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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 09.07.2021

09.07.2021 - Artikel

Termine der Bundeskanzlerin (Empfang des Präsidenten der Ukraine)

SEIBERT (BReg): Guten Tag, meine Damen und Herren! Ein Blick auf die öffentlichen Termine der Bundeskanzlerin:

Es geht am Montag, den 12. Juli, los. Die Bundeskanzlerin wird am Abend um 19 Uhr den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selensky, im Kanzleramt zu einem gemeinsamen Abendessen empfangen. Schwerpunkte des Gesprächs werden sicherlich die deutsch-ukrainischen Beziehungen, der Stand der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine, der ukrainische Reformprozess, wirtschaftliche Fragen und das Verhältnis zu Russland sein. Das alles können Themen des Gesprächs sein. Vor dem Gespräch sind Pressestatements der beiden vorgesehen.

[…]

FRAGE: Ich habe eine Frage zum Treffen mit Wolodymyr Selensky. Das Normandie-Format wird sich mit dieser Bundesregierung wahrscheinlich nicht mehr treffen. Wie sehen Sie den Stand der Umsetzung des Minsker Abkommens? Was kann man tun, um Bewegung hineinzubringen?

Inwieweit wäre es möglich, vielleicht die USA dazu zu bringen, sich zu beteiligen? Wird die Bundeskanzlerin das bei ihrem Besuch in Washington ansprechen?

SEIBERT: Wir haben das hier oft besprochen. Wie Sie wissen, haben wir uns immer mit den Partnern in der Europäischen Union, aber gerade auch mit den USA und innerhalb der G7 eng abgestimmt, was die Arbeit im Minsker Prozess und im Normandie-Format betrifft, nicht zuletzt auch mit Blick auf Sanktionsmaßnahmen, die im Zusammenhang mit der Annexion der Krim und mit Russlands massiver militärischer Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine verhängt wurden.

Uns geht es ganz klar weiterhin vorrangig darum, das in diesem Format vereinbarte Minsker Maßnahmenpaket vollständig umzusetzen. Darüber stehen wir, wie gesagt, mit unseren Partnern auch außerhalb der EU ‑ Großbritannien und den USA ‑ im engen Austausch.

FRAGE: Herr Seibert, es ist zu erwarten, dass Herr Selensky wieder die Frage der Waffenlieferungen ansprechen wird. Hat sich die Position der Bundesregierung dazu geändert oder nicht?

SEIBERT: Nein.

ZUSATZFRAGE: Meine zweite Frage geht an das Verteidigungsministerium, weil Herr Selensky auch bei Frau Kramp-Karrenbauer sein wird. Kann das Verteidigungsministerium auch ein paar Sätze darüber sagen, worum es bei diesem Treffen gehen wird?

SEIBERT: Ich kann Ihnen nur sagen, dass sich die Position der Bundesregierung in dieser Frage ‑ wir hatten vor einiger Zeit Gelegenheit, das auch hier noch einmal darzustellen ‑ nicht geändert hat. Die Bundeskanzlerin freut sich auf die Begegnung mit dem ukrainischen Präsidenten.

HELMBOLD (BMVg): Ich kann vonseiten des Verteidigungsministeriums sagen, dass wir in der Pressemitteilung die Dinge kommuniziert haben, die kommunizierbar sind. Wir können den Gesprächen natürlich nicht vorgreifen. Weitere Informationen habe ich heute für Sie nicht.

FRAGE: Herr Breul, können Sie uns eine Einschätzung dessen geben, wie die Lage in der Ostukraine im Moment aus Sicht des Auswärtigen Amtes ist? Es gibt immer wieder Berichte darüber, dass es doch gegenseitige Beschüsse gebe oder Schüsse von der einen Seite, die sage, dass sie von der anderen Seite kämen. Können Sie uns vor diesem Treffen also eine Art Lagebild geben?

BREUL (AA): Das müsste ich Ihnen nachreichen. Ich habe kein aktuelles Lagebild dabei. Aber ich bin sicher, dass ich gleich noch etwas nachliefern können werde.

