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Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Eröffnungsveranstaltung der zweiten Städtepartnerkonferenz zu Nachhaltigkeit in Bremen

 Außenminister Heiko Maas bei der Eröffnungsveranstaltung der zweiten Städtepartnerkonferenz zu Nachhaltigkeit in Bremen

Außenminister Heiko Maas bei der Eröffnungsveranstaltung der zweiten Städtepartnerkonferenz zu Nachhaltigkeit in Bremen, © Thomas Trutschel

04.03.2019 - Rede

Es ist ja hier in Bremen fast eine Atmosphäre wie bei den Vereinten Nationen in New York – nicht schlecht. Es hat schon etwas, wenn man diesen Saal betritt. Dieses edle Knirschen des wahrscheinlich jahrhundertealten hanseatischen Parketts macht es völlig unmöglich, unbemerkt hier hereinzukommen. Was dafür spricht, dass man hier nicht zu spät kommen sollte.

Dass die Stadt Bremen alles andere als zu spät dran ist, das sieht man schon an dieser Veranstaltung – mit so vielen internationalen Gästen und vor allem mit einem Thema, um das es wirklich geht. Mit den nachhaltigen Entwicklungszielen – das kann ich von meinen unterschiedlichen Reisen berichten – beschäftigen sich weltweit sehr viele Menschen. Es ist gut, diese Menschen zusammenzuführen. Denn wir haben es mit einer Herausforderung zu tun, die wir nur in der Lage sind zu meistern, wenn wir uns zusammentun. Deshalb ist es schön, dass wir hier im Bremer Rathaus zusammenkommen, lieber Carsten [Sieling].

Ich komme gerade von einer unfreiwillig verlängerten Afrikareise zurück und ich will von einer Begegnung berichten, die ich dort hatte, weil sie sich einfügt in diese Veranstaltung. Bei meinem Besuch in Sierra Leone habe ich die neue Bürgermeisterin von Freetown getroffen – eine unglaublich beeindruckende Person, die erst vor wenigen Monaten in ihr Amt gewählt wurde. Und das in Sierra Leone – einem Land, in dem der Präsident vor einigen Wochen den Notstand ausgerufen hat wegen der unfassbaren sexuellen Gewalt gegenüber Frauen. Dort ist eine Frau nun Bürgermeisterin und kämpft mit den Problemen einer Stadt, die kaum zu übersehen sind:

  • Riesige Müllberge, fehlende Kanalisation,
  • wuchernde Armensiedlungen an den steilsten Hängen
  • und im Hafen ein qualmendes Schiff, das mit seinen riesigen Dieselgeneratoren die Luft der Stadt verpestet.

Im krassen Gegensatz zu diesen Problemen standen der Optimismus und das ansteckende Lachen der Bürgermeisterin. Sie sprach nicht über Probleme, sondern von den Chancen auf Veränderung, von nachhaltiger Politik – sie hat ein eigenes Klimaprogramm für die Stadt aufgelegt - und sie sprach von der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit. Das alles sind Dinge, die auch heute hier in Bremen auf der Tagesordnung stehen.

Drei Erkenntnisse habe ich aus dieser Begegnung mitgenommen:

  • Erstens: Nachhaltige Politik beginnt im Kleinen, vor Ort. Dort muss man Rezepte entwickeln, für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele.
  • Zweitens: Alle 17 Ziele hängen untrennbar miteinander zusammen. Der Klimawandel führt zu Dürren, Dürren beschleunigen die Landflucht, Landflucht führt zu Überbevölkerung in den Städten, Überbevölkerung schürt Konflikte, Gesundheits-, und Umweltprobleme. Diese Kettenreaktion ließe sich unendlich fortschreiben.
  • Und drittens: Wir müssen auf allen Ebenen noch enger zusammenarbeiten, als wir das bisher tun – dazu sehe ich keine vernünftige Alternative: im Rahmen der Vereinten Nationen, auf Ebene der Staaten, aber auch der Regionen, der Städte und Gemeinden. Und dabei müssen alle an Bord sein – Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.

