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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Konferenz „Partner Kolumbien: Beitrag der Wirtschaft auf dem Weg zum Frieden“

22.11.2018 - Rede

An einem sonnigen Sonntag im August 1984 demonstrierten über zehntausend Menschen auf der Plaza Bolívar in Bogotá. Sie demonstrierten für den Frieden in Kolumbien. Viele von ihnen malten Friedenstauben.

Darunter war auch Gabriel García Márquez, damals schon Nobelpreisträger und einer der berühmtesten Schriftsteller der Welt.

Auch er malte eine Taube, aber als Mann des Wortes fügte er natürlich auch einen Satz hinzu: „¡Viva la paz con los ojos abiertos!“

Das heißt wörtlich übersetzt: „Es lebe der Frieden, mit offenen Augen!“

Dass der Satz nicht ganz leicht zu übersetzen ist, liegt vor allen Dingen an seiner Doppeldeutigkeit, vielleicht aber auch an der Natur des Friedens selbst.

Frieden kann Augen öffnen. Er kann verändern, wie die Kolumbianer einander sehen und wie die Welt auf Kolumbien blickt.

Der Weg zum Frieden ist aber auch immer gesäumt von schmerzhaften Kompromissen. „Weil jede Gewalt, die gegen einen Menschen begangen wird, eine Wunde im Fleisch der Menschheit“ hinterlässt - so hat es Papst Franziskus bei seinem Zusammentreffen mit Opfern des kolumbianischen Konflikts im vergangenen Jahr ausgedrückt.

„Friede mit offenen Augen“,

  • das bedeutet deshalb, nicht „blauäugig“ zu sein.
  • Das bedeutet, den Weg des Friedens „sehenden Auges“, trotz aller Risiken, zu gehen.
  • Das bedeutet, Mut zu haben auch zum „unvollkommenen Frieden“, den der Vorsitzende der kolumbianischen Wahrheitskommission immer wieder beschwört.

Kolumbien hat sich auf diesen Weg gemacht, als es 2016 das historische Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla geschlossen hat. Der Mut zu diesem Schritt ist weltweit bewundert worden, auch ganz besonders hier in Deutschland. Er weckt Hoffnung. Hoffnung in Zeiten, in denen Konflikte weltweit zunehmen, in denen das Bekenntnis zur internationalen Ordnung nachlässt und vor allen Dingen ideologische Gräben uns immer mehr zu spalten drohen.

Das klare Bekenntnis von Präsident Duque, den Weg zur Aussöhnung Kolumbiens fortzusetzen und den Friedensvertrag mit der FARC zu erfüllen, hat uns außerordentlich erfreut und auch erleichtert.

Wir begrüßen ganz ausdrücklich, dass Präsident Duque die Stabilisierung besonders gefährdeter Gebiete des Landes in den Mittelpunkt seiner Politik stellen will. Denn es birgt eine große Gefahr für den Frieden, wenn Gegenden, die früher von der FARC beherrscht waren, nun in die Hände krimineller Gruppen fallen.

Dieser Fokus auf den „Frieden in den Territorien“ bietet Anknüpfungspunkte auch für eine noch engere deutsch-kolumbianische Zusammenarbeit. Stabilisierung ist schließlich eines der Markenzeichen unserer Friedenspolitik.

So fördern wir zum Beispiel ein Projekt der Vereinten Nationen, das Beratung bei der Stabilisierung des Landes anbietet. Wir unterstützen Kolumbien aber auch ganz praktisch - bei der Integration von Binnenvertriebenen, durch Projekte zur Konfliktbewältigung oder auch durch das Räumen von Minen.

Deutschland steht als Partner und als Freund an der Seite Kolumbiens und damit auch an der Seite des Friedens. Um das zu unterstreichen, wird das Auswärtige Amt weitere zehn Millionen Euro für den Treuhandfonds der Vereinten Nationen für Kolumbien bereitstellen.