[…]

BREUL: Ich würde gerne zwei Dinge sagen. Zum einen würde ich gerne etwas zu Ihrer Frage zur Ukraine nachliefern, Herr Rinke. Wir teilen die Besorgnis der OSZE-Sondergesandten und Botschafterin Heidi Grau, die sich in den letzten Tagen über die wieder zunehmenden Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie geäußert hat. Das zeigt, dass es eines verstärkten Engagements bedarf, um den Waffenstillstand zu stabilisieren. Wir stehen dazu im Rahmen des Normandie-Formats gemeinsam mit Frankreich bereit, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln, und haben die Notwendigkeit dazu auch wiederholt betont.

Wenn Sie jetzt noch ein etwas detaillierteres Bild haben wollen, dann können wir vielleicht nachher noch einmal miteinander sprechen. Aber grundsätzlich ist es so, dass wir dabei natürlich vor allem auf die Informationen der OSZE angewiesen sind, die vor Ort ist und mit der wir im regen Austausch stehen. Wir teilen natürlich die Besorgnis, wenn uns die OSZE berichtet, dass es zuletzt wieder stärkere Verletzungen des Waffenstillstands gegeben hat.

Afghanistaneinsatz der Bundeswehr

FRAGE: Meine Frage geht an den Sprecher des Verteidigungsministeriums. Joe Biden, der US-Präsident, hat, wenn ich es richtig gelesen habe, den 31. August als definitives Abzugsdatum für die US-Truppen genannt. Wie ist die Meinung oder Einschätzung im Verteidigungsministerium? Ist der ganze Einsatz im Grunde gescheitert? Steht man wieder an Punkt null? Wie will man verhindern, dass es erneut wie vor dem Einsatz der Truppen zu Terroranschlägen kommt?

Gleich im Anschluss eine Frage an das Auswärtige Amt ‑ ich glaube, da bin ich damit an der richtigen Adresse ‑: Was soll jetzt mit den afghanischen Ortskräften dort geschehen?

HELMBOLD (BMVg): Erst einmal zu Afghanistan und einer Einschätzung des Einsatzes: Zunächst hat sich die Verteidigungsministerin ja an verschiedenen Stellen öffentlich zu dieser Frage geäußert, einmal natürlich grundsätzlich dazu, dass alle Aufträge, die die Bundeswehr für Afghanistan vom Bundestag bekommen hat, erfüllt wurden, weiterhin dazu, dass deshalb auch die Soldatinnen und Soldaten stolz auf das sein können, was sie dort geleistet haben. Es gilt aber auch im Blick zu behalten, dass wir immer in einem großen Verbund in Afghanistan tätig waren, zum einen mit Bündnispartnern und zum anderen auch innerhalb unseres Landes im sogenannten „comprehensive approach“, also im gesamtstaatlichen Ansatz.

Wichtig für uns ist es, immer wieder darauf hinzuweisen, was die Möglichkeiten der Bundeswehr sind. Die Bundeswehr ist zunächst mit dem Mandat für ISAF dort hingegangen und später mit dem Mandat für Resolute Support. Bei Resolute Support ging es um die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Bei ISAF ging es noch um stabilisierende Maßnahmen im weiteren Sinne.

Uns ist wichtig, zu betonen, was militärische Kräfte vor Ort leisten können. Militärische Kräfte können zeitlich und räumlich begrenzt für Räume relativer Sicherheit sorgen, in denen dann andere Prozesse greifen müssen, die ebenfalls wichtig sind, um langfristig für Frieden zu sorgen. Dazu zählen, wie auch überall nachzulesen ist, insbesondere gesellschaftlicher Ausgleich, wirtschaftliche Perspektiven, „good governance“. Das findet man auch in den internationalen Dokumenten wieder.

Die Frage ist ja immer: Woran misst man den Einsatz der Bundeswehr? ‑ Hier ist ganz zentral zu sagen: Den Bundeswehreinsatz muss man an dem messen, was wir als Auftrag vom Deutschen Bundestag bekommen haben. Mit Blick auf diesen Auftrag sagen wir: Wir haben unsere Aufträge erfüllt.

ZUSATZFRAGE: Ich hatte noch eine Frage zur Angst vor einem Wiederaufflammen von Terroranschlägen gestellt. Gibt es dazu eine Meinung im Verteidigungsministerium oder von der Bundeskanzlerin selbst?

