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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 02.08.2021

02.08.2021 - Artikel

Medienberichte über versuchte Zwangsrückführung einer belarussischen Olympia­teilnehmerin nach Belarus

FRAGE: Ich habe eine Frage zum Thema Belarus und Olympia. Eine belarussische Olympiateilnehmerin ‑ eine Leichtathletin namens Kristina Timanowskaja ‑, ist nach einem Konflikt mit ihrem Verband, der sie zurück nach Belarus schicken wollte, in Tokio in die polnische Botschaft geflüchtet. Frage an das Auswärtige Amt: Gibt es eine Möglichkeit oder Gedankenspiele darüber, dass sie in Deutschland Asyl bekommen könnte?

[…]

ADEBAHR (AA): Das Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft in Belarus, wie wir es in den letzten Wochen gesehen haben, haben wir oft sehr klar verurteilt. Schikane, Verfolgung, Einschüchterung von unabhängigen Medien und auch von der Zivilgesellschaft ‑ das schließt natürlich Sportlerinnen und Sportler mit ein ‑ verurteilen wir auf das Schärfste.

Wir rufen die Behörden in Belarus dazu auf ‑ das gilt nach wie vor ‑, die demokratischen Grundrechte zu achten. Darunter fällt natürlich die Medien- und Pressefreiheit und auch die Meinungsfreiheit. Das gilt für jede Bürgerin und jeden Bürger aus Belarus und natürlich auch für Sportlerinnen und Sportler.

Sie kennen ja die europäische Antwort auf die Vorgänge. Die EU hat wegen der anhaltenden schweren Menschenrechtsverstöße in Belarus ein substanzielles Sanktionspaket verabschiedet. Es gibt ‑ das wissen Sie vielleicht auch ‑ Aktionspläne Deutschlands und der Europäischen Union, um der bedrängten Zivilgesellschaft zu helfen, dass neben dem Sanktionsdruck auf das Regime von Herrn Lukaschenko Unterstützung für die Demokratiebewegung und Unterstützung für die belarussische Zivilgesellschaft, die ein Kernelement unserer Politik gegenüber Belarus ist, gewährt wird.

Lage in Afghanistan

FRAGE: Ich habe ein paar Nachfragen zum Themenkomplex Afghanistan. Vielleicht beginne ich bei Herrn Alter, wenn ich darf.

Der Städtetag warnt ja aufgrund der sich zuspitzenden Lage in Afghanistan vor einer neuen Flüchtlingskrise. Das Flüchtlingshilfswerk spricht von 300 000 Flüchtlingen seit Jahresbeginn.

Meine Frage an Sie wäre zum einen: Wie bewerten Sie diese Sorge und Einschätzung des Städtetages? Besteht diese Gefahr real?

Die Anschlussfrage vielleicht gleich vorweg: Kann man angesichts dieser sich zuspitzenden Lage an der bisherigen Abschiebepraxis festhalten? Das haben ja Herr Seehofer und auch Herr Laschet am Wochenende noch einmal betont.

ALTER (BMI): Zunächst einmal muss man diese Dinge in der Sache auseinanderhalten. Das Eine ist die Tatsache, dass es durch die Veränderung, die in Afghanistan derzeit stattfindet, sehr viele Flüchtlinge innerhalb des Landes gibt ‑ Binnenflüchtlinge ‑, aber eben auch Flüchtlinge, die das Land verlassen. Nach unseren Erkenntnissen gehen viele Afghanen zunächst einmal in Nachbarländer. Diese Bewegungen, die dort stattfinden, müssen natürlich auch in Europa sehr aufmerksam verfolgt werden. Das wird auch getan. Auch wir beobachten die Situation dort sehr genau. Denn wir wissen ja aus den vergangenen Jahren, dass solche Entwicklungen immer auch etwas zur Folge haben können, was uns in Deutschland betrifft. Insofern ist diese Aussage des Deutschen Städtetags durchaus berechtigt, weil sie in der Sache richtig ist, dass man genau beobachten muss, wie sich die Lage dort entwickelt und früh prüfen muss, wie man gegebenenfalls reagieren muss. Das ist das Eine.

Das Andere ist die Frage, ob man in sehr begrenzten Umfang auf der Basis der Lageeinschätzung, die von den Behörden in Deutschland für Afghanistan vorgenommen wird, beispielsweise Leute, die in Deutschland straffällig geworden sind, dorthin abschieben kann. Da vertritt das Bundesinnenministerium, der Bundesinnenminister, die Auffassung, dass man mit Blick auf die derzeitige Lage, die durchaus ein differenziertes Vorgehen erlaubt, nicht pauschal sagt, dass niemand mehr nach Afghanistan abgeschoben wird. Es geht ja auch um die Verantwortung, die die Behörden in Deutschland tragen, dass diejenigen, die in Deutschland Straftaten begehen und schwer straffällig werden, in ihr Land zurückgeführt werden. Das ist nach unserer Auffassung derzeit möglich und entspricht daher auch unserem Ziel.

FRAGE: Ist das Büro der IOM in Kabul mittlerweile einsatzbereit, und stellt es Visa für die afghanischen Ortskräfte der Bundeswehr aus?

ADEBAHR (AA): Die Anlaufstelle in Kabul arbeitet inzwischen und hilft den Betroffenen bei der Gefährdungsanzeige. Wir kommen mit den Visa für die Ortskräfte ja gut voran. Über die Hälfte der Berechtigten ist bereits eingereist. In Kabul hat die Arbeit begonnen. Da gab es in den letzten Tagen bereits hundertfach Kontakte mit möglichen Betroffenen, sowohl per Mail als auch per Telefon.

ZUSATZFRAGE: Wie ist der aktuelle Visastand?

ADEBAHR: Der aktuelle Visastand ist, dass das Auswärtige Amt rund 2400 Pässe visiert hat. So nennt man das. Diese Visa sind also ausgeteilt. Die Anzahl der Ortskräfte, die aufgrund dieser Visa nach Deutschland einreist, steigt mit jedem Tag. Mein letzter Stand ist vom 29. Juli: Da waren von diesen 2400 Visainhabern 1363 Personen eingereist.

FRAGE: Eine Anschlussfrage an Frau Adebahr, noch einmal zur Unterstützung der Ortskräfte: Es waren ja auch Charterflüge für die Ortskräfte im Gespräch. Das war auch Thema, als die Kanzlerin ihre Sommerpressekonferenz gegeben hat. Sind die Flüge inzwischen aufgenommen worden? Oder wann werden sie aufgenommen und, wenn ja, in welchem Umfang?

ADEBAHR: Die Bundesregierung berät sich mit den zuständigen Ministerien darüber ‑ das betrifft natürlich auch das Verteidigungsministerium und das Innenministerium ‑, dass wir ‑ ich glaube, darüber besteht Einigkeit ‑, wo die Notwendigkeit besteht, den Betroffenen helfen wollen. Da soll es sozusagen nicht am Geld scheitern ‑ das ist unsere Maxime ‑, dass sie nach Deutschland kommen können. Im Moment gibt es kommerzielle Flüge, die dort auch von den bisher Eingereisten genutzt wurden.

Wenn also der Bedarf steht, stehen wir bereit. Das ist eine fortlaufende Beratung und ein interner Prozess, in dem wir darauf schauen, wie die Sache mit den Ortskräften läuft.

Herr Alter, korrigieren Sie mich.

ALTER: Nein, ich habe nichts zu korrigieren. Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die jetzt unmittelbar zur Einreise anstehen, möglicherweise sogar auf Linienflügen einreisen können. Das heißt also, die Planung von Charterflügen ist eher etwas für eine spätere Phase.

ZUSATZFRAGE: Ich hätte noch einmal eine Nachfrage an Sie, Frau Adebahr, zu dem Punkt Abschiebepraxis. Der Bericht, den das Auswärtige Amt erstellt, ist ja auch Grundlage für die Bewertung, ob diese Praxis aufrechtzuerhalten ist. Der Letzte hat den Stand vom Mai wiedergegeben, wenn ich das richtig erinnere, also vor dem massiven Truppenabzug ausländischer Kräfte. Wann wollen Sie ihn aktualisieren? Die Lage in Afghanistan verändert sich ja im Moment rasend schnell.

ADEBAHR: Ich hatte, glaube ich, in der letzten Woche dazu schon ausführlich Stellung genommen.

Dieser Bericht hat einen gewissen Redaktionsschluss, aber auch eine Vorlaufzeit, weil Studien dort einfließen müssen und verschiedene Stellen das tun. Er gibt aber auch, auch in der Einleitung und in bestimmten Teilen, einen ganz aktuellen Stand wieder.

Insofern: Auch ganz aktuelle Erkenntnisse sind dort eingeflossen. Ich kann hier leider nicht daraus zitieren.

“Having said that”: Wir sehen natürlich, dass sich die Lage in Afghanistan rasant entwickelt. Wir sehen dort im Moment auch eine Verschlechterung der Sicherheitslage. Insofern beobachten wir die Lage tagtäglich. Unsere Botschaft vor Ort tut dies. Seien Sie sicher: Es gab in der Vergangenheit Ad-hoc-Aktualisierungen. Das ist ein Mittel und eine Variante, der wir ins Auge sehen werden oder müssen, und das tun wir auch, wenn es die Sicherheitslage erfordert. Insofern schauen wir uns die Lage an, und falls es eine Aktualisierung des Berichts gibt, werden wir Sie rechtzeitig darüber informieren und Ihnen mitteilen, dass wir eine solche vorgenommen haben.

FRAGE: Eine dumme Frage an der Stelle: Muss das Land völlig im Chaos versinken, ehe keine Abschiebungen mehr gemacht werden? Oder was ist das Kriterium dafür?

ADEBAHR: Ich glaube, die Abschiebungen sind Einzelfälle. Zu den Kriterien, die dort angewandt werden, hat Herr Alter etwas ausgeführt.

FRAGE: Herr Alter, auch noch einmal zu diesem Thema: Haben abzuschiebende Straftäter Menschenrechte bzw. Grundrechte, die es ihnen zum Beispiel versagen, in den potenziellen Tod zurückgeführt zu werden? Wie sieht das Ihr Ministerium, Ihr Verfassungsministerium?

Frau Adebahr, wie viele von den 2400 ausgestellten Visa wurden denn jetzt schon für die Einreise nach Deutschland genutzt?

ADEBAHR: Die 1363, die ich gerade schon erwähnt hatte.

ZUSATZFRAGE: 1000 Leute, die ein Visum haben, haben es also noch nicht geschafft oder sind noch nicht hier.

Ist das IOM-Büro in Masar-e Scharif‑ ‑ ‑

VORS. WOLF: Eine Frage nach der anderen! Ihre erste stellte sich an Herrn Alter. Ich würde sie ihn erst einmal beantworten lassen.

ALTER: Jeder Mensch hat gleich viele Menschenrechte. Ein Straftäter, der nach Afghanistan abgeschoben wird, hat genau so viele Menschenrechte wie ich oder wie Sie. Aber die Bundesregierung muss sich schon auch fragen ‑ ‑ ‑ Zunächst einmal wird ja nur abgeschoben, wenn das aus Sicherheitsgründen auch im individuellen Fall vertretbar ist. Wenn also die Situation so wäre, wie manchmal angedeutet wird, dass es überhaupt keine Regionen in Afghanistan gäbe, in die hinein man das tun könnte, dann würden Abschiebungen auch nicht stattfinden. Die Lageeinschätzung der Behörden sieht anders aus.

Außerdem ist es auch eine Frage des Rechtsstaats, ob jemand, der kein Aufenthaltsrecht für Deutschland hat, das Land nicht verlassen muss. Der Bundesinnenminister hat mehrfach gesagt, dass humanitäre Signale in der Migration nur dann möglich sind, wenn in der Migration als solches auch Ordnung herrscht. Ordnung bedeutet, dass diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht haben, das Land grundsätzlich verlassen müssen. Dann ist es eine Prioritätenfrage, bei welchem Personenkreis man damit beginnt, das durchzusetzen, wenn man es kann. Wir haben eine ganze Reihe von afghanischen Staatsangehörigen in Deutschland, die kein Aufenthaltsrecht haben, und die wird man nicht alle auf einmal abschieben können. Also geht man anhand einer Priorisierung vor, und dabei spielt natürlich auch eine Rolle, ob jemand für die Sicherheit in Deutschland eine Gefahr darstellt oder ob es sich um eine Familie mit drei Kindern handelt. Aber grundsätzlich sind beide Gruppen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben, verpflichtet, das Land zu verlassen.

ZUSATZFRAGE: Bei Menschen, die abgeschoben werden, muss die Bundesregierung auch wissen, dass es einen sicheren Ort in einer sicheren Region in Afghanistan gibt, an den diese Menschen dann kommen können. Können Sie uns diese Region – eine ‑ in Afghanistan nennen, in der es für die Menschen sicher ist?

ALTER: Das ist alles Gegenstand der Lageeinschätzung, die innerhalb der Bundesregierung vorgenommen wird. Sie wissen, dass diese Lageeinschätzung, dieser Bericht, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Insofern kann ich daraus auch nicht zitieren.

ADEBAHR: Zum Büro in Masar-e Scharif: Ich kann leider keinen neuen Stand vermelden. Wir gehen davon aus, dass das Büro eröffnet werden wird, wenn die Lage es zulässt.

Ganz unabhängig davon können sich die Betroffenen jetzt, da in Kabul das Büro offen ist, auch landesweit an das Büro in Kabul wenden, zum Beispiel per Mail und natürlich auch per Telefon. Kabul steht auch für das gesamte Land Afghanistan zur Verfügung.

Angriff auf einen Öltanker vor der omanischen Küste

FRAGE JORDANS: Gibt es vonseiten der Bundesregierung Informationen zu dem angeblichen Drohnenangriff auf einen Öltanker vor der Küste Omans? Die USA, Israel und Großbritannien behaupten, der Iran stecke dahinter. Schließt sich Deutschland dieser Einschätzung an?

ADEBAHR (AA): Wir sind über diesen Angriff alarmiert, bei dem zwei Menschen ums Leben gekommen sind. Ein solcher Angriff ist ein Angriff auf die Sicherheit der Seewege, und wir verurteilen ihn in aller Deutlichkeit. Es ist aus unserer Sicht nun zunächst wichtig, die Hintergründe des Vorfalls aufzuklären und eben dafür zu sorgen, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommt. Wir stehen hinsichtlich des Vorfalls und seiner Hintergründe seit dem Wochenende in Kontakt mit unseren Partnern, und dabei geht es auch darum, zu klären oder zu beraten, welche diplomatische Schritte dazu beitragen können, solche Angriffe in Zukunft zu verhindern. Es ist im Moment so, dass die Aufklärung aus unserer Sicht jetzt das Wichtigste ist, und zum jetzigen Zeitpunkt können wir aus eigener Analyse heraus noch keine abschließende Einschätzung über die Urheberschaft vornehmen.

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