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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 17.05.2023

17.05.2023 - Artikel

Besuch des Staatspräsidenten der Republik Zypern

FRAGE: Der zypriotische Präsident, Herr Nikos Christodoulidis, sucht eine europäische Vermittlung zur Zypernfrage. Die Frage ist: Kann Deutschland oder eine Persönlichkeit aus Deutschland diese Rolle übernehmen?

HOFFMANN (BReg): Ich kann jetzt nicht sagen, worum es in diesen Gesprächen gehen wird und ob das auch die Frage sein wird oder ob das das Anliegen sein wird, das an den Bundeskanzler herangetragen wird. Grundsätzlich setzt Deutschland sich ja schon sehr lange dafür ein, dass dieser Konflikt beigelegt wird. ‑ Ich weiß nicht, ob der Kollege vom Auswärtigen Amt dazu noch ergänzen will.

BURGER (AA): Ich glaube, das ist genau richtig: Deutschland ist da schon sehr lange engagiert und bleibt da natürlich auch engagiert. In welcher Form die zyprische Seite Wünsche an Deutschland herantragen möchte, werden wir abwarten.

FRAGE: Ist denn die deutsche Haltung eine Ein-Insel-Lösung?

BURGER: Die deutsche Haltung ist die, die wir hier immer vertreten haben; daran hat sich überhaupt nichts geändert.

ZUSATZFRAGE: Welche ist das? Ein Zypern oder zwei Zypern?

BURGER: Wie wir das genau formuliere, reiche ich Ihnen gerne nach. Wir haben aber immer die Bemühungen der Vereinten Nationen für eine Lösung der Zypernfrage unterstützt. Eine von anderen Seiten propagierte Zweistaatenlösung lehnen wir jedenfalls ab.

[…]

BURGER: Sie hatten mich nach der Position der Bundesregierung zur Zypernfrage gefragt. Ich hatte Ihnen dazu ja gesagt: Wir lehnen eine Zweistaatenlösung ab, und für uns ist der von den Vereinten Nationen geleitete Prozess zur Lösung maßgeblich.

Ich kann Ihnen das jetzt noch einmal ein bisschen weiter ausbuchstabieren, weil meine Kolleginnen und Kollegen mir freundlicherweise noch einige Details geschickt haben. Es gibt also durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen festgelegte Parameter für die Lösung der Zypernfrage. Die beinhalten im Wesentlichen, dass es sich um eine bizonale, bikommunale Föderation mit politischer Gleichberechtigung handeln soll. Das ist in dieser Form zum ersten Mal in der Resolution 716 des Sicherheitsrats aus dem Jahr 1991 formuliert worden. Es gibt aber auch sechs vorangegangene Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zur Zypernfrage, auf denen diese Resolution aufbaut. Diese Position ist vom Sicherheitsrat zum letzten Mal dieses Jahr in Resolution 2674 bestätigt worden. Auch dort ist die Rede von einem “settlement based on a bicommunal, bizonal federation with political equality”.

Gespräche der Bundesregierung über Migrations­abkommen/Lage in Irak

FRAGE: An das BMI: Es gibt Medienberichte, wonach die Bundesregierung mit dem Irak ein sogenanntes Migrationsabkommen geschlossen habe. Können Sie das bestätigen?

KALL (BMI): Nein die Berichte können wir nicht bestätigen. Die Bundesregierung bzw. Herr Stamp als der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen ist mit verschiedenen Staaten in Gesprächen über eine vertiefte Migrationszusammenarbeit und über den Abschluss von Migrationsabkommen. Zu Einzelheiten dieser Gespräche, die zum Teil auch noch in einem frühen Stadium sind, können wir uns nicht äußern.

ZUSATZFRAGE: An das Auswärtige Amt: Wie bewerten Sie denn die Lage? Ist der Irak sicher genug, um Menschen dorthin zurückzuführen? Es gab im vergangenen Jahr 77 Rückführungen, aber es gibt wesentlich mehr Menschen, die ausreisepflichtig wären. Wie schätzen Sie die Lage im Irak ein?