BREUL (AA): Ich kann vielleicht kurz einhaken, um noch einmal zu unterstreichen, dass zwar der militärische Einsatz im Land beendet wird und von der Bundeswehr beendet ist. Sie haben die Äußerungen von Herrn Biden zum US-Einsatz gesehen. Aber die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für Afghanistan geht weiter. Wir sind mitnichten an dem Punkt, zu sagen: „Da geht jetzt ein Strich drunter“, sondern wir sind mittendrin.

Deutschland ist zweitgrößter ziviler Geber mit jährlich bis zu 430 Millionen Euro. Wir haben zugesagt, das auf einem vergleichbaren Niveau bis ins Jahr 2024 fortzusetzen, sofern die Lage es zulässt. Dazu kommt noch humanitäre Hilfe, bei der Afghanistan für uns ebenfalls ein prioritäres Land ist. Auch die Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte geht weiter. Das Auswärtige Amt unterstützt die afghanische Polizei finanziell, das BMVg finanziell die afghanische Armee.

Daneben setzen wir uns aktiv dafür ein, dass es mit dem Friedensprozess weitergeht. Sie haben gesehen, dass der Doha-Prozess weiterläuft. Es gibt wieder formelle Gespräche, die wir unterstützen. Wir sprechen intensiv auch mit den Akteuren in der Region, um mehr Dynamik in diese Verhandlungen zu bringen.

Das ist uns ein ganz wichtiger Punkt. Man hat hier ja manchmal den Eindruck, als führe der Abzug der Bundeswehr dazu, dass wir Afghanistan links liegen ließen. Mitnichten! Wir sind stark engagiert und wollen das auch in Zukunft fortsetzen.

SEIBERT: Ich möchte, wenn ich darf, noch hinzufügen, dass auch die NATO ihre Unterstützung für Afghanistan, speziell auch für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, fortsetzen wird, wenn auch sicherlich in anderer Form.

Lage der afghanischen Ortskräfte

FRAGE: Die Verteidigungsministerin hat Hilfen für die Ortskräfte dort angeboten. Können Sie kurz erklären, inwieweit das jetzt für die, die der Bundeswehr dort geholfen haben, konkret umgesetzt wird?

HELMBOLD (BMVg): In der Regierungspressekonferenz am Montag habe ich das sehr, sehr deutlich ausgeführt. Ich würde Sie bitten, da noch einmal nachzuschauen.

Wichtig ist uns: Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den Ortskräften sehr bewusst. Die Ortskräfte haben an unserer Seite gestanden, als wir im Afghanistaneinsatz waren. Uns ging es darum, mit der Bundeswehr, bevor wir Afghanistan verlassen haben, zu unterstützen, wo es möglich war. Das galt insbesondere auch für die Unterstützung im Zusammenhang mit Visaformularen und Anträgen in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass es sehr, sehr viele „hand carries“ gegeben hat, mit allen Flügen, die wir im Zuge des Abzugs geleistet haben. Visaformulare wurden hin und her geflogen, zum Teil durch den Generalinspekteur selbst. In diesem Zusammenhang konnte auch der ganz überwiegende Anteil derjenigen, die zu dem Zeitpunkt antragsberechtigt waren, ihre Ausreiseformulare bekommen.

In der Zwischenzeit kommen auch Ortskräfte an. Ich habe gelesen, dass heute Nacht ein Flugzeug angekommen ist und dass da zusätzliche Ortskräfte mit Familien zurückgekommen sind. In diesem Zuge sind jetzt schon einige Hundert zurückgekommen. Sie werden auch weiterhin die Möglichkeit haben.

Wir vonseiten des Verteidigungsministeriums unterstützen weiterhin, wo wir können, auch wenn wir nicht mehr vor Ort sind.

FRAGE: Mittlerweile hat sich ein sogenanntes Patenschaftsnetzwerk von Bundeswehrsoldatinnen und ‑soldaten, die in Afghanistan waren, gegründet. Herr Seibert, wie bewertet die Kanzlerin so ein Patenschaftsnetzwerk, das sich unter anderem deshalb gebildet hat, weil das BMI die Umzugskostenhilfe für die afghanischen Ortskräfte ablehnt und die Menschen dort selbst sehen müssen, wie sie sich die Reise nach Deutschland leisten?