Damit sollen Stabilisierungsmaßnahmen in besonders betroffenen Gemeinden des Landes, vor allem in den Pazifikprovinzen, umgesetzt werden. Und gerade heute finden in Bogotá unsere entwicklungspolitischen Regierungsverhandlungen statt, bei denen Stabilisierung und Friedenssicherung ebenfalls eine ganz wichtige Rolle spielen.

Unsere Projekte und Programme stärken und stützen den Friedensprozess - davon sind wir fest überzeugt. Sie können helfen, Wunden schneller zu schließen und ehemalige Gegner an einen Tisch zu bringen. Den politischen Prozess und die gesellschaftliche Aussöhnung werden wir aber mit unseren Projekten nicht ersetzen können.

Deshalb wird Deutschland den Friedensprozess auch politisch weiter flankieren. Dafür steht wie kein anderer Tom Koenigs, dem ich auch an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für sein großes Engagement und seine Mitarbeit über viele Jahre danken möchte!

Als Mitglied der Unterstützergruppe für den Friedensprozess mit der ELN-Guerilla steht Deutschland auch bereit, die Bemühungen der kolumbianischen Regierung um ein Ende der Gewalt zu unterstützen, wenn es zu einer Wiederaufnahme der Gespräche in Havanna kommt.

Und als Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen wollen wir ab Januar dazu beitragen, dass die Vereinten Nationen Ihrem Land auch bei der nachhaltigen Friedenssicherung mit aller Kraft zur Seite stehen werden.

In einer Erklärung vom Oktober hat der Sicherheitsrat den Friedensprozess in Kolumbien als „Quelle der Inspiration für Bemühungen in vielen Teilen der Welt, Konflikte zu beenden und Frieden aufzubauen“ bezeichnet.

Kolumbien als Inspiration für den Rest der Welt! Wer die übliche Sprache von VN-Resolutionen kennt, der weiß: Für den Sicherheitsrat war das schon beinahe Lyrik! Daraus, meine Damen und Herren, spricht nichts anderes als eine bemerkenswerte Geschlossenheit und Unterstützung, die wir als künftiges Sicherheitsratsmitglied erhalten und stärken wollen.

Am Ende aber wird der Friede nur gelingen, wenn die Kolumbianerinnen und Kolumbianer einander verzeihen können. Verzeihen bedeutet dabei nicht, die Vergangenheit zu vergessen oder auf Wiedergutmachung und Gerechtigkeit zu verzichten. „Verzeihen“, so schreibt der Vorsitzende der kolumbianischen Wahrheitskommission, „heißt, sich des Hasses zu entledigen.“

Dies verlangt vor allem den Opfern sehr viel ab - darüber braucht man sich keine Illusionen zu machen. Umso wichtiger ist es, dass Kolumbien mit der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, der Wahrheitskommission und der Einheit zur Suche Verschwundener ein System geschaffen hat, das die Opfer und ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ins Zentrum stellt.

Für die Glaubwürdigkeit dieser Institutionen ist es ganz essentiell, dass sie frei, unabhängig und mit der nötigen politischen und finanziellen Rückendeckung arbeiten können.

Daraus erwächst Vertrauen in den Versöhnungsprozess, daraus entsteht Rechtsfrieden. In diesem typisch deutschen Wort steckt eine große Wahrheit: Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit, und keine Gerechtigkeit ohne Recht.

Für den kolumbianischen Versöhnungsprozess gibt es keine Blaupausen. Kolumbien muss seinen eigenen Weg zum Frieden finden und ich bin sehr zuversichtlich, dass dies der neuen Regierung auch gelingt. Aber wir Deutschen bieten Ihnen an, die Erfahrungen aus unserer eigenen Geschichte mit Ihnen zu teilen.

Ein Baustein dabei ist das Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ. Es schreibt durch seine wissenschaftliche Tätigkeit nicht nur die 50-jährige Geschichte akademischer Zusammenarbeit und Spitzenforschung unserer beiden Länder fort. Es ist vor allem ein Ort des Austauschs und der Verständigung.

