, die sich aus der Biotechnologie – und der Revolution, die mit Biotech einhergeht, ergeben. Nichts von dem, was wir heute dort erleben, war abzusehen, als das Biowaffenübereinkommen 1975 in Kraft trat.

Wir brauchen deshalb eine fundierte, sicherheitspolitische Analyse des Risikos von Missbrauch und Proliferation in der Biotechnologie. Denn wir müssen verhindern, dass Staaten, Terroristen oder auch Kriminelle neue Verfahren und den freien Zugang zu wissenschaftlicher Forschung nutzen, um mit biologischen Waffen die ganze Menschheit zu gefährden.

Dafür brauchen wir die Wissenschaft und auch die Industrie. Die Bundesregierung wird sich deshalb dafür einsetzen, ein dauerhaftes Gremium von Experten und Wissenschaftlern unter dem Dach des Biowaffenübereinkommens einzurichten - das Risiken klar benennt und Staaten darüber aufklärt und berät.

Auch dafür brauchen wir Ihre Unterstützung.

Meine Damen und Herren,

ich habe vorhin die Büchse der Pandora erwähnt und Sie alle kennen natürlich die Sage von den Übeln der Menschheit, die daraus entwichen sind.

Weniger bekannt ist, dass die griechischen Götter noch etwas anderes in die Büchse gelegt hatten, nämlich die Hoffnung.

Die Hoffnung wohl darauf, dass die Menschheit verantwortungsbewusst umgeht, mit ihren Errungenschaften.

Wenn es in der internationalen Politik etwas gibt, dass dieser Hoffnung Ausdruck verleiht, dann sind das: Abrüstung und Rüstungskontrolle. Darüber wollen wir heute reden.

Mit großen technologischen Entwicklungen geht auch große menschliche Verantwortung einher. Die Verantwortung, Rüstungskontrolle neu zu denken – und endlich wieder auf die internationale Tagesordnung zu setzen, gehört dazu.

Dafür ist die Zeit jetzt reif.

Herzlich willkommen! Vielen Dank, dass Sie da sind!

Schlagworte

nach oben