BURGER (AA): Es ist jetzt, ehrlich gesagt, schwierig, das so sehr pauschal zu beantworten; denn gerade bei der Frage, ob es sicher ist, Menschen dorthin zurückzuführen, spielen natürlich immer die Umstände des Einzelfalls eine ganz entscheidende Rolle. Es gibt im Irak sehr große Unterschiede in der Sicherheitslage zwischen verschiedenen Regionen des Landes, und natürlich spielt für die Frage, ob jemand dort vor Ort sicher ist, auch seine individuelle Situation eine ganz entscheidende Rolle.

Deswegen ist das auch ein Thema, zu dem sich das Auswärtige Amt in aller Regel nicht pauschal mit Bewertungen der Sicherheitslage äußert, wenn es um die Frage geht: Ist es sicher, in Land X zurückzuführen oder nicht? Da gibt es vielmehr sehr differenzierte Berichte, die sogenannten Asyllageberichte, die das Auswärtige Amt gemeinsam mit seinen Auslandsvertretungen erstellt, wobei eben auf solche Fragen differenziert nach verschiedenen Personengruppen und nach individuellen Möglichkeiten, innerhalb des Landes Fluchtalternativen zu finden, eingegangen wird. Diese Berichte stellen wir vertraulich den inländischen Behörden, die im Asylverfahren beteiligt sind, und den Gerichten, die über diese Fragen zu entscheiden haben, zur Verfügung. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass wir in dieser Pauschalität dazu keine Aussagen treffen können.

Ich sage jetzt noch dazu, warum wir diese Berichte vertraulich schreiben: Das tun wir deshalb, weil wir nicht, wie wir das sonst in Veröffentlichungen des Auswärtigen Amts über die Situation in anderen Ländern der Fall wäre, politisch Rücksicht nehmen müssten, dass wir vielleicht der Gastregierung nichts Unangenehmes sagen möchten; vielmehr müssen diese Berichte so geschrieben sein, dass darin für die Gerichte und für die Asylbehörden, die diese Entscheidungen zu treffen haben, auch klare Hinweise auf Missstände zu finden sind. Deswegen sind diese Berichte vertraulich eingestuft und stehen eben nur diesen Behörden zur Verfügung.

FRAGE: Ich habe hierzu eine Rückfrage an das BMI: Trifft es zu, dass es Verhandlungen mit dem Irak gibt, und wenn ja, was sind Inhalte dieser Verhandlungen?

KALL: Noch einmal: Herr Stamp als der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen ist mit verschiedenen Staaten im Gespräch. Deswegen kann ich mich zu einzelnen Staaten, zu denen er sich auch noch nicht öffentlich geäußert hat, hier auch nicht äußern. Zu anderen Staaten, die zum Beispiel eine EU-Beitrittsperspektive haben ‑ Georgien, Moldau ‑, hat sich Herr Stamp geäußert. Seine Aufgabe ist es aber natürlich, jetzt mit verschiedenen Staaten Gespräche zu führen ‑ einerseits darüber, wie man irreguläre Migration begrenz, gleichzeitig aber auch darüber, wie man qualifizierte, legale Migration beispielsweise in den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht. Das sind ja die zwei Seiten jedes Migrationsabkommens, das wir schließen wollen. Wenn solche Gespräche, wie gesagt, in einem frühen Stadium sind, dann können wir uns da zu einzelnen Staaten nicht äußern.

FRAGE: Herr Burger, ich habe das noch nicht ganz verstanden. Sie haben gerade von einem sehr differenzierten Lagebild innerhalb des Iraks für unterschiedlichste Personenkreise gesprochen. Jetzt wird gleichzeitig offenkundig versucht, ein Abkommen mit dem Irak zu erzielen, um Rückführungen zu vereinfachen respektive zu ermöglichen.

KALL: Was ich ausdrücklich nicht bestätigt habe.

FRAGE: Okay, aber es wird anscheinend versucht; sagen wir es einmal so. ‑ Ich bekomme das noch nicht ganz zusammen. Wenn die Situation so diffizil ist, je nachdem, auf welche Kreise und welche Personengruppen man schaut, was könnte so ein Abkommen dann überhaupt leisten? Gibt es dafür Präzedenzfälle bei anderen Staaten, bei denen es ähnlich diffizil ist, wo solche Abkommen etwas ermöglicht haben?

BURGER: Ich versuche jetzt einmal ganz abstrakt und auf gar kein besonderes Land der Welt bezogen zu sprechen ‑ Herr Kall möge mir widersprechen, wenn ich Unsinn erzähle, weil ich jetzt gerade sehr frei versuche, das einfach anhand meiner eigenen Erfahrung zu erklären.

