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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei den Potsdamer Begegnungen in Berlin am 17. Mai 2018

17.05.2018 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Lieber Matthias Platzeck,
sehr geehrter Herr Botschafter Schwydkoi,
sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie uns reden. Am besten miteinander, weniger übereinander. Die Potsdamer Begegnungen sind eine geeignete Gelegenheit dazu. Die Potsdamer Begegnungen haben ja eine lange Geschichte als hochrangiges Gesprächsformat zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unserer beiden Länder.

Gerade in diesen schwierigen Zeiten brauchen wir einen offenen, ehrlichen Dialog. Das tun wir heute hier in Berlin, aber auch in Moskau, wo Außenminister Heiko Maas in der vergangenen Woche zu seinem Antrittsbesuch war. Und auch ich bin gespannt auf meine Reise nach Russland.

Die Welt verändert sich rasant. Es gibt keine bipolare Weltordnung mehr, die Welt ist in Unordnung. Wir haben es mit dramatischen Veränderungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zu tun. Wir erleben eine Vielzahl von Krisen und Konflikten.

Insofern muss am Ausgangspunkt einer jeden Politik eine realistische Bestandsanalyse dessen stehen, wo wir uns befinden. Überkommene Gewissheiten aus längst vergangenen Tagen tragen nicht mehr. Nicht im transatlantischen Verhältnis, nicht in Europa, und auch nicht im Verhältnis zu Russland.

Mit der Ostpolitik von Willy Brandt und dem Prinzip des Wandels durch Annäherung hat die Bundesrepublik maßgeblich zum Frieden und letztendlich auch zur Wiedervereinigung Deutschlands und Europas beigetragen. Die sozialdemokratisch geprägte Ostpolitik entsprang dem Kalten Krieg und half, ihn zu überwinden. Doch die bipolare Welt aus den Zeiten Willy Brandts und Egon Bahr gibt es eben nicht mehr.

Heute sehen wir ein Russland, das mit der Ordnung, wie wir sie gemeinsam mit der Helsinki-Schlussakte und der Charta von Paris errichtet haben, erkennbar nicht mehr einverstanden ist. Ein Russland, das diese über Jahrzehnte etablierte Friedensordnung mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Einmischung in die Ost-Ukraine massiv verletzt hat.

Gleichzeitig wirft Russland dem Westen vor, mit der NATO-Osterweiterung oder mit der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo die Prinzipien gemeinsamer Sicherheit verletzt zu haben.
Wir sehen heute ein Russland, das an seiner Westgrenze in der Region Kaliningrad nuklearfähige Kurzstreckenraketen aufstellt – eine Waffengattung, über die die NATO gar nicht mehr verfügt. Wir erleben ein Russland, das