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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 19.04.2023

19.04.2023 - Artikel

Innenpolitische Entwicklung in Tunesien

VORS. DETJEN: [...] Dann hat Herr Büchner eine Stellungnahme zu Tunesien mitgebracht, wenn das richtig in Erinnerung habe.

BÜCHNER (BReg): Das ist richtig, und zwar zu den neuen Verhaftungen von Oppositionellen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Tunesien möchte ich im Namen der Bundesregierung folgende Erklärung abgeben:

Die Bundesregierung beobachtet mit größter Sorge die innenpolitische Entwicklung in Tunesien. Wir sehen die Erosion demokratischer Strukturen und die immer weitere Einengung zivilgesellschaftlichen Engagements. Die nun gestern erfolgte Festnahme von Rashed Ghannouchi, dem Vorsitzenden der tunesischen Partei Ennahda, reiht sich in eine besorgniserregende Serie von Verhaftungen von Vertretern der tunesischen Opposition, Journalistinnen und Aktivisten in diesem Jahr ein. All das, was das tunesische Volk 2011 [Jahreszahl korrigiert] an demokratischen Rechten und Freiheiten mutig erkämpft hat, steht nun offensichtlich zur Disposition. Wir appellieren erneut dringend an die tunesische Regierung, allgemeine Rechtsstaatsprinzipien, das Recht auf ein faires Verfahren und die Meinungsfreiheit einzuhalten. Politischer Pluralismus muss in Tunesien weiter möglich sein.

FRAGE: Deutschland und die EU kooperieren mit genau dieser Regierung in Sachen Migration. Kann das alles beibehalten bleiben?

BÜCHNER: Selbstverständlich müssen wir weiter auch mit Staaten, in denen es schwierig ist, kooperieren. Aber diese Erklärung steht für sich und bezieht sich auf rechtsstaatliche Probleme in Tunesien.

ZUSATZFRAGE: Aber Migrationspolitik hat ja auch etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Wenn Sie eine Regierung kritisieren, für die Rechtsstaatlichkeit immer weniger wichtig ist, dann müsste man vielleicht auch Migrationsabkommen überdenken.

BÜCHNER: Im Moment gibt es dazu keinen neuen Stand.

FRAGE: Herr Büchner, haben die von Ihnen geäußerten Sorgen irgendwelche Auswirkungen auf die Kooperation mit Tunesien, vielleicht abgesehen vom Thema Migration? Wird der Botschafter oder die Botschafterin einbestellt?

BÜCHNER: Ich weiß nicht, ob das Auswärtige Amt dazu etwas ergänzen will.

SASSE (AA): Über eine Einbestellung kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht berichten. Ich kann Ihnen aber im Namen der gesamten Bundesregierung ergänzend zu dem, was Herr Büchner gesagt hat, sagen, dass wir natürlich diese Entwicklung gegenüber der tunesischen Regierung sehr klar ansprechen. Wir sind weiterhin als Bundesregierung gemeinsam mit unseren internationalen Partnern der Ansicht – das hat Herr Büchner schon zum Ausdruck gebracht ‑, dass Tunesien einen inklusiven Dialogprozess braucht. Diese Schritte, wie sie Herr Büchner gerade geschildert hat, schränken natürlich Freiräume ein und gehen ganz klar in die falsche Richtung. Das sprechen wir gegenüber der tunesischen Regierung an. Wir sprechen ebenso mit der tunesischen Regierung weiterhin über Fragen der Migration, auf die, Sie Herr Jung eingegangen waren.

Gleichzeitig muss man aber auch sehen: Die Realität ist, dass Tunesien mit einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage konfrontiert ist. Wir nehmen durchaus auch die Sorgen der tunesischen Zivilbevölkerung zur Kenntnis. Wir wollen natürlich die tunesische Bevölkerung in dieser Lage nicht ganz alleine lassen. Das heißt, auch darauf zielt unser Dialog ab.