Grundsätzlich ist es ja so, dass jedes Land der Welt völkerrechtlich verpflichtet ist, seine eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen. Das heißt, wenn es Menschen gibt, die aus einem bestimmten Land kommen, die aus Deutschland ausreisepflichtig sind, dann haben wir als Deutschland im Prinzip einen Anspruch darauf, dass dieses Land auch sagt: Diese Person darf einreisen.

Völlig getrennt davon zu betrachten ist natürlich die Frage, ob es aufgrund der Schutzstandards, die in Deutschland gelten, verboten ist, Menschen in ein Land abzuschieben, weil ihnen dort beispielsweise die Todesstrafe oder Folter droht. Da muss natürlich im Einzelfall geprüft werden: Ist es nach unseren deutschen Rechtsstandards, nach den völkerrechtlichen Schutzstandards, überhaupt erlaubt, jemanden in dieses Land zu schicken?

Davon getrennt ist aber die Frage: Ist das Land, wenn wir entschieden haben, die Person soll dorthin zurück, dann auch bereit, diese Person aufzunehmen? Insofern kann man sich, glaube ich, durchaus eine Situation vorstellen, in der es in einem Land, sagen wir einmal, keine allgemein lebensbedrohlichen Umstände gibt, aber in der eine bestimmte Personengruppe vielleicht trotzdem staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung ausgesetzt ist. Insofern kann es durchaus eine Situation geben, in der man ein Interesse daran hat, mit der Regierung eine Vereinbarung darüber zu treffen, Menschen eben auch zurückzunehmen, wenn sie ausreisepflichtig sind, und trotzdem können Behörden im Einzelfall zu dem Schluss kommen: Diese eine Person darf aber nicht abgeschoben werden, weil dieser einen Person vor Ort wirklich Unheil drohen würde.

Das ist, glaube ich, global gesehen gar keine so ungewöhnliche Situation oder unübliche Situation, denn es gibt viele Länder auf der Welt, in denen nicht jeder Mensch täglich an Leib und Leben bedroht ist, aber in denen einzelne Personengruppen aufgrund ihres politischen Engagements, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu religiösen, politischen, ethnischen, sexuellen Minderheiten besonders bedroht sind. Da wird das immer in diesen zwei unterschiedlichen Schritten zu bewerten sein.

FRAGE: Herr Kall, warum ist Irak sozusagen überhaupt ein Thema?

Können Sie einmal sagen, wie viele irakische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ausreisepflichtig sind und wie viele von denen geduldet werden?

KALL: Ich denke, dass diese Zahlen aus den BAMF-Statistiken hervorgehen. Die reichen wir Ihnen gerne nach.

ZUSATZFRAGE: Werden wir es erfahren, wenn es ein sogenanntes Migrationsabkommen gibt?

KALL: Die Bundesregierung hat vor einigen Monaten ein solches Migrationsabkommen mit Indien geschlossen. Das ist ein Beispiel für die Art von Abkommen, die wir uns vorstellen, die eben diese beiden Seiten haben: legale Migrationswege gerade in den Arbeitsmarkt, aber auch für Studierende, für Auszubildende, die Chancen in Deutschland bieten, zu schaffen, und gleichzeitig irreguläre Migration zu begrenzen durch das Commitment der jeweiligen Staaten, ihre Staatsangehörigen auch wieder zurückzunehmen, wenn sie kein Bleiberecht in Deutschland haben. Ein solches Abkommen, das diese beiden Seiten umfasst, haben wir mit Indien geschlossen und dann selbstverständlich auch öffentlich bekannt gemacht.

Wie gesagt, bei anderen Staaten, die beispielsweise eine EU-Beitrittsperspektive haben, ist das auch in diesem Lichte zu sehen. Herr Stamp hat ja auch ganz offen davon gesprochen, mit wem er redet, nämlich beispielsweise mit Georgien und Moldau. Insofern werden Sie es auch erfahren, wenn solche Abkommen geschlossen werden.

FRAGE: Herr Burger, ich habe einmal in den aktuellen Asyllagebericht Ihres Hauses vom Oktober 2022 zum Irak geguckt. Da lese ich unter anderem, dass staatliche Stellen nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien und dass die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten nicht umfassend gewährleistet würden. Hat sich daran irgendetwas geändert?

BURGER: Wie ich gerade gesagt habe, sind diese Berichte vertraulich.

ZUSATZ: Ich habe es jetzt ja vorgelesen.

BURGER: Ich habe den Bericht hier nicht vorliegen und kann deswegen auch nicht überprüfen, ob das, was Sie da vorgetragen haben, stimmt. Ich werde hier aber natürlich ganz sicher nicht Inhalte eines vertraulichen Berichts kommentieren ‑ auch nicht, ob diese Inhalte so noch zutreffend sind oder nicht. Ich bitte dafür um Verständnis. Wie gesagt, diese Berichte sind für den Gebrauch der zuständigen Asylbehörden und der Gerichte in Deutschland gedacht, und sie sind deswegen vertraulich, damit wir in diesen Berichten auch Klartext reden können ‑ auch dort, wo es Missstände gibt, die bei den Asylentscheidungen berücksichtigt werden müssen.

ZUSATZFRAGE: Dann habe ich ohne Kontext dieses Asyllageberichts eine Frage, zu der ich auch Klartext erwarte: Haben Sie Kenntnisse über Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Stellen im Irak?

BURGER: Es gibt immer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzungen, auch aus dem Irak. Wie dieser Sachverhalt auf den Einzelfall jeweils zutrifft, ob das in einer bestimmten Region des Irak eine konkrete Gefahr ist, welche Arten von Personengruppen davon betroffen sein können, ist aber eine andere Frage, die man, glaube ich, sehr differenziert betrachten muss. Das gilt eben nicht nur für den Irak, sondern auch für jedes andere Land der Welt.

FRAGE: An das BMI gerichtet: Wird dann auch evaluiert, was diese Migrationsabkommen ‑ zum Beispiel das mit Indien ‑ auf Dauer bringen? Ist das geplant?

Haben Sie einen Zeitrahmen, bis wann wir mit einem Ergebnis rechnen können, was Georgien und andere Staaten betrifft?

KALL: Herr Stamp führt diese Gespräche für die Bundesregierung sehr intensiv, und selbstverständlich führt die auch die Bundesinnenministerin. Diese Verhandlungen werden also sozusagen mit erheblichem Nachdruck geführt. Die hängen aber nicht allein von Deutschland ab. Zum Teil sprechen wir natürlich gemeinsam mit anderen EU-Staaten und auch der Europäischen Kommission mit bestimmten Staaten, zum Teil führen wir solche Gespräche bilateral. Es hängt natürlich auch immer mit dem jeweiligen Staat und der dortigen Regierung zusammen, wie schnell solche Abkommen zustande kommen. Es ist aber der Wille der Bundesregierung, auch in nächster Zeit weitere solche Abkommen zu schließen.

FRAGE: Weil Sie eben Indien als Beispiel genannt hatten: Haben Sie da schon irgendwelche Zahlen, wie viele Rückführungen auf Basis dessen seit dem Beschluss stattgefunden haben?

KALL: Ich bitte um Verständnis, dass ich in diesem großen Feld der Migrationszahlen nicht immer alle hier dabeihaben kann. Die können Sie jederzeit sehr gerne bei unserer Pressestelle oder auch beim BAMF anfragen. Wenn ich sie dabeihabe oder wenn die Kollegen sie mir noch senden können, trage ich sie hier gerne vor.

Noch einmal zu Ihrer Nachfrage nach Evaluation: Natürlich ist dann auch an Zahlen absehbar, was es an qualifizierter Zuwanderung ‑ beispielsweise Fachkräfte ‑ über solche Migrationsabkommen gibt und was es an Rückführungen geben wird. Ich denke, das Abkommen mit Indien ist noch ein bisschen zu frisch, um das schon in Zahlen ablesen zu können. Perspektivisch kann man es aber natürlich auch daran messen.

Asylverfahren für russische Staatsbürger in Deutschland

FRAGE: Russische Staatsbürger und insbesondere Männer im wehrpflichtigen Alter haben praktisch keine oder sehr geringe Chancen, ein Schengen-Visum zu bekommen und dementsprechend auch hier in Deutschland Asyl zu beantragen. Gibt es für sie die Möglichkeit, Asyl in deutschen Vertretungen in anderen Ländern zu beantragen, zum Beispiel in Kasachstan, Georgien oder der Türkei?

BURGER (AA): Für das Asylrecht ist das Innenministerium zuständig, aber ich kann schon einmal spoilern: Grundsätzlich kann man Asyl in Deutschland nur auf deutschem Boden beantragen.

KALL (BMI): Genau! In einer Auslandsvertretung kann man ein Visum beantragen, aber Asyl kann man nur in Deutschland beantragen.

ZUSATZFRAGE: Ich glaube, Ende letzten Jahres hat Frau Faeser gemeint, russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer könnten natürlich Asyl in Deutschland beantragen. Aber wie soll denn das gehen, wenn sie praktisch keine Schengen-Visa erhalten können?

KALL: Es haben auch Russen ‑ auch Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ‑ Asyl in Deutschland beantragt. Auch hier gilt, dass die genauen Asylzahlen aus den Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervorgehen. Ich kann Ihnen die Zahl jetzt hier nicht nennen, aber es gibt natürlich auch diese Fälle von Russen, die auf dem Landweg oder auf anderen Wegen nach Deutschland gekommen sind. Da gilt selbstverständlich, dass Asyl ein individuelles Recht einer einzelnen Person ist und in jedem Einzelfall geprüft wird, ob dieser Person Verfolgung droht ‑ in dem Fall aufgrund der Desertion aus dem russischen Militär ‑, und dann im Einzelfall auch Asyl in Deutschland gewährt wird.

ZUSATZFRAGE: Aber höchstwahrscheinlich stammen ihre Schengen-Visa noch aus der Zeit vor der Aufhebung der Vereinfachung des Abkommens über Schengen-Visa. Jetzt, nachdem sie aufgehoben worden ist, gibt es ja mehrheitlich Absagen an Männer im wehrpflichtigen Alter, weil die Rückkehrbereitschaft nicht genügend nachweisbar ist. Das heißt, praktisch gibt es keine Chance, nach Deutschland einzureisen, und praktisch auch keine Chance auf Asyl. Sehen Sie diesen Widerspruch?

KALL: Es geht um unterschiedliche Dinge bei der Frage von Visum oder Asyl. Nochmals: Asyl kann man hier in Deutschland beantragen.

[…]

KALL: Ich wollte auf Ihre Frage nach den russischen Deserteuren noch einmal etwas ausführlicher eingehen, nachdem mich meine Kollegen mit Zahlen unterstützt haben, die durchaus belegen, dass es eine rege Asylpraxis gibt, was russische Staatsangehörige angeht, die Asyl in Deutschland beantragen. Es ist so, dass Russland im Jahr 2022 auf Platz zehn der häufigsten Staatsangehörigkeiten bei Asylverfahren lag, aktuell auf Platz sieben. Da gibt es also eine deutliche Steigerung. In Zahlen bedeutet das, im Jahr 2022 gab es 3862 Asylanträge von Russinnen und Russen in Deutschland, und von Januar bis April 2023, in den ersten vier Monaten dieses Jahres, bereits 3531, also fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Das Recht, in Deutschland Asyl zu beantragen, nehmen Russinnen und Russen also durchaus wahr.

Bei Deserteuren ist es so, dass sie regelmäßig internationalen Schutz erhalten, also Schutz in Deutschland, wenn dieser Verfolgungsgrund vorliegt, dass sich jemand nicht am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligen möchte, deshalb aus Russland flieht und eben in Deutschland Schutz beantragt, und wenn keine Ausnahmen greifen, beispielsweise dass dieser Person nachgewiesen werden kann, dass sie selbst durch die Angehörigkeit im Militärdienst beispielsweise an Kriegsverbrechen beteiligt war. Dann kommt selbstverständlich kein Schutz in Betracht. Das wird in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft. Aber es gibt, wie gesagt, die Möglichkeit, in Deutschland Schutz zu erhalten, und die Zahlen belegen ja, dass das auch stattfindet.

Die Zahlen, die ich Ihnen jetzt genannt habe, sind die Gesamtzahlen in Bezug auf Asyl, was Russen angeht. Das sind natürlich nicht alles Deserteure, sondern es gibt verschiedenste Gründe, beispielsweise auch für Journalistinnen und Journalisten, die verfolgt werden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und diverse andere Gruppen, die unter politischer Verfolgung leiden.

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