Die Bedingungen dafür sind derzeit alles andere als leicht. In der internationalen Politik stehen die Zeichen auf Abschottung – auf einer Politik des “My country first”, um es neutral zu sagen. Das ist im Übrigen ein Problem nicht nur in einem Land. Es gibt auch andere Länder, die eine Politik streng nach dieser Richtschnur verfolgen.

Aber wir dürfen uns davon nicht entmutigen lassen. Wenn wir Globalisierung gerecht gestalten und extreme Armut innerhalb einer Generation beenden wollen, dann müssen wir neue Formen der Zusammenarbeit suchen in einem solchen internationalen Umfeld.

Überall auf der Welt gibt es Partner, die sich den Zielen der Agenda 2030 verpflichtet fühlen. Die ihre Verpflichtungen ernst nehmen und sie auf ihrer Ebene umsetzen. Denn sie wissen: Zusammenarbeit ist essentiell, wenn man auch nur eines dieser Ziele erreichen will.

Die Geschichte Bremens lehrt das übrigens gleich in mehrfacher Hinsicht:

  • Mit der Hanse entstand hier im Mittelalter ein internationaler Städtebund, der Wirtschaft, Politik und Kultur im Nord- und Ostseeraum über Jahrhunderte geprägt hat. Die Idee dahinter: Gemeinsame Regeln, sichere Verkehrswege und freier Handel schaffen mehr Wohlstand für alle.
  • Bremen ist dieser Tradition treu geblieben. Bremer Kaufleute waren über die Jahrhunderte Pioniere internationaler Zusammenarbeit und bis heute ist kaum eine deutsche Stadt so international aufgestellt, so sehr geprägt vom Austausch mit „Übersee“ – und das wird in diesem Raum ja auch besonders deutlich.
  • Selbst die berühmteste Geschichte Bremens – das Grimm’sche Märchen von den Bremer Stadtmusikanten, lässt sich am Ende auf eine Botschaft reduzieren: Ohne Zusammenarbeit geht es nicht. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Das galt zu Zeiten der Gebrüder Grimm, vor 200 Jahren. Das gilt aber umso mehr in unserer globalisierten Welt. Die großen Herausforderungen unserer Zeit - Klimawandel, Migration, Terrorismus, Digitalisierung – so unterschiedlich sie in ihrer Komplexität sein mögen – haben eines gemeinsam: sie alle sind grenzenlos. Wir werden es nicht schaffen, für diese Herausforderungen rein nationale Lösungen zu finden. Wir werden diese Herausforderungen nur international lösen. Wir brauchen eine „Diplomatie der Nachhaltigkeit“.

Ihr erstes und wichtigstes Element ist, dass wir vorausschauender handeln zu müssen, als wir das bisher tun. Es gibt kaum einen Politiker, der nicht für sich in Anspruch nimmt, vorausschauend zu handeln. Aber wenn wir uns die Ergebnisse dieses vorausschauenden Handelns gerade auf internationaler Ebene anschauen, dann sind diese Ergebnisse manchmal minimal. Deshalb müssen wir dort besser werden.

Nachhaltige Außenpolitik lässt Kriege und Konflikte am besten gar nicht erst entstehen. Wenn Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt werden in einem Land, wenn die Opposition verfolgt wird oder wenn der Klimawandel immer häufiger zu Missernten und Hungersnöten führt – dann sind das Warnsignale, die oft zu Krisen und Konflikten führen. Das müssen wir erkennen. Deshalb müssen wir viel mehr als früher in die Früherkennung von Krisen, in Stabilisierung und Prävention investieren.

Zum Beispiel in Burkina Faso – einem Land, das ich letzte Woche besucht habe. Ein Land mit einer rasant wachsenden Bevölkerung, gezeichnet von Armut und Dürre, das zudem auch im Einflussbereich des islamistischen Terrorismus liegt.