Lage in Sudan

BÜCHNER (BReg): Die Bundesregierung verurteilt die Kämpfe im Sudan auf das Schärfste. Wir sind entsetzt über das Ausmaß der Gewalt, insbesondere gegenüber Zivilistinnen und Zivilisten, Diplomatinnen und Diplomaten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen. Im Vordergrund steht nun der Schutz von Menschenleben und eine Deeskalation der Lage. Es ist wichtig, dass sich die Konfliktparteien auf eine sofortige Waffenruhe einigen und diese auch einhalten. Wir unterstützen daher die internationalen Bemühungen, um die Situation zu deeskalieren und eine dringend benötigte Waffenruhe herbeizuführen, insbesondere die Initiativen der Afrikanischen Union, der Regionalorganisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development), aber auch die Mission der Vereinten Nationen im Sudan unter Leitung des VN-Sonderbeauftragten Volker Perthes.

Die Konfliktparteien sollten sich entsprechend ihrer Zusagen nachhaltig zu einer Rückkehr zu einer zivilen Regierung Sudans bekennen. Die Menschen im Sudan kämpfen seit Jahren unter Einsatz ihres Lebens für die Rückkehr zu einer demokratischen Ordnung. Ihr Einsatz verdient unsere Anerkennung und unseren Rückhalt.

SASSE (AA): Ich kann, wenn Sie möchten, zur Lage und zu dem ergänzen, was wir in dieser Lage tun. Herr Büchner hat schon deutlich gemacht, was die Position der Bundesregierung ist.

Zur Lage vielleicht noch einmal sehr klar: Sie haben das über das Wochenende verfolgt. Wir hatten an dieser Stelle schon am Montag die Lage skizziert und möchten Ihnen noch einmal sozusagen als Update heute schildern, dass die Gefechte weiter landesweit andauern. Die Kampfhandlungen zwischen den rivalisierenden Gruppen und Militärs sind sehr schwer. Es gibt Plünderungen im ganzen Land, Schüsse und Explosionen nicht nur in Khartum, sondern, wie gesagt, auch in anderen Städten Sudans. Insgesamt ist es eine sehr, sehr unübersichtliche und gefährliche Lage für alle Beteiligten. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Toten aktuell auf 200 und weit über 1000 Verletzte. All das macht, glaube ich, deutlich, wie ernst tatsächlich die Lage ist, in der wir uns hier bewegen und in der wir Optionen prüfen und handeln.

Hinzu kommt natürlich auch, dass die Versorgungslage für die Bevölkerung vor Ort und auch für die ausländischen Staatsangehörigen, die sich vor Ort befinden, immer schwieriger wird. Das betrifft die Wasser- und Stromversorgung ebenso wie die gesamte Versorgungslage und auch den Zugang zu Telekommunikation.

Insgesamt bemühen wir uns in dieser schwierigen Lage seit dem vergangenen Wochenende – das hatte ich sehr deutlich gemacht ‑, alle Kräfte zu bündeln. Seit dem Wochenende tagt täglich ein Krisenstab, in dem die gesamte Bundesregierung vertreten ist. Er tagt im Auswärtigen Amt, ist aber ein Krisenstab der Bundesregierung. In diesen Krisenstäben stimmen wir uns als Bundesregierung sehr eng über die Lage ab. Die Kolleginnen und Kollegen der Botschaft Khartum sind in diesen Krisenstäben zugeschaltet und berichten über ihre Erkenntnisse von vor Ort.

Hinzukommt natürlich, dass wir als Bundesregierung in diesen Krisenstäben sehr klar erörtern, welche Optionen sich für uns in der aktuellen Lage stellen, welche Optionen machbar sind. Ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass sich eine solche Bewertung der Lage natürlich immer den aktuellen Verhältnissen anpassen muss. Das heißt, es gibt Optionen, die durchdacht, geprüft werden, die sich möglicherweise aber aufgrund von Entwicklungen vor Ort ‑ wie gesagt, die Lage ist sehr unübersichtlich und sehr volatil ‑ kurzfristig wieder ändern können. Darauf reagieren wir als Bundesregierung selbstverständlich. Aber, wie gesagt, wir reagieren nicht nur, sondern wir stehen ganz aktiv mit den deutschen Staatsangehörigen, die vor Ort sind, im Kontakt.

Ich hatte bereits am Montag über die Registrierungsmöglichkeit berichtet, die es über die Krisenvorsorgeliste für Deutsche im Ausland gibt. Die Deutschen, die sich auf dieser Liste registriert haben, werden ganz konkret kontaktiert, sozusagen abtelefoniert und über die Lage informiert. Sie sind aufgefordert, vorerst an einem sicheren Ort zu bleiben.

