Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenminister Heiko Maas bei der Eröffnung der “The Other 1 Percent” Konferenz zum Weltflüchtlingstag

18.06.2019 - Rede
Außenminister Heiko Maas spricht bei der Eröffnung der “The Other 1 Percent” Konferenz zum Weltflüchtlingstag
Außenminister Heiko Maas spricht bei der Eröffnung der „The Other 1 Percent“ Konferenz zum Weltflüchtlingstag© Felix Zahn/photothek.net

Versetzen wir uns einmal zurück und zwar 86 Jahre – in das Jahr 1933. Da musste Albert Einstein Deutschland verlassen. Er gab seinen Pass ab und er lebte fortan in den USA. Zu diesem Zeitpunkt war Albert Einstein 54 Jahre alt und der wahrscheinlich berühmteste Physiker der Welt. Die Professoren in Princeton empfingen ihn, den Flüchtling, mit offenen Armen.

Was wäre gewesen, wenn Albert Einstein in Ihrem Alter gewesen wäre. In dem Alter, in dem die meisten hier sind. Wäre ihm die Flucht überhaupt gelungen? Hätte er sich möglicherweise mit Gelegenheitsjobs irgendwie durchgeschlagen müssen. Wäre er mit offenen Armen empfangen worden?

Seine Forschungen zur Weltformel hätte es vielleicht nie gegeben.

Meine Damen und Herren,
liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten,
oft ist es der reine Zufall, der darüber entscheidet, ob ein Mensch sein Potenzial entwickeln kann.

Durch die Flucht wird viel zu vielen jungen Menschen die Chance genommen, eben die Fähigkeiten zu erlernen, die es für ein selbstbestimmtes Leben braucht. Aus vielerlei Gründen, aber vor allen Dingen weil sie sich auf der Flucht, aber manchmal auch danach, zu oft aufs blanke Überleben konzentrieren müssen. Eine Hochschulausbildung bleibt für die allermeisten auf jeden Fall ein unerreichbarer Traum.

Meine Damen und Herren,
wir werden den Zufall in Zukunft wahrscheinlich nicht ausschließen können. Aber wir können zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass mehr Menschen ihr Potential auch ausschöpfen können.

Und genau das machen wir mit der Deutschen Akademischen Flüchtlingsinitiative Albert Einstein. Wir schaffen Zugang zu Bildung.

Über wirtschaftliche, politische und soziale Grenzen hinweg. Und zwar vor Ort, in den Erstaufnahmeländern.

Denn genau dort braucht es Perspektiven, die nichts anderes als einen Neustart bedeuten. Auf ein selbstbestimmtes Leben. Darauf, als Mensch wahrgenommen zu werden. Und nicht als Teil einer vermeintlich bedrohlichen Masse namens „Flüchtlinge“, so wie das in unserer Öffentlichkeit viel zu häufig geschieht.

Liebe Frau Vuni,
Sie haben diese Entwicklung erlebt und Sie haben sie auch beschrieben. Wie Sie aus Südsudan nach Kenia geflohen sind. Und wie Ihnen dort ein DAFI-Stipendium einen Neuanfang ermöglicht hat. Dank dieses Studiums und der Unterstützung durch den UNHCR wurden Sie Mitglied der Flüchtlingsdelegation für die Friedensverhandlungen in ihrem Heimatland. Sie, die Geflohene, haben dort bei den Verhandlungen anderen Flüchtlingen eine Stimme gegeben. Und Sie haben damit geholfen, dass sie als das wahrgenommen werden, was sie wirklich sind: Individuen.

Ein Stipendium, das kann Leben verändern – und eben nicht nur das der Stipendiaten. Und das ist ja der Grund, warum das, was wir tun, weit über Einzelschicksale hinausgeht.

Das zeigt auch das Beispiel von Abdoul Kadir Bello Mamadou. Auch Sie sind heute hier, herzlich willkommen! Sie sind aus der Zentralafrikanischen Republik in den Tschad geflohen und haben dort Wirtschaftsrecht studiert. Trotz aller Belastungen der Flucht!

Mit diesem Studium haben Sie sich in einem Gründerzentrum engagiert, das anderen jungen Menschen den Übergang in den Arbeitsmarkt ermöglicht hat. Man sieht auch hier, es geht nicht nur um den Einzelnen, sondern was der Einzelne auch für andere bewirken kann.

Was für eine großartige Art, die Unterstützung weiterzugeben, die Sie einst selbst erhalten haben.

Ich könnte jetzt so weiter machen und jede einzelne Ihrer Biographien erzählen und jede ist wirklich erzählenswert. Uns würde dabei sicher nicht langweilig werden, denn oft ist das, was Sie erlebt haben, Stoff für Bücher oder Romane: Die vielen Hürden, die sie überwinden mussten. Der Verlust der Heimat. Der Neuanfang in der Fremde.

Ihnen allen möchte ich heute eines sagen: Ich habe, und ich glaube, ich kann für alle hier im Auswärtigen Amt sprechen, wir haben den größten Respekt vor der von Ihnen unter so schwierigen Umständen erbrachten Leistung!

Sie stehen stellvertretend für die mehr als 15.500 Flüchtlinge, denen wir seit 1992 dank DAFI ein Studium ermöglichen konnten. Allein im letzten Jahr wurden über 6.800 Stipendiaten in 51 Ländern gefördert – mehr als das je zuvor der Fall gewesen ist. Die DAFI ist damit quasi die größte deutsche Universität im Ausland!

Meine Damen und Herren,
15.500 Menschen, das ist eine beeindruckende Zahl. 15.500 Menschen, denen ganz konkret geholfen worden ist. Andererseits aber ist es viel zu wenig angesichts der Millionen Flüchtlinge weltweit, die solche oder ähnliche Chancen nicht erhalten.

Deshalb haben wir unsere Unterstützung für das DAFI-Programm in den letzten Jahren vervierfacht und in diesem Jahr auf 16,2 Millionen Euro angehoben.

Und deshalb möchten wir das DAFI-Programm breiter aufstellen und auch für andere Geber öffnen. In den letzten Monaten haben wir darüber schon mit anderen, gleichgesinnten Staaten gesprochen und ich hoffe, dass wir das hinbekommen werden. Ich freue mich sehr, dass die Vertreter dieser Länder heute hier sind, zum Beispiel aus Kanada und Neuseeland.

Lassen Sie uns diese Konferenz zum Anlass nehmen, dieses großartige Projekt gemeinsam mit dem UNHCR weiter zu entwickeln. Es lohnt sich.

Denn das DAFI-Programm, und auch die Programme des DAAD und der vielen anderen Organisationen und Initiativen, die hier heute anwesend sind, tragen ganz unmittelbar zu einem der zentralen Ziele des Globalen Pakts für Flüchtlinge bei: Bildung! Indem wir vor Ort Ausbildungsmöglichkeiten schaffen, unterstützen wir Flüchtlinge, aber eben auch die Erstaufnahmeländer. Und nach Rückkehr irgendwann hoffentlich auch die Heimatländer.

Wir alle erinnern uns noch an die Stimmen der Populisten, die die Globalen Pakte für Migration und für Flüchtlinge missbraucht haben, um Angst und Hass zu schüren, auch in Deutschland. Ihnen allen können wir heute nur sagen: Schauen Sie auf diese Stipendiatinnen und Stipendiaten, die heute hier sind, und schauen Sie auf das Potenzial dieser Menschen.

Das sage ich auch mit Blick auf die Stimmen, die immer wieder in Deutschland Gehör finden. Denken wir noch einmal an Albert Einstein, der vor 86 Jahren eine neue Heimat gefunden hatte. Mit ihm flohen damals hunderttausende Deutsche vor den Schrecken des Nationalsozialismus. Vielen wurde das Leben gerettet, weil andere Länder sie aufgenommen haben. Es gehört auch zur deutschen Staatsräson, dafür zu sorgen, dass das in diesem Land nie in Vergessenheit gerät. Und wir haben das auch nicht vergessen.

Und ich bin sehr froh, dass wir in der Lage sind, heute selbst Flüchtlingen helfen zu können - sei es durch Aufnahme in unser Land oder durch die Hilfe auch vor Ort.

Meine Damen und Herren,
letztlich ist es an uns, weiter dafür zu sorgen, dass der Globale Pakt für Flüchtlinge mehr ist als ein Stück Papier – dass er mit Leben gefüllt wird und das Leben von Flüchtlingen verbessert. Das ist unsere Aufgabe.

Deshalb freue ich mich ganz besonders, lieber Filippo, dass Du im Dezember das erste Globale Flüchtlingsforum in Genf eröffnen wirst.

Dort wollen wir eine erste Bilanz ziehen und weitere Schritte vereinbaren, wie der Globale Pakt für Flüchtlinge umgesetzt werden kann.

Unsere Konferenz heute und morgen, die trägt dazu bei. Indem wir Unis, Stipendiaten, Staatenvertreter, den Privatsektor und Flüchtlingsorganisationen aus der ganzen Welt zusammenbringen.

Schon der Titel macht übrigens deutlich, was für ein Potenzial wir derzeit nicht nutzen: 36 Prozent aller jungen Menschen weltweit studieren. Unter den jungen Flüchtlingen ist es nur 1 Prozent – the other 1 percent.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie viele Talente unter den restlichen 99% sind, wie viel Potential da ist, das man nur heben muss.

Zumal wir davon ausgehen müssen, dass uns Flucht vor Verfolgung, Krieg und Gewalt als globale Herausforderung noch lange erhalten bleiben werden – man muss sich nur auf der Welt umschauen zur Zeit. Das wird sicherlich wieder einmal überdeutlich werden, wenn Du, lieber Filippo, morgen die jährlichen Zahlen der Flüchtlinge und Vertriebenen bekanntgeben wirst.

In Deutschland mag die Zahl der Ankünfte stark gesunken sein. Weltweit sieht das aber ganz anders aus. Beinahe alle zwei Sekunden wird ein Mensch vertrieben. Länder wie Uganda, Kolumbien oder Bangladesch spüren das Tag für Tag. Und in Jordanien hat mir Außenminister Safadi erst vor wenigen Tagen bestätigt, wie wichtig die internationale Unterstützung für die hunderttausenden Flüchtlinge im Land ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
hinter all diesen Zahlen stehen Menschen. Einige von ihnen sind heute hier. Mehr über ihre beeindruckenden Lebenswege können Sie im Übrigen in einer Ausstellung im Lichthof des Auswärtigen Amtes im Anschluss an die Konferenz erfahren, zu der ich Sie herzlich einladen möchte.

Der abstrakte Begriff des Flüchtlings, er bekommt dort ein Gesicht.

Stipendien haben einigen die Chance gegeben, Mut zu fassen, ihre Chance zu nutzen und ihre eigene Geschichte zu schreiben.

Ich wünsche mir, dass noch viel mehr solcher Geschichten geschrieben werden. Denn jede und jeder von ihnen ist ein Gewinn. Nicht nur für ihre Freunde und Familien. Nicht nur für die Aufnahmeländer. Sondern für uns alle.

Schön, dass Sie heute bei uns sind! Herzlich willkommen in Berlin im Auswärtigen Amt!

Schlagworte

nach oben