Das Patenschaftsnetzwerk spricht von einem moralischen Versagen der Bundesregierung diesbezüglich, damit auch von einem moralischen Versagen der Kanzlerin. Zieht sie sich diesen Schuh an?

Herr Helmbold, wie bewertet die Verteidigungsministerin dieses Patenschaftsnetzwerk?

SEIBERT (BReg): Der Kollege aus dem Verteidigungsministerium hat es ja gerade gesagt, und das gilt für die ganze Bundesregierung: Wir werden denen helfen und helfen ihnen schon, die uns geholfen haben. Wir hatten in allen Facetten unseres Einsatzes in Afghanistan die Hilfe engagierter und kompetenter Afghanen und Afghaninnen, die uns zur Seite gestanden haben und ohne die wir unsere Aufgaben dort sicherlich nicht so hätten erfüllen können. Wir kennen die Verantwortung, die wir für diese Menschen haben.

Was Einzelheiten der Hilfe betrifft, so wird man nicht alles öffentlich machen können. Aber sicherlich ist sehr vieles im Gange.

Ich weiß nicht, was dieses Netzwerk geschrieben hat, aber ich habe auch davon gehört. Es zeigt doch eigentlich vor allem auch die enge Kameradschaft, die dort entstanden ist. Insofern nehme ich das zur Kenntnis. Aber das heißt nicht, dass sich die Bundesregierung, dass sich der deutsche Staat seiner Verantwortung nicht bewusst wäre und nicht auch nach dieser Verantwortung handelte. Die Tatsache, dass, wie wir gerade gehört haben, jetzt wieder Ortskräfte hier in Deutschland angekommen sind, zeigt ja, dass Schritt für Schritt diese Hilfe geleistet wird, und zwar sehr praktisch.

HEMLBOLD: Ich kann das nur unterstützen. Herr Seibert, Sie haben es gesagt. Die Patenschaftsnetzwerke kümmern sich in kameradschaftlicher Sicht um Ortskräfte. Aus unserer Sicht ist es sehr begrüßenswert, dass es Menschen gibt, die sich engagieren.

ZUSATZFRAGE: Die Frage war, wie Sie das Patenschaftsnetzwerk an sich bewerten, Herr Helmbold.

Herr Seibert, Sie meinten gerade, hier kämen auch Leute an. Natürlich. Das sind aber die wenigsten derjenigen, die hier ankommen könnten. Die meisten können es sich nicht leisten, mit ihrer Kernfamilie nach Deutschland zu fliegen, selbst diejenigen nicht, die ein Visum bekommen haben.

Hört die Verantwortung für die Bundesregierung also da auf, wo zum Beispiel Geld für Reisekosten fließen muss, weil Sie ja meinten: „Wir helfen denjenigen, die uns geholfen haben“?

SEIBERT: Zu diesem Satz steht die Bundesregierung. Dass wir jetzt, wenn ich es richtig im Kopf habe, zweieinhalbtausend Visa erteilt haben, ist ja etwas. Wir haben auch gehört ‑ das sollten Sie auch ernst nehmen ‑, dass viele dieser Menschen, die jetzt ein Visum bekommen haben, derzeit noch nicht ausreisen wollen. Das ist deren Entscheidung. Da, wo es einen konkreten und dringenden Ausreisewunsch gibt, wird sich die Bundesregierung bemühen, den auch zu ermöglichen.

ZUSATZFRAGE: Auch mit Geld?

SEIBERT: Die Einzelheiten unserer Hilfe können Ihnen die Ressorts besser nennen. Aber wir bemühen uns, unserer Verantwortung dann auch nachzukommen und den Menschen, die akut gefährdet sind und deswegen ausreisen möchten, diese Ausreise auch zu ermöglichen.

FRAGE: Herr Helmbold, ich habe eine technische Frage. Vor zwei Wochen hatte die Verteidigungsministerin gesagt, das Rückgrat des Ganzen seien niederschwellige Angebote vor Ort. Dazu gehörten zwei Büros, die man für Ortskräfte öffnen möchte, sodass man quasi ohne Probleme hineingehen kann und sich informieren kann. Nach dem, was wir hören, gibt es keines dieser Büros. Haben wir die falschen Quellen, oder woran hapert es da?

HELMBOLD: Ich glaube, dazu hat sich das AA auch schon in der vergangenen RegPK eingelassen.