Es gibt natürlich seit dem Wochenende eine Reisewarnung für Sudan. Darüber hatten wir am Montag schon berichtet.

Wir werden Sie natürlich ‑ das kann ich an dieser Stelle versichern ‑ als Bundesregierung weiterhin über alle Entwicklungen und Maßnahmen der Bundesregierung informiert halten. Ich muss Sie aber gleichzeitig an dieser Stelle ausdrücklich um Verständnis bitten, dass wir das nicht immer sozusagen im Minutentakt tun können, schon allein, um die Beteiligten nicht zu gefährden. Es werden Optionen geprüft, die mit sehr hohen Sicherheitsrisiken verbunden sind. Vor diesem Hintergrund gibt es eben den Krisenstab. Es gibt die Optionen, die dort im Krisenstab beraten und teilweise erst hinter den Kulissen umgesetzt werden, bevor wir darüber berichten können.

FRAGE: Frau Sasse, Sie haben es angedeutet. Können Sie bestätigen, dass es einen Plan gab, zumindest einige deutsche Staatsbürger aus dem Sudan zu evakuieren und dass diese militärische Operation abgebrochen wurde, wie der „SPIEGEL“ berichtet?

Wird das irgendwie europäisch mit Partnerländern koordiniert? Vielleicht auch Herr Collatz.

SASSE: Ich greife Ihre zweite Frage zuerst auf. Das ist ein Punkt, den ich noch nicht erwähnt hatte. Selbstverständlich stehen wir in einem sehr engen Austausch mit unseren internationalen Partnern und stimmen alle Bemühungen und Optionen mit den Partnern ab. Herr Büchner hatte bereits erwähnt, mit welchen Akteuren wir im Gespräch sind. Weitere Akteure sind natürlich diejenigen Länder, die in der Region eine große Rolle spielen und auch möglicherweise direkt Einfluss auf die Konfliktparteien haben. Dann stehen wir natürlich auch im Kontakt mit all unseren europäischen und internationalen Partnern, seien es die Franzosen, Briten, Amerikaner, verschiedenste Partner, mit denen wir unsere Bemühungen abstimmen. Sie wissen, dass wir als Bundesregierung der Fürsorge für deutsche Staatsangehörige im Ausland verpflichtet sind. Aber unsere Bemühungen umfassen natürlich auch immer Staatsangehörige anderer Länder.

Was die Frage nach dem konkreten Pressebericht angeht, kann ich Ihnen an dieser Stelle nur „unter eins“ sagen, dass, wie gesagt, alle Optionen im Krisenstab diskutiert, geprüft und durchdacht werden und sich natürlich nach einer Machbarkeit im konkreten Fall richten.

Vielleicht möchte Herr Collatz noch „unter eins“ ergänzen. Ansonsten würden wir vorschlagen, noch „unter drei“ ein paar Erläuterungen zu geben.

COLLATZ (BMVg): Eine kleine Ergänzung vorweg: Sie haben ja ‑ danke, Frau Sasse! ‑ perfekt dargestellt, wie sich die Lage vor Ort darstellt. Sie haben auch darauf hingewiesen, wie sich die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung darstellt. Ich würde das gerne mit dem verknüpfen, was ich zuvor schon in einer Regierungspressekonferenz gesagt habe, dass die Bundesrepublik Deutschland ständig über einsatzbereite spezialisierte Kräfte verfügt, die sich auf solche Dinge vorbereiten. Das ist stehendes Verfahren und wird auch regelmäßig zusammen mit Kräften des Auswärtigen Dienstes in Übungen geübt, sodass die Bundeswehr natürlich, wenn der Bedarf da ist und wir gebraucht werden, im Rahmen der nationalen Krisenvorsorge für so etwas bereitsteht. Ich bitte aber um Ihr Verständnis, dass ich hier „unter eins“ und zum Zweck Ihrer Veröffentlichung keine Details zu Operationen nennen kann. Wir können aber gerne „unter drei“ gehen.

VORS. DETJEN: Dann tun wir das und gehen „unter drei“. Das heißt, dass das, was jetzt folgt, vertrauliche Informationen sind, die nach den bei uns herrschenden Regeln weder ohne noch entsprechend mit Quellenabgabe nicht zitierfähig sind. Die Kameras werden normalerweise weggedreht, damit auch für die Gäste auf dem Podium klar ist, dass sie jetzt nicht aufgenommen werden. In der Zeit, in der ich gesprochen habe, sind auch die Tonaufzeichnungen beendet worden, sodass wir jetzt für die Anwesenden „unter drei“ sind.