Besonders in den Regionen bringt es Menschen zusammen, die sich im Alltag normalerweise nicht begegnen würden: Ehemalige FARC-Kämpfer und Angehörige des Militärs oder der Zivilgesellschaft, zum Beispiel.

Es bietet politische Beratung im Umgang mit Gewalt an und es erforscht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Friedensprozess, um die es ja auch bei unserer heutigen Konferenz geht.

So viel ist klar: Kolumbiens Geographie, seine natürlichen Ressourcen und vor allen Dingen seine Menschen bergen ein riesiges Potenzial. Ein dauerhafter Frieden bietet die Chance, dieses Potenzial endlich zu nutzen – und zwar zum Wohl aller Kolumbianerinnen und Kolumbianer.

Man kann zuversichtlich sein, denn die Rahmendaten sind gut:

  • Kolumbien gehört zu den großen Volkswirtschaften Lateinamerikas.
  • Die Wirtschaft ist seit Jahren konstant auf Wachstumskurs.
  • Deutsche Unternehmen in Kolumbien blicken auf eine lange Tradition zurück.
  • Über 150 deutsche Firmen sind bereits im Land vertreten und setzen oft Maßstäbe in Sachen nachhaltiger Entwicklung und auch bei der Wahrung sozialer Standards.

Darauf lässt sich aufbauen und darauf wollen wir auch weiter aufbauen.

Deshalb freue mich, dass Sie heute hier nach Berlin gekommen sind, um mit uns darüber zu diskutieren, wie wir wirtschaftliche Entwicklung auch in die krisengeschüttelten Teile des Landes bringen können. Wie unternehmerisches Engagement zu Frieden und Stabilität beitragen kann und wie wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit noch weiter vertiefen können.

Ihnen allen möchte ich für Ihr Kommen, aber vor allen Dingen für Ihr Interesse an den deutsch-kolumbianischen Beziehungen ganz herzlich danken! Wir sind auch darauf angewiesen.

Ein ganz besonderer Dank gilt natürlich Ihnen, lieber Herr Kollege, lieber Carlos! Dass Sie so früh nach Ihrem Amtsantritt nach Berlin gekommen sind, sehen wir als einen Ausdruck unserer engen Partnerschaft und Freundschaft an. Und dass mit Ihnen nunmehr ein ausgewiesener Kenner Deutschlands an der Spitze des kolumbianischen Außenministeriums steht, das freut uns ganz besonders.

Wir freuen uns auch, dass Sie nicht allein gekommen sind, sondern direkt den neuen kolumbianischen Botschafter mit dem klassischen Namen Hans Peter Knudsen mitgebracht haben.

Lieber Herr Botschafter Knudsen,

allein schon durch ihre familiäre Herkunft, nicht nur durch Ihren Namen, sind Sie gewissermaßen die Verkörperung der deutsch-kolumbianischen Beziehungen. Herzlich Willkommen in Berlin und auf eine gute Zusammenarbeit!

Meine Damen und Herren,

ich habe meine Rede mit einer Geschichte über Gabriel García Márquez begonnen. In seinem magischen Weltroman „Hundert Jahre Einsamkeit“ schildert er die Geschichte des Dorfes Macondo, das am Ende auf tragische Weise untergeht. „Die zu hundert Jahren Einsamkeit verurteilten Sippen“, so schreibt er, bekamen „keine zweite Chance auf Erden“.

Kolumbien ist aber nicht Macondo. Mit dem Friedensprozess hat Kolumbien seine zweite Chance selbst ergriffen.

Als Vertreter eines Landes, Deutschlands, das in seiner Geschichte schon mehrfach die zweite Chance benötigt hat, kann ich Sie nur ermutigen: Nutzen Sie die Aussicht auf Frieden – mit offenen Augen! Und ich kann Ihnen versichern: Was immer Deutschland dazu beitragen kann, das wollen und das werden wir tun.

Vielen Dank!

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