BREUL (AA): Ja, genau. Ich kann das vielleicht noch einmal kurz wiederholen, aber ich glaube, das haben wir hier in der Tat schon etwas ausführlicher besprochen. Es sollen zwei Anlaufstellen eingerichtet werden, eine in Kabul und eine in Masar-e Scharif. Das machen wir gemeinsam mit einem Projektpartner. Das Büro in Masar-e Scharif konnte aus Sicherheitsgründen, die der Partner geltend gemacht hat und die wir so auch zu akzeptieren haben, leider noch nicht eröffnet werden. Das Büro in Kabul hat geöffnet und ist auch Ansprechpartner für alle Menschen, also für den gesamten Kreis der Betroffenen im ganzen Land. Es steht also auch per Telefon und per E-Mail zur Verfügung, um zu beraten und um zu informieren. Wir hoffen, dass das Büro in Masar‑e Scharif, sobald es die Sicherheitslage zulässt, dann auch öffnen und diese Aufgabe weiter unterstützen wird.

FRAGE: Kennt das Auswärtige Amt eine Person in Afghanistan, die sich in letzter Zeit von Masar-e Scharif nach Kabul aufgemacht hat?

BREUL: Ich glaube, das Auswärtige Amt hat weltweit 12 000 Mitarbeiter. Ich bin über die Reisebewegungen aller Mitarbeiter nicht informiert.

ZUSATZFRAGE: Nein, es geht nicht um die Mitarbeiter, es geht um die afghanischen Ortskräfte, die ja zum Beispiel von Masar-e Scharif neun Stunden lang durch Talibangebiet nach Kabul kommen müssen. Kennen Sie eine Person, die das in letzter Zeit gemacht hat und diesen Weg auf sich genommen hat?

BREUL: Es wäre sehr verwunderlich, wenn ich eine solche Person kennen würde, weil ich ja hier in Berlin sitze und nicht in Afghanistan.

ZUSATZ: Ich habe nicht Sie als Person gefragt, sondern das Auswärtige Amt.

BREUL: Es gibt eine Landverbindung. Es gibt auch Flugverbindungen zwischen Masar-e Scharif und Kabul. Ob das eine Ortskraft in den letzten Tagen gemacht hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Das würden wir auch nicht wissen, es sei denn, die Person hätte in der Botschaft in Kabul vorgesprochen. Ich kann Ihnen gerne Zahlen dazu nachzureichen versuchen, wie viele Anträge in Kabul in den letzten Tagen bearbeitet wurden.

FRAGE: Herr Seibert, steht der Satz, den Sie gerade eben noch einmal gesagt haben, man werde selbstverständlich denjenigen, die Deutschland geholfen hätten, dann auch helfen, nicht ein Stück weit im Gegensatz zu dem auch zuvor von der Regierung gesagten Satz, es gebe keine Nachsorgepflicht für die ehemaligen Ortskräfte?

Ist es die Position der Bundesregierung, dass eine Realisierung des Visums nicht an Reisekosten scheitern darf? Das ist im Moment faktisch immer noch der Fall. Darum dreht es sich auch seit Wochen. Ortskräfte sagen: Wir würden gerne nach Deutschland ausreisen, aber wir können das für unsere Kernfamilie nicht finanzieren. - Da stehen die Aussagen dann doch im Widerspruch zueinander.

SEIBERT: Ich kann keinen Widerspruch erkennen. Ich habe für die Bundesregierung gesagt: Wir kennen unsere Verantwortung für diese Menschen, die uns in unserem Einsatz in Afghanistan geholfen haben. Wir bieten Ihnen Hilfe an, und wir sind tatkräftig dabei, diese Hilfe umzusetzen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ansonsten wiederholen Sie die gleiche Frage, die Herr Jung schon gestellt hat, aber darauf habe ich jetzt keine andere Antwort.

ZUSATZFRAGE: Warum gibt es keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für diejenigen, die es dann schaffen, den Weg nach Deutschland zu nehmen? Ist das auch Ausdruck hinreichender Hilfe? Die bekommen nur einen begrenzten Aufenthaltstitel, der dann jeweils erneuert werden kann, aber nicht muss.

SEIBERT: Das sind Fragen, die, denke ich, vom BMI zu beantworten wären.