[…]

VORS. DETJEN: […] Wir sind also wieder „unter eins“. Es gibt noch einmal kurz abschließende Fragen zum Thema Sudan, und dann wechseln wir das Thema.

FRAGE: Frau Sasse, Herr Collatz, es gibt Berichte, dass nicht nur in der Botschaft im Sudan die Nahrungs- und Wasservorräte für Deutsche schwinden. Können Sie das bestätigen?

SASSE: Ich darf vielleicht noch einmal darauf verweisen, dass die Kämpfe seit Samstag andauern. Wir befinden uns also am Tag fünf dieser Kämpfe. Seit Beginn der Kämpfe haben sich die Bevölkerung und auch betroffene deutsche Staatsangehörige in Sudan an sichere Orte begeben müssen, halten sich seitdem an sicheren Orten auf und sind auch gebeten, das weiter zu tun. Das bedeutet natürlich zwangsläufig, dass an diesen sicheren Orten möglicherweise Versorgungsengpässe auftauchen. Ich hatte eben in einem anderen Zusammenhang deutlich gemacht, dass wir uns eine Feuerpause erhofft hätten, eine Waffenruhe erhofft hätten ‑ auch deswegen, weil eine solche Feuerpause natürlich ermöglichen würde, nicht nur Zivilisten und ausländische Staatsangehörige in Sicherheit zu bringen, sondern auch die Menschen im Land zum Beispiel mit Wasser, Nahrung und Treibstoff zu versorgen.

Abgesehen davon ist Sudan bzw. die Bevölkerung in Sudan natürlich auch weiterhin in sehr großem Ausmaß auf humanitäre Hilfe und auf Hilfslieferungen aus dem Ausland angewiesen. Dazu haben Sie ja die Meldung der letzten Tage des World Food Programme verfolgen können.

FRAGE: Frau Sasse, es drängt sich ein bisschen der Eindruck auf, dass das Auswärtige Amt von der Gewalttätigkeit und dem Tempo der Entwicklung überrascht wurde. Gab es keine Vorwarnung über die üblichen Quellen, über die Sie verfügen?

Direkt dazu eine Zusatzfrage: Wie sehen Sie das als Parallele auch zur Entwicklung in Afghanistan?

SASSE: Zu Ihrer zweiten Frage: Wir haben in diesem Zusammenhang bei verschiedensten Konflikten immer wieder deutlich gemacht, dass es sich verbietet, Parallelen zu ziehen. Jeder Konflikt ist ein Konflikt, den man individuell betrachten muss. Das gilt natürlich auch für die Lage in Sudan.

Was Ihren Eindruck angeht, wir seien überrascht worden, so kann ich den ausdrücklich nicht bestätigen ‑ und zwar schon deswegen nicht, weil die Konfliktparteien vereinbart hatten, dass sie beispielsweise die Milizen in die ordentlichen Streitkräfte eingliedern würden, und sich auf eine Übergabe der Macht an eine zivile Regierung verständigt hatten. Das alles hat zwar dazu beigetragen, dass man sich mit den Konfliktparteien in einem gewissen diplomatischen Rahmen bewegt hat. Gleichzeitig haben wir uns natürlich nie Illusionen hingegeben, da es in den vergangenen Jahren ja immer Unruhen im Sudan gegeben hat, Putsche im Sudan gegeben hat und sich die Machtverhältnisse dort immer wieder geändert haben. Vor diesem Hintergrund haben wir die Lage dort natürlich auch weiterhin sehr eng verfolgt und sind nicht von den Ereignissen, wie Sie es formuliert haben, überrascht worden.

Was uns allerdings überrascht hat und auch sehr besorgt macht, ist die Intensität der Kämpfe, die Intensität der Kampfhandlungen und die Ausbreitung oder das Ausmaß der Gefechte. Damit gehen wir im Moment um. Der Krisenstab tagt, wie gesagt, seit Samstag jeden Tag, und wir ergreifen in dieser sehr, sehr schwierigen Situation alle erforderlichen Maßnahmen.

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