Unser Ziel ist es, diese gefährliche Mischung zu entschärfen. Deshalb haben wir letzte Woche Mittel zugesagt, um die Lebensverhältnisse für Menschen gerade dort zu verbessern, wo Terroristen und kriminelle Banden ihren Nachwuchs rekrutieren. Wir fördern den Aufbau einer rechtsstaatlichen Polizei und die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte auch über die Landesgrenzen hinweg, weil wir wissen: Nur, wenn man den Menschen Lebensperspektiven bietet, sind sie weniger anfällig für Extremismus und Terrorismus. Auch da merkt man, dass Fragen, die was mit Klima zu tun haben, mit Dürren und Hungersnöten, und Sicherheit untrennbar miteinander verbunden sind. Deshalb ist es unser Ziel, diese gefährliche Mischung zu entschärfen.

Auch unsere Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wollen wir nutzen, um Krisen früher auf die internationale Agenda zu bringen. Der Sicherheitsrat muss so etwas wie das Frühwarnsystem der internationalen Politik werden – gerade weil er so oft blockiert ist, wenn ein Konflikt erst einmal ausgebrochen ist.

Wir haben deshalb gleich im Januar das Thema „Klimawandel und Sicherheit“ auf die Tagesordnung gesetzt - zusammen mit der Dominikanischen Republik, einem Land, das schon unmittelbar davon betroffen ist. Unsere Botschaft dort war – und ich habe da durchaus in das eine oder andere erstaunte Gesicht geblickt bei denen die im Sicherheitsrat sitzen, vor allem die, die permanent da sitzen und glauben, dass sie nur dafür zuständig sind, Kriege und Konflikte aufzulösen, was in den letzten Jahren nicht sehr gut gelungen ist – unsere Botschaft war: Wetterkatastrophen, die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen, der Verlust von Biodiversität - all dies sind unmittelbare Risiken für Frieden und Sicherheit weltweit. Wir haben eine Freundesgruppe der pazifischen Inselstaaten gegründet, die so klein sind, Mitglied der Vereinten Nationen, aber so klein sind, dass sie praktisch dort überhaupt keinen Einfluss haben. Und wir haben ihnen angeboten, dass wir als Mitglied im Sicherheitsrat ihnen eine Stimme geben. Denn kleine Inseln, die von dem steigenden Meeresspiegel schon so betroffen sind, dass das Land, das ihnen zur Verfügung steht, immer weniger wird, damit Migrationsprobleme ausgelöst werden und die am Schluss dann große Sicherheitsprobleme haben, die wissen, dass der Klimawandel nicht irgendein theoretisches Thema der Wissenschaft ist, sondern dass er ein praktisches, aktuelles Problem für viele auf der Welt ist.

Und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch an einem anderen Beispiel kann man das sehr deutlich sehen. Nämlich an dem Nachhaltigkeitsziel –der „Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum“. Im Kern geht es dabei darum, wie wir die Globalisierung gerecht gestalten können.

Solange Zwangsarbeit und Ausbeutung in vielen Ländern an der Tagesordnung sind, und das ist in viel zu vielen Ländern noch der Fall, solange faire Löhne und soziale Mindeststandards für Millionen Menschen nur ein Traum bleiben, vor allen Dingen für die Betroffenen, sind wir davon noch meilenweit entfernt.

Nachhaltige Produktion ist schlicht nicht möglich ohne menschenwürdige Arbeit. Die Verantwortung dafür liegt nicht nur allein bei den produzierenden Ländern - sondern auch bei uns, den Konsumenten, und natürlich bei den weltweit vernetzten Unternehmen.

Kaum eine Volkswirtschaft ist enger in die internationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten eingebunden als die deutsche. Umso mehr ist es an uns, die Weltwirtschaftsordnung auch im sozialen Sinn nachhaltig zu machen. Wir haben als Exportnation von der Globalisierung und der Vernetzung von Warenströmen und Warenverkehr mehr profitiert als viele andere. Deshalb sind wir auch noch mehr in dieser Frage in der Verantwortung als es vielleicht andere sind.

Dem dient der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“, der auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und verantwortungsvollen Konsum setzt, also auf beide Seiten. Erst vor wenigen Wochen haben wir viele tausende Unternehmen in Deutschland noch einmal an die Umsetzung dieses Planes erinnert.

Am Ende werden davon alle Beteiligten profitieren. Denn ohne Menschenrechte kann es keine nachhaltige Entwicklung geben.

Ohne faire Rahmenbedingungen wird auch, zumindest mittel- und langfristig, die Globalisierung scheitern.

Der neue Nationalismus in nahezu allen Teilen der Welt, auch bei uns hier in Europa, auch bei uns hier in Deutschland, sind erste Vorboten

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

das Beispiel der globalen Lieferketten zeigt noch etwas – und das ist der dritte Bestandteil einer Diplomatie der Nachhaltigkeit: Es reicht nicht mehr aus, nur mit Regierungen zu sprechen. Wir brauchen neue, vielfältigere Partnerschaften.

Natürlich ist es wichtig, dass gerade Regierungen ihre Verpflichtungen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ernst nehmen. Sie haben Vorbildfunktion.

Deshalb ist es so bedauerlich, wenn wir gerade dabei so viele Probleme international haben.

Aber nicht nur Regierungen können Partner sein. Auch wenn die USA das Pariser Abkommen verlassen haben: Es gibt Bundesstaaten wie Kalifornien, Städte wie New York, aber auch Unternehmen und eine aktive Zivilgesellschaft, die vorangehen wollen, die ihrerseits international Partnerschaften eingehen, vor allen Dingen beim Klimaschutz. Wir brauchen diese als Partner einer Diplomatie der Nachhaltigkeit. Auch das ist ein Thema der Veranstaltung hier und das wird repräsentiert durch die vielen internationalen Gäste, die heute hier sind.

Engere Partnerschaften brauchen wir übrigens auch innerhalb Deutschlands - zwischen der Bundesregierung, den Ländern, den Gemeinden und auch der Zivilgesellschaft.

Die Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik die werden zunehmend immer fließender – egal, ob es um die Umsetzung der SDGs, die Auswirkungen internationaler Konflikte oder die Einflussnahme von außen auf innenpolitische Debatten geht. Als Auswärtiges Amt sehen wir es als eine unserer wichtigen Aufgaben an, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um diese Notwendigkeiten auch abzubilden und dafür zu sorgen, dass die Aktionspläne, die entwickelt werden, aufeinander abgestimmt sind und letztlich funktionieren.

Und noch etwas ist mir wichtig: Nachhaltig ist Politik nur, wenn sie wirklich von allen in unserer Gesellschaft mitgestaltet werden kann – im Übrigen auch von Frauen und Mädchen. Gleichberechtigung ist kein Almosen, sondern demokratische Selbstverständlichkeit und auch einer der Schlüssel zur Erreichung der SDGs.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich habe eingangs von der Bürgermeisterin von Freetown berichtet – von ihrem Optimismus und Ihrem Mut zu Veränderung. Davon können wir auch einiges gebrauchen.

Drei Jahre nach Inkrafttreten der Nachhaltigkeitsziele zeichnet sich schon jetzt Nachholbedarf ab, was die Umsetzung angeht – auch bei uns in Deutschland. Sie, die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden vor Ort, sie spielen dabei eine außerordentlich wichtige Rolle.

Sie kennen die Herausforderungen ungesteuerter Urbanisierung. Ihre Städte sind aber oft auch Schaufenster für innovative, nachhaltige Entwicklungen.

Bitte bringen Sie diese Erfahrungen ein auch in die internationale Diskussion und das kann man hier ganz wunderbar tun! Gelegenheit dazu bietet sich zum Beispiel beim SDG-Gipfel im September in New York und beim Klimagipfel des VN-Generalsekretärs, die sich beide mit der besonderen Rolle von Städten befassen werden. Aber auch natürlich, wenn Sie heute hier in Bremen zusammenkommen, auch dann ist das „Diplomatie für die Nachhaltigkeit“ im besten Sinne des Wortes und ich kann Sie dazu auch nur weiter ermutigen.

Vor Ort, in den Städten, werden die Menschen erleben, ob die Agenda 2030 gelingt oder nicht. Und dort muss auch der Bewusstseinswandel beginnen hin zu Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen.

Dafür braucht es auch in einer schwierigen Welt, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen, Mut und Optimismus. Beides wünsche ich Ihnen und uns allen!

Vielen Dank!

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