WEDE (BMI): Die Aufenthaltstitel werden von den Ausländerbehörden der Bundesländer erteilt. Insofern wären die Fragen an die Ausländerbehörden der Bundesländer zu richten. Das geschieht natürlich auf Basis des Aufenthaltsrechts.

ZUSATZFRAGE: Das Aufenthaltsrecht kann man ändern. Wollen Sie das ändern?

WEDE: Änderungen am Aufenthaltsrecht sind jetzt ‑ zumindest im Hinblick auf die verbleibende Legislaturperiode ‑ nicht geplant.

Lage in Belarus

BREUL (AA): Dann möchte ich gerne etwas zu Belarus sagen. Die erschütternden Nachrichten über massive Repressionen in Belarus reißen nicht ab. Bereits am Mittwoch haben wir hier zum Willkürurteil gegen den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko Stellung bezogen. Gestern hat das Regime in Belarus erneut mit extremer staatlicher Repression und Gewalt gegen unabhängige Medien auf freie Berichterstattung und die wichtige Arbeit unabhängiger Medien reagiert. Wir haben die Nachrichten über Festnahmen, Hausdurchsuchungen und die Schließung von Internetseiten ‑ allen voran gegen die unabhängige Medienplattform „Nascha Niwa“ und die Verhaftung ihres Chefredakteurs Jegor Martinowitsch ‑ vernommen. Wir verurteilen diese Schikane, politische Verfolgung und Einschüchterung, denen unabhängige Medien und Bürgerinnen und Bürger in Belarus ausgesetzt sind, auf das Schärfste. Die Behörden in Belarus müssen demokratische Grundrechte, darunter die Medien- und Pressefreiheit, uneingeschränkt achten. Inhaftierte Journalistinnen und Journalisten müssen freigelassen werden.

FRAG: Was tun Sie denn konkret? Ich habe viele Beschwerden von Menschen gehört, die in Belarus verfolgt werden und sagen, sie hätten keinerlei Chance, in Deutschland aufgenommen zu werden. Das werde von den Auslandsvertretungen abgeblockt. Gibt es da nicht einen Widerspruch?

BREUL: Nein. Wir engagieren uns für die Zivilgesellschaft in Belarus mit unterschiedlichen Programmen, unter anderem dem aufgelegten „Aktionsplan Zivilgesellschaft Belarus“. Dazu gehören unter anderem die Dokumentation schwerer Menschenrechtsverbrechen durch eine internationale Untersuchungsplattform, die Unterstützung von Studierenden, Promovierenden und Forschenden durch die Fortsetzung und den Aufbau neuer Stipendienprogramme, die Förderung unabhängiger Medien und zivilgesellschaftlicher Projektarbeit, die Behandlung traumatisierter Folteropfer und auch die erleichterte Einreise politisch Verfolgter, unter anderem durch Erteilung von Visa und Aufnahme in Deutschland. Das gehört also durchaus zu unserer Unterstützung dazu.

Den Einzelfall kann ich hier nicht kommentieren. Den kenne ich auch nicht. Aber im Zweifelsfall sollte sich die betroffene Person an unsere Botschaft in Minsk wenden.

Was tun wir insgesamt? – Sie wissen: Die EU hat wegen der anhaltenden schweren Menschenrechtsverstöße gerade ein substanzielles Sanktionspaket verabschiedet. Wenn ich mir den Kommentar erlauben darf: Die Äußerungen von Herrn Lukaschenko in der letzten Woche lassen darauf schließen, dass das auch angekommen ist. Das Regime hat es jetzt selbst in der Hand, indem es den Kurs der Repression und der Unterdrückung des eigenen Volkes ändert, um so den Sanktionsdruck zu lockern, den wir aus diesem Grund innerhalb der EU beschlossen haben.

ZUSATZFRAGE: Ist es eine konkrete, verbindliche Zusage der Bundesregierung, dass sie Menschen, die in Belarus im Moment nachweislich verfolgt werden, in der Bundesrepublik aufnimmt und Asyl gewährt?

BREUL: Na ja, ich kann hier keine verbindliche Aussage zu Einzelfällen treffen. Es gilt das, was ich gerade gesagt habe: Für politisch Verfolgte gibt es Möglichkeiten einer erleichterten Einreise durch die Erteilung von Visa und die Aufnahme in Deutschland. Das ist so, ja.

[…]

BREUL: Ich kann noch eine Nachreichung machen: Herr Jung, Ihnen ging es ja um die Frage des Landwegs von Masar nach Kabul. Dazu hat mir die Botschaft zurückgemeldet: Ja, es gibt auch Ortskräfte aus Masar, die in den letzten Tagen in Kabul vorstellig geworden sind. Ich will Ihnen aber ‑ das habe hier, glaube ich, auch am Montag zu unterstreichen versucht ‑ auch nichts vormachen: Die Lage vor Ort ist schwierig. Die Landverbindung ist teils möglich, teils auch nicht; die Flugverbindung ist existent, aber natürlich auch nicht kostenlos. Dessen sind wir uns bewusst. Aus diesem Grund haben wir Anlaufstellen in Masar-e Scharif geplant, leider aber noch nicht eröffnet, sowie eine Anlaufstelle in Kabul, die auch telefonisch und per Email erreichbar ist. Wir versuchen mit dieser Lage, die auch für uns nicht einfach ist, umzugehen und pragmatische Lösungen zu finden. Aber natürlich sehen wir, dass das nicht leicht ist.

Ermordung des Präsidenten von Haiti

FRAGE: Vor ein paar Tagen wurde der Präsident von Haiti, Jovenel Moïse, ermordet. Herr Seibert, wie bewertet die Kanzlerin diese Ermordung? Kannte sie den haitischen Präsidenten? Vielleicht gibt es auch eine Einschätzung vom Auswärtigen Amt?

SEIBERT (BReg): Wenn ein demokratisch gewählter Staatspräsident irgendwo auf der Welt ermordet wird, dann kann man das ja nur auf das Schärfte verurteilen, und genau das tut die Bundesregierung. Das ist eine grässliche Tat, und wir bringen gegenüber dem haitianischen Volk, aber natürlich vor allem auch der Familie des Ermordeten, unsere Anteilnahme zum Ausdruck. Die Ehefrau von Präsident Moïse ist ja schwer verletzt worden und wird jetzt in den USA behandelt. Wir wünschen ihr rasche Genesung.

Jetzt schauen wir natürlich mit einer gewissen Sorge auf die weitere politische Entwicklung in Haiti und hoffen, dass Stabilität bewahrt werden kann.

ZUSATZFRAGE: Kannte die Kanzlerin den Präsidenten?

SEIBERT: Das kann ich aus dem Kopf nicht sagen. Er war sicherlich hier nie zu Besuch. Ich wüsste jetzt eigentlich nicht, bei welcher Gelegenheit sie ihm begegnet wäre.

BREUL (AA): Ich kann vielleicht nur kurz ergänzen, dass neben dem brutalen Verbrechen, das wir gestern umgehend verurteilt haben ‑ Herr Seibert hat es angesprochen ‑, das Land sich in einer schwierigen Lage befindet. Durch umstrittene rechtliche, verfassungsmäßige Entscheidungen auch des verstorbenen Präsidenten ist jetzt ein Machtvakuum entstanden. Sie haben wahrscheinlich auch gesehen, dass die Parlamentswahlen verschoben worden sind und noch kein neues Datum angesetzt worden ist. Die weitere Entwicklung hängt jetzt stark vom politischen Willen aller zur Bewahrung von Ruhe und Ordnung und zum konstruktiven und inklusiven Dialog ab. Darauf zählen wir. Ein ganz wichtiger Schritt ist diese Richtung ist natürlich, dass jetzt die Wahlen, insbesondere die Parlamentswahlen, abgehalten werden können.

FRAGE: Da Sie beide die große Sorge vor der Instabilität betont haben: Sehen Sie die reale Gefahr von Putschversuchen in Haiti? Das hätte immerhin auch eine bedauerliche Tradition.

BREUL: Ich habe es, glaube ich, gerade gesagt: Das Land befindet sich in einer sehr schwierigen Lage, und alle Akteure müssen dazu beitragen, dass dort jetzt kein Vakuum entsteht und dass der Staat handlungsfähig bleibt. Das geht aus unserer Sicht am besten im konstruktiven und inklusiven Dialog zwischen den Partnern vor Ort.

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