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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 20.12.2021

20.12.2021 - Artikel

Nord Stream 2

FRAGE: Herr Büchner, hat Nord Stream 2 für den Bundeskanzler eine geopolitische Dimension?

BÜCHNER (BReg): Der Bundeskanzler hat sich in den letzten Tagen und Wochen ja mehrfach zum Thema Nord Stream 2 geäußert und hat immer wieder betont, dass es sich bei Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben handelt, das weitgehend abgeschlossen ist. Es fehlt noch der Teilaspekt der Prüfung der Einhaltung europäischer Entflechtungsvorgaben. Das liegt jetzt in den Händen der Bundesnetzagentur, und das ist ‑ das haben wir, glaube ich, an dieser Stelle schon häufig betont ‑ ein Verwaltungsverfahren, das jetzt nach Recht und Gesetz abgeschlossen wird, und hat keine politische Dimension.

ZUSATZFRAGE: Er hat ja sicherlich auch das Interview mit dem Wirtschaftsminister am Wochenende gelesen bzw. davon gehört. Stimmt er mit der Haltung des Wirtschaftsministers überein, dass im Falle einer Invasion das Projekt gestoppt werden muss?

BÜCHNER: Ich werde hier nicht beginnen, Interviews einzelner Regierungsmitglieder zu kommentieren. Was ich sagen kann, ist, dass die Bundesregierung bei diesem Thema gemeinsam und geschlossen vorgehen wird.

WEFERS: Ich schließe eine Frage zu Nord Stream 2 von Daniel Brössler von der „SZ“ an, die sich an das Auswärtige Amt richtet: Ministerin Baerbock hat betont, dass Nord Stream 2 derzeit nicht genehmigt werden kann. Sieht die Ministerin das Verfahren ausschließlich bei der Bundesnetzagentur oder hält sie das für eine politische Frage, mit der sich auch noch die Bundesregierung wird beschäftigen müssen?

SASSE: Vielleicht erst zu den Äußerungen der Außenministerin selbst, auf die Herr Brössler eingeht: Sie hat sich im Laufe der vergangenen Woche mehrfach zum Thema Nord Stream 2 geäußert und hat ebenso, wie es Herr Büchner gerade getan hat, darauf hingewiesen, dass für Projekte wie Nord Stream 2 europäisches Energierecht gilt. Sie hat auch darauf verwiesen, dass es jetzt in dem Zertifizierungsverfahren genau um die Frage geht, dass hier europarechtliche Regulierungsvorgaben eingehalten werden. Auf diese Äußerungen kann ich an dieser Stelle verweisen.

FRAGE: Eine Frage an das Wirtschaftsministerium: Frau Ungrad, wird im Wirtschaftsministerium erwogen, die Versorgungssicherheitsanalyse für Nord Stream 2 im Zertifizierungsverfahren zu überprüfen?

UNGRAD (BMWi): National gibt es das Verfahren der Bundesnetzagentur, das ja schon angesprochen worden ist. Die Bundesnetzagentur entscheidet nach Recht und Gesetz. Die Frage, ob weitere Verfahren noch einmal überprüft werden, stellt sich derzeit nicht.

ZUSATZFRAGE: Das Wirtschaftsministerium muss juristisch betrachtet wohl diese Versorgungsanalyse im Zertifizierungsverfahren, die ja schon abgegeben wurde, ändern, wenn sich die Voraussetzungen für diese Analyse ändern, und die Voraussetzungen haben sich durch den Truppenaufmarsch geändert. Was sagen Sie dazu?

UNGRAD: Diese juristische Voraussetzung liegt mir nicht vor; ich weiß nicht, was Sie da ansprechen. Ich kann nur noch einmal sagen: Nord Stream 2 ist ein Vorhaben, das von Unternehmen geplant ist, aber es ist auch ein Projekt mit klaren geopolitischen Implikationen. Auch deshalb setzt sich die Bundesregierung auf Basis der deutsch-amerikanischen Erklärung von Juli 2021 für eine Verlängerung des Gastransits durch die Ukraine über 2024 hinaus ein.

Ich habe es schon angesprochen: National liegt das Verfahren bei der Bundesnetzagentur. Die Debatte um den Konflikt in der Ostukraine wurde im Europäischen Rat sehr klar geführt. Eine Eskalation in der Ostukraine wollen wir mit allen Kräften vermeiden. Es liegt jetzt aber an Russland. Jede weitere militärische Aggression wird nicht ohne Konsequenzen bleiben und hohe Kosten und Sanktionen zur Folge haben. Darüber wurde ja auch im Europäischen Rat sehr klar gesprochen.

FRAGE: Frau Ungrad, jetzt haben Sie gerade gesagt, dass das eine geopolitische Dimension habe, und der Stellvertretende Regierungssprecher hat jetzt gesagt, dass das keine politische Dimension habe. Was gilt denn jetzt?

UNGRAD: Für das Ministerium gilt das, was ich gerade gesagt habe.

ZUSATZFRAGE: Ist es denn rechtlich möglich, die Sicherheitsanalyse noch einmal zu revidieren, zurückzuziehen, zu ändern, an die Realität anzupassen?

UNGRAD: Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor.

ZUSATZFRAGE: Aber das kann man doch klären, das ist ja eine einfache Frage.

UNGRAD: Aber derzeit liegen mir dazu keine Erkenntnisse vor.

ZUSATZFRAGE: Können Sie das nachliefern?

UNGRAD: Ich kann das versuchen, ja.

FRAGE: Herr Büchner, das US-Repräsentantenhaus erwägt ja auch, verschärfte Sanktionen zu fordern. Es ist also offenkundig ein Thema, das den transatlantischen Partner politisch sehr bewegt. Kann ein Thema, das den transatlantischen Partner in den USA und Joe Biden bewegt, ein innenpolitisches Thema für die Bundesregierung sein?

BÜCHNER: Es ist ja bekannt, dass das Thema Gaslieferungen insgesamt ein Diskussionsthema ist. Deshalb gibt es da, finde ich, auch gar keinen Widerspruch zwischen dem, was die Kollegin vom Wirtschafts- und Klimaministerium gesagt hat, und dem, was der Bundeskanzler sagt. Was das Verfahren selbst angeht, möchte ich hier aber noch einmal betonen: Es handelt sich bei Nord Stream 2 um ein Projekt, an dem eine Vielzahl von Investorenunternehmen aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten und anderen Staaten beteiligt sind, und Bau und Betrieb von Nord Stream 2 unterliegen den geltenden Rechtsvorschriften wie zum Beispiel den Vorgaben der EU-Regulierung gemäß der im Mai 2019 geänderten EU-Gasrichtlinie. Bei der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 würde das transportierte Gas in die europäische Infrastruktur integriert. Die Bundesnetzagentur hat dieses Zertifizierungsverfahren vorläufig ausgesetzt. Das ist der Stand der Dinge. Dieses Zertifizierungsverfahren selbst ist keine politische Frage.

ZUSATZFRAGE: Ist die Haltung der Bundesregierung also, dass es einen Automatismus eines rechtlichen Prozesses gibt, oder wird man, wie Robert Habeck sagt, über Nord Stream 2 noch politisch reden müssen?

BÜCHNER: Ich habe Ihnen da jetzt, glaube ich, die Haltung des Bundeskanzlers und der Bundesregierung ausführlich erläutert.

SASSE (AA): Darf ich noch ganz kurz zu dem transatlantischen Element ergänzen, weil Sie das ausdrücklich angesprochen haben, Frau Küfner: Es ist natürlich so ‑ das haben wir hier ja immer wieder deutlich gemacht und das gilt auch für die neue Bundesregierung ‑, dass wir mit den Amerikanern selbstverständlich weiterhin in sehr, sehr engem Austausch zu diesen Fragen, die mit Nord Stream 2 zusammenhängen, stehen. Ich kann Ihnen sagen, dass die Außenministerin beispielsweise in Liverpool auch mit ihrem amerikanischen Kollegen Blinken zusammengetroffen ist und dort auch das Thema besprochen hat. Insofern sind uns selbstverständlich alle Argumente, die da auf amerikanischer Seite eine Rolle spielen, bekannt, und wir sprechen mit den Amerikanern darüber.

FRAGE: Herr Büchner, da das Zertifizierungsverfahren, wie Sie sagen, immanent unpolitisch ist, aber in einem hochpolitischen Kontext steht: Wenn nach Ende der Aussetzung die Zertifizierung genehmigt werden würde, würde das dann bedeuten, dass Nord Stream 2 auf jeden Fall in Betrieb genommen werden kann, oder obliegt das dann noch einmal einer politischen Gesamtbeurteilung, die die Genehmigung dann eben doch aus politischen Gründen nicht real werden lassen würde?

BÜCHNER: Ich verstehe Ihren Versuch, aber da die Frage viel „wenn“, „hätte“, „würde“ enthält, ziehe ich mich hier auf den guten Brauch zurück zu sagen: Das ist eine hypothetische Frage, die ich jetzt nicht beantworten möchte.

ZUSATZFRAGE: Ich stelle sie gerne konkret: Wenn das Zertifizierungsverfahren der Bundesnetzagentur positiv ausfällt, geht Nord Stream 2 dann in Betrieb?

BÜCHNER: Dazu wird sich die Bundesregierung äußern, wenn das so sein sollte. Vorher werden wir dazu keine Spekulationen anstellen.

Ukraine-Konflikt

FRAGE: An das Wirtschaftsministerium, aber auch an das Finanzministerium: Auf dem letzten EU-Gipfel wurde jetzt ja die mögliche Sanktionsliste gegen Russland diskutiert. Da war unter anderem auch die Rede davon, dass man im Falle einer Invasion von SWIFT abgekoppelt werden soll. Das ist ja eine Forderung der Amerikaner und das haben die Europäer auch diskutiert. Was für eine Auswirkung hätte das auf die Gasversorgung in Deutschland, und was für eine Auswirkung hätte das möglicherweise auch auf Nord Stream 2?

KOLBERG (BMF): Die Bundesregierung hat sich ja am Montag letzter Woche zu dem Thema Ukraine und Russland ausführlich geäußert; das war bekanntlich auch Thema auf dem Europäischen Rat. Derzeit laufen intensive diplomatische Bemühungen um eine Lösung des Konflikts, und das BMF wird einzelne Maßnahmen hier nicht kommentieren.

FRAGE: An Herrn Büchner und an Frau Sasse: Russland verlangt ja seinerseits auch Sicherheitsgarantien ‑ Stichwort NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Was könnte das aus Sicht der Bundesregierung sein, was ist da Ihre Haltung?

BÜCHNER (BReg): Bekannt ist ‑ das kann ich hier gern wiederholen ‑: Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kann nur politisch gelöst werden, und nicht militärisch. Die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine stehen nicht zur Disposition. Umso wichtiger sind jetzt ehrliche und nachhaltige Schritte von Russland zu einer Deeskalation. Hier wurde auch schon mehrfach gesagt, dass Deutschland und Frankreich bereit sind, das Normandie-Format wieder aufzunehmen. Wir hoffen und wünschen uns sehr, dass wir dort zu einer guten Lösung kommen können.

WEFERS (Vorsitz): Dann kann ich die Frage einer Kollegin anschließen, die sich auch auf die Sicherheitsgarantien und die russischen Vorschläge dazu bezieht: Bespricht Deutschland diese Vorschläge mit den USA auf bilateraler Ebene oder grundsätzlich mit Partnern und Verbündeten auf NATO- und EU-Ebene? Unterstützt Berlin eine Besprechung dieser Initiativen mit Russland auf NATO- oder EU-Ebene?

BÜCHNER: Ich kann gern noch einmal sagen, dass dieses Thema einer sozusagen politischen Lösung dieser Eskalation oder auch einer Verhinderung einer weiteren Eskalation im Interesse Deutschlands liegt und dass wir es sehr begrüßen würden, wenn auch Russland sich wieder an dem Normandie-Format beteiligen würde. Dort können alle Fragen besprochen werden, die sozusagen auch auf die vollständige Umsetzung des Minsker Prozesses hinauslaufen sollten. Weitere Details kann ich hierzu nicht hinzufügen. – Möchten Sie?

SASSE (AA): Ich kann nur noch einmal ‑ auch auf Ihre Frage, Herr Ratz, und natürlich auf die Frage von Frau Timofeeva eingehend ‑ ergänzen: Die Vorschläge, die Russland in der vergangenen Woche gemacht hat, hat das russische Außenministerium ja selbst veröffentlicht. Das heißt, der Inhalt ist klar. Herr Büchner hat sehr deutlich gemacht, und das ist die Position der Bundesregierung, dass es jetzt darum geht, diese Vorschläge der Russen, die auf dem Tisch liegen, natürlich in den etablierten Dialogformaten zu diskutieren. Nur die Vorschläge an sich können den Austausch mit Partnern und letztlich auch mit Russland also natürlich nicht ersetzen. Das heißt, wie Herr Büchner schon dargestellt hat, dass es im Moment letztlich darum geht, diese Gespräche, die wir jetzt mehrfach und auch in der vergangenen Woche schon erwähnt haben, wieder zu ermöglichen, den Dialog mit Russland zu führen und dann selbstverständlich auch inhaltliche Fragen zu diskutieren.

WEFERS: Ich habe noch eine Frage eines Kollegen dazu. Der fragt: Die litauische Regierung behauptet, dass sich die Regierungen von Litauen und Deutschland einig darüber sind, dass die Forderungen Russlands nicht akzeptabel sind. Können Sie das bestätigen?

SASSE: Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal betonen, dass wir die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen und die Russland selbst veröffentlicht hat, mit allen Partnern in der EU und in der NATO selbstverständlich diskutieren. Dazu gehört auch Litauen. Sie wissen, dass die Verteidigungsministerin ja gerade am Wochenende Litauen besucht hat. Zu diesem Dialogprozess, den wir führen, gehört natürlich auch, dass wir in diesen Gesprächen unseren eigenen Prinzipien treu bleiben, und für uns gilt natürlich die Unteilbarkeit der Sicherheit aller NATO-Mitglieder. Das hat natürlich auch gewisse Konsequenzen in Bezug auf das, was wir akzeptieren können oder nicht akzeptieren können. Aber, noch einmal, an dieser Stelle geht es jetzt darum, dass man im Gespräch mit Russland ist, auch im Gespräch über diese konkreten Vorschläge.

WEFERS: Dann habe ich noch eine Frage einer Kollegin, die nach einem Vorschlag fragt, den es gibt. Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland haben neulich mehrere ehemalige deutsche Botschafter bei der NATO und bei der OSZE sowie Militärs ‑ insgesamt rund 30 Personen ‑ eine hochrangige NATO-Russland-Sicherheitskonferenz in der Tradition des KSZE-Prozesses vorgeschlagen, möglicherweise für zwei Jahre. Gegenseitige Drohgebärden müssten dann für die Dauer der Konferenz eingefroren werden, so der Vorschlag. Was hält Bundeskanzler Scholz von solchen Vorschlägen? Auch der ehemalige Russlandbeauftragte Gernot Erler hat der Kollegin zufolge die Idee unterstützt.

BÜCHNER: Ich kann tatsächlich an dieser Stelle nur noch einmal sagen: Es gibt ein etabliertes Format, das Normandie-Format. Es gibt die Möglichkeit, dort Gespräche zu führen und alle Themen dort auch wieder aufzunehmen. Das ist im Moment das vorrangige Ziel der Bundesregierung und ihrer internationalen Partner.

FRAGE: Die Frage ginge an das Verteidigungsministerium. Verteidigungsministerin Lambrecht hat am Wochenende in einem Interview mit einer nicht ganz unbekannten deutschen Boulevardzeitung erklärt, es sei jetzt Zeit, Putin und sein Umfeld persönlich ins Visier zu nehmen. Jetzt hat der Ausdruck „ins Visier nehmen“ aus dem Munde einer Ministerin, die der Bundeswehr vorsteht, noch einmal eine ganz eigene Konnotation. Mich würde interessieren, mit welchem Kalkül sie diesen militärischen Terminus genutzt hat, explizit als Drohung gegen Putin und sein Ministerkabinett? Mich würde sozusagen das Kalkül dahinter interessieren, mit dieser Sprache zu agieren.

COLLATZ (BMVg): Die Ministerin hat im Gesamtkontext des Interviews ja deutlich gemacht, dass sie auch regierungsübergreifend feststellt, dass die Regierung Putins außenpolitisch aggressiv vorgeht. Sie hat sie als Aggressor bezeichnet und gesagt, dass es natürlich eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, diese aggressive Politik zu beantworten. Für den Geschäftsbereich der Verteidigung ‑ das hat sie auch deutlich gemacht ‑ gilt es natürlich, die Abschreckungsseite zu betonen und aufrecht zu erhalten und an der Seite unserer Partner insbesondere in den osteuropäischen Ländern zu stehen. Das hat sie getan, indem sie zunächst die Battlegroup der Enhanced Forward Presence besucht hat, um diese Botschaften zu unterstreichen. Sie ist Teil der Regierung und äußert sich natürlich zum einen zu ihrem Geschäftsbereich, aber auch übergreifend.

ZUSATZFRAGE: Herr Büchner, jetzt ist es ja keine Kleinigkeit, wenn der Verteidigungsminister bzw. die Verteidigungsministerin eines Landes mit militärischen Termini einen elementaren Wirtschafts- und Energiepartner und auch ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates verbal so bedroht. Da würde mich interessieren, auch eingedenk der zahlreichen Stimmen der SPD-Fraktion, die für verbale Abrüstung plädiert haben: War diese Aussage von Frau Lambrecht denn in dieser Form mit Herrn Scholz abgesprochen? Unterstützt Herr Scholz diese Forderung, Herrn Putin persönlich ins Visier zu nehmen?

BÜCHNER: Zunächst einmal möchte ich mir Ihre Bewertung dieser Äußerung hier so nicht zu eigen machen. Ich finde, dass sich das Verteidigungsministerium eben ganz gut zu dieser Frage geäußert hat. Ansonsten möchte ich hier gerne noch einmal betonen: Das erste und oberste Interesse Deutschlands ist es, die Situation sozusagen politisch zu lösen, und dazu ist es wichtig, dass Russland Schritte zur Deeskalation unternimmt. Russland hat Schritte zur Eskalation unternommen, und deshalb ist es jetzt sehr wünschenswert, dass Russland auch Schritte zur Deeskalation unternimmt.

ZUSATZ: Sie meinten, dass es jetzt an Russland sei, Schritte zur Deeskalation zu unternehmen. Es war jetzt gerade ein Thema, dass Russland ja ein Papier vorgelegt hat, in dem von gegenseitigem Verzicht auf Gewalt und stärkerer Dialogbetonung die Rede war. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sehen Sie dieses vorgelegte Papier nicht als ein deeskalierendes Element an.

BÜCHNER: Ich glaube, darüber haben wir Ihnen gerade auch schon Auskunft geben. Wir können dieses Papier wie auch alle anderen Vorschläge, die gemacht werden, im Rahmen des Normandie-Formats diskutieren und hoffen sehr, dass wir dann zu einer politischen Lösung der Situation in der Ostukraine und an der Grenze kommen werden.

Evakuierung von Ortskräften und sonstigen Schutzbedürftigen aus Afghanistan

FRAGE: Zu Ortskräften habe ich eine Frage an das AA und das BMI, aber vielleicht auch an das BMVg und das BMZ. Frau Baerbock hatte bei ihrem Amtsantritt gesagt, das Thema der Ortskräfte habe für sie Priorität. Das sei ein Schwerpunktthema der ersten Wochen. Vor allem habe ich die Frage, wie man die Zusammenarbeit mit dem BMI verbessern könnte. Was ist da nach zwei Wochen der neue Stand? Was wird die neue Regierung dort anders als die alte machen?

In dem Kontext eben auch an das BMZ und das BMVg: Gibt es da in Ihren Häusern mit dem Regierungswechsel ähnliche Vorsätze?

SASSE (AA): Herr Alter, wenn Sie gestatten, fange ich an. – Es ist natürlich richtig: Die Außenministerin hat noch am Tag ihrer Amtsübernahme darum gebeten, zu prüfen, welche Stellschrauben wir als Bundesregierung haben, um die laufende Evakuierung von Ortskräften und auch von sonstigen Schutzbedürftigen aus Afghanistan zu beschleunigen. Sie hat darüber seit ihrem Amtsantritt beispielsweise in den letzten Tagen mit der Innenministerin gesprochen. Beide sind sich einig, dass wir hier Fortschritte erreichen wollen. Herr Alter kann darauf vielleicht nachher selbst noch einmal für das Innenministerium eingehen.

Ich kann Ihnen aber natürlich sagen, dass der Fortschritt ‑ das muss ich an dieser Stelle auch sagen ‑ in ganz praktischer Art und Weise auch davon abhängig ist, welche Faktoren bei den Evakuierungen eine Rolle spielen, die wir tatsächlich nicht beeinflussen können. Dazu zähle ich unter anderem das Verhalten der Taliban. Sie wissen, dass die Ausstellung von Pässen bisher einen Engpass darstellte. Nun haben die Taliban angekündigt, sie würden dabei wieder Zugeständnisse machen wollen. Wir müssen natürlich sehen, wie sich das beispielsweise in der Praxis auswirkt. Es gibt also Faktoren außerhalb unserer Kontrolle. Aber die Faktoren, über die wir die Kontrolle haben ‑ das kann ich an der Stelle noch einmal wiederholen ‑, bemühen wir uns tatsächlich zu verbessern.

Zusätzlich ist ja auch im Koalitionsvertrag beispielsweise ein humanitäres Aufnahmeprogramm vorgesehen, das umgesetzt werden soll. Insofern gibt es da sehr praktische Ansätze nicht nur der Außenministerin, sondern insgesamt der Bundesregierung.

Was Ihre Frage danach angeht, was sich da inzwischen getan hat: Seit Amtsantritt sind ja noch nicht ganz so viele Tage vergangen, aber ich kann Ihnen sagen, dass die Bemühungen selbstverständlich der gesamten Bundesregierung weitergehen, Ortskräfte aus Afghanistan in Schutz zu bringen und natürlich auch sonstige Schutzbedürftige zu evakuieren. Diese Bemühungen hat es in der Vergangenheit gegeben. Die gibt es weiterhin. Die Ministerin will diese Bemühungen, wie gesagt, intensivieren. Wir verfolgen dabei als Bundesregierung den Ansatz, dass alle Ressorts zusammenarbeiten. Das heißt, wir arbeiten anhand konkreter Vorschläge wie dem Aufnahmeprogramm oder Charterflügen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, weiter daran, diese Evakuierung möglich zu machen.

ALTER: Ich kann zunächst einmal nicht bestätigen, dass sich die Zusammenarbeit zwischen BMI und AA verbessern müsste. Die beiden Ministerien haben seit Beginn der Evakuierung sehr gut miteinander zusammengearbeitet. Nur sind die Rahmenbedingungen eben ausgesprochen schwierig, und dabei muss man sozusagen schauen, welche Schritte man verantwortungsvoll gehen kann. Ich kann aber das bestätigen, was die Kollegin gerade gesagt hat, nämlich dass bereits in den letzten Wochen mehrere Gespräche stattgefunden haben, um noch weiter voranzukommen. Es ist ja auch bisher schon einiges erreicht worden. Seit August sind ja schon mehr als 10 000 Menschen nach Deutschland eingereist, davon mehr als die Hälfte Ortskräfte und Familienangehörige. Das ist immerhin etwas. Aber richtig ist auch: Wir sind noch nicht am Ende des Prozesses angekommen. Die beiden Ministerinnen reden darüber, was man tun kann, um das zu beschleunigen.

ZUSATZFRAGE: Es stimmt ja, dass es die äußeren Faktoren wie das gibt, was die Taliban machen. Dabei ist die Bundesregierung nicht alleine handelnd. Aber dann gibt es noch eine Frage. Es gibt viele Betroffene, die noch auf Antwort auf ihre Aufnahmeanträge, Rettungsanzeigen oder was auch immer warten. Können Sie schon sagen, bis wann diese Menschen mit Antworten der Bundesregierung rechnen können?

ALTER: Das ist ‑ zumindest aus Sicht des BMI ‑ immer ein bisschen schwierig. Sie stellen in den Raum, es gäbe viele Leute, die noch keine Antwort erhalten hätten. Das kann man in dieser Allgemeinheit kaum beantworten. Wir haben jedenfalls im BMI die Situation, dass diejenigen Anträge, die uns zur Entscheidung vorgelegt werden, in der Regel innerhalb weniger Arbeitstage beantwortet werden. Innerhalb weniger als einer Woche gibt es darüber also eine Entscheidung. Insofern müsste man sich die Fälle konkret anschauen. Das kann ich jetzt von hier aus nicht bewerten.

SASSE: Ich kann noch etwas zu dem Punkt ergänzen, der heute ja auch in den Medien eine Rolle gespielt hat, dem Punkt der Familienzusammenführungen. Auch da ist uns bewusst, dass es dabei einen Rückstau gibt, der unter anderem auch mit den Entwicklungen in Afghanistan in den letzten Monaten zu tun hat. Aber auch dabei sind wir wirklich mit Kräften darum bemüht, das Verfahren zu beschleunigen. Es gibt inzwischen beispielsweise die Möglichkeit, den Antrag auf Familiennachzug nicht nur an unserer Botschaft in Islamabad oder Neu-Delhi zu stellen, sondern an all unseren Auslandsvertretungen in der Region. Außerdem gibt es das sogenannte Family Assistance Programme der IOM. Das unterstützt Personen, die aus Afghanistan ausreisen konnten, dabei, den Visumsantrag vorzubereiten und auch einen Termin für die Visumsbeantragung an den jeweiligen Auslandsvertretungen vor Ort zu erhalten. Außerdem gibt es die klare Weisung an unsere Auslandsvertretungen, ihren Ermessensspielraum, den sie bei der Visavergabe haben, weitestgehend auszunutzen, gerade wenn es um Fragen von Sprachkenntnissen und andere für die Visavergabe entscheidende Faktoren geht.

WEFERS (Vorsitz): Ein Kollege fragt nach der Bemerkung, die Sie auch schon gemacht haben, dass die Taliban jetzt wieder Pässe ausstellen. Wie schätzen Sie die Situation ein, jetzt an einen Pass zu gelangen, ohne sich selbst zu gefährden? Welche diplomatischen Bemühungen zum Schutz dieser Personengruppen gibt es derzeit?

SASSE: Uns ist natürlich bewusst, und das haben wir hier an dieser Stelle in der Vergangenheit auch immer wieder deutlich gemacht, dass die Passbeantragung und auch die Passausstellung Nadelöhre bei den Evakuierungen sind und dass das natürlich gerade für gefährdete Personen ein Element ist, das sie besonders in Gefahr bringt. Gleichzeitig ist es so, dass wir an Lösungen ganz praktischer Art arbeiten, zum Beispiel daran, dass wir mit einigen Nachbarländern Afghanistans darüber sprechen, ob vielleicht auch andere Ersatzpapiere akzeptiert werden. Es geht insgesamt auch darum, dass wir mit den Taliban darüber sprechen, dieses konkrete Problem der Passausstellung eben zu beheben. Die Gespräche haben ja einen gewissen Erfolg erzielt, zumindest wenn man den Angaben der Taliban von heute Glauben schenken kann. Auch dabei hängt es natürlich noch davon ab, ob sich das auch in der Praxis bewährt. Aber es gibt diese Ansätze, und wir sind weiterhin darum bemüht, diese Ansätze auf diplomatischem Weg konsequent weiter auszubauen.

Kürzung der Mittel für die Förderung des Deutschunterrichts in polnischen Schulen

WEFERS (Vorsitz): Ein Kollege fragt. Das polnische Parlament hat letzte Woche eine Gesetzesänderung verabschiedet, die die staatliche Förderung für die deutsche Minderheit kürzt. Es handelt sich um Mittel für die Förderung des Deutschunterrichts in den Schulen. Das ist offenbar eine politische Entscheidung der polnischen Seite. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen? Hat die Regierung in Berlin vor, darauf irgendwie zu antworten?

SASSE (AA): Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur sagen, dass wir die Maßnahmen zur Kenntnis genommen haben. Sowohl der Bundeskanzler als auch die Außenministerin waren ja bereits in Warschau und haben dort Gespräche geführt. In diesen Gesprächen wurde ‑ so weit kann ich, glaube ich, an dieser Stelle gehen ‑ unter anderem dieses Thema angesprochen.

Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen

FRAGE: Meine Frage richtet sich an das Auswärtige Amt und das Justizministerium zum Thema RT-Lizenz. Sieht sich denn die Bundesregierung noch an das Europäische Übereinkommen zum grenzüberschreitenden Fernsehen ECTT gebunden?

Wie schätzen das Auswärtige Amt und das Justizministerium die Gültigkeit der Lizenzvergabe Serbiens für einen RT-TV-Sender in deutscher Sprache mit Hauptproduktions- und Sendestandort Moskau ein?

SASSE (AA): Ich kann an dieser Stelle dazu nichts sagen. Ich würde Ihnen gerne die Antwort nachreichen.

ZIMMERMANN (BMJ): Meines Wissens liegt das Thema nicht in unserem federführenden Zuständigkeitsbereich.

ZUSATZFRAGE: Fühlt sich ein Ministerium in der Causa zuständig?

WEFERS (Vorsitz): Ich glaube, das Auswärtige Amt hat sich ja schon zuständig gefühlt.

SASSE: Wenn wir zu dem Thema etwas nachzureichen haben, werden wir das tun. Das werden wir dann selbstverständlich abgestimmt als Bundesregierung tun.

Politische Häftlinge in Ägypten

WEFERS (Vorsitz): Es gibt noch eine Frage von William Glucroft von der „Washington Post“ zu Ägypten: Haben Sie eine weitere Stellungnahme zu dem Prozess bzw. Urteil der politischen Häftlinge?

SASSE (AA): Wir haben dazu in der vergangenen Woche eine Sprechererklärung veröffentlicht. Auf die muss ich an dieser Stelle verweisen.

WEFERS: Es ist hier auch kein weiterer Kontext erwähnt.

SASSE: Es geht um den Fall al-Baqer.

Stimmverhalten Deutschlands in der UN-Vollversammlung

FRAGE: Am 16. Dezember gab es eine Abstimmung bei der UN-Vollversammlung. Mit überwältigender Mehrheit wurde eine UN-Resolution gegen die Glorifizierung von Nazismus und Neonazismus angenommen. Lediglich zwei Länder haben dagegen gestimmt: USA und die Ukraine. Deutschland hat sich allerdings enthalten. Mich würde interessieren, was die Beweggründe waren, auch angesichts einer gewissen historischen Pfadabhängigkeit dieses Landes in Bezug auf den Inhalt dieser Resolution-

SASSE (AA): Unser Stimmverhalten in den Vereinten Nationen kommentieren wir, wie immer an dieser Stelle, nicht.

ZUSATZFRAGE: Grundsätzlich nicht? Das war, glaube ich, anders. Grundsätzlich wird hier nicht das Stimmverhalten der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen besprochen?

SASSE: Ich kann Ihnen an dieser Stelle sagen, dass wir das Stimmverhalten in den Vereinten Nationen nicht kommentieren.

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