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Ansprache von Außenminister Heiko Maas beim Malteserhilfsdienst in Budapest

Außenminister Heiko Maas in Budapest beim Maltester-Hilfsdienst.

Außenminister Heiko Maas in Budapest beim Maltester-Hilfsdienst., © Florian Gaertner/photothek.net

04.11.2019 - Rede

Urlaubsziele unterliegen immer Schwankungen in der Touristengunst. Doch die Reisewelle aus der DDR, die Ungarn im Sommer 1989 erfasste, überstieg alles bisher Dagewesene.

Die vermeintlichen Touristen kamen aber nicht wegen der Strände des Balatons. Sie reisten nach Ungarn, weil sie ein Bild im Kopf hatten, das sie nicht mehr losließ. Das Bild einer Lücke im Zaun, eines Zauns, der Europa seit Jahrzehnten spaltete. Denn Ungarn hatte begonnen, seine Grenzanlagen nach Österreich abzubauen. Die Menschen kamen nun, um die Lücken im Zaun nach Westen zu suchen. Ein Zurück in die DDR kam für sie nicht mehr in Frage. Das Bild, das in ihrem Kopf entstand, hatte eine Dynamik entfaltet, die einfach nicht mehr aufzuhalten war.

Meine Damen und Herren,
diese Dynamik wäre wirkungslos geblieben ohne die große Hilfsbereitschaft jenes Sommers 1989. Dass es nicht zu einer Flüchtlingskatastrophe gekommen ist, verdanken wir vor allen Dingen der Solidarität der Ungarinnen und Ungarn. Sie ebneten den DDR-Flüchtlingen den Weg in die Freiheit – obwohl sie gleichzeitig selbst noch um ihre Freiheit rangen.

Und wir verdanken es der gelebten Nächstenliebe der Malteser. Sie waren zur Stelle, als die bundesdeutsche Botschaft wegen Überfüllung schließen musste. Ihre Zentrale, dieses Haus hier, wurde zum Aufnahmelager. Und gemeinsam mit Ihnen, Pfarrer Kozma und Czilla von Boeselager, organisierten die Malteser auf dem Kirchengelände das erste öffentliche Lager für DDR-Flüchtlinge.

Pfarrer Kozma, Sie hatten am Eingang ein Schild aufgehängt, mit einem lateinischen Spruch: „ianua patet, cor magis - Das Tor steht offen, mehr noch das Herz“. Wie Recht Sie hatten.

Viele von Ihnen, die auch heute hier sind, halfen bis an den Rand ihrer Erschöpfung. Für Ihren Einsatz möchte ich Ihnen herzlich danken. Sie schufen Hoffnung in der Not. Für Einzelne, aber auch darüber hinaus.

Hoffnung, die in Erfüllung ging. Am 10. September verkündete Außenminister Horn, die Grenze für DDR-Flüchtlinge zu öffnen. Und in den nächsten Tagen verließen tausende DDR-Bürger Ungarn in Richtung Westen. Sie hatten kaum Gepäck, aber sie alle nahmen die Erinnerung mit, wie ihnen in schweren Zeiten hier geholfen wurde.

Wir Deutschen werden das niemals vergessen. Denn wir wissen, der Weg, der unser Land zu einem der vielleicht glücklichsten Momente seiner Geschichte führte, er führte über Ungarn.

Meine Damen und Herren,
1989 hat gezeigt, was Europäerinnen und Europäer erreichen können, wenn sie mutig sind. Auch die ungarische Entscheidung zur Grenzöffnung war ein solcher Moment. Sie fiel gegen den Willen der DDR-Führung. Aber sie war eine Entscheidung für die Menschlichkeit. In diesem gemeinsamen Erbe liegt auch eine Verpflichtung: Nämlich unermüdlich an einem Europa zu bauen, das den Werten und Träumen derer gerecht wird, die 1989 für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind.

Freiheit lebt auch vom Widerspruch. Und Demokratie lebt von der Opposition. Deshalb müssen wir uns wehren, wenn die Errungenschaften von einst heute wieder in Frage gestellt werden in Europa.

Vielleicht sollten auch wir heute ein Bild mitnehmen, das Mut macht. Nämlich das Bild der europaweiten Solidarität jener Tage. Es zeigt, was für eine Kraft in uns Europäern steckt, wenn wir über nationale Interessen hinaus handeln. Auch heute. Wir müssen sie nur nutzen.

Vielen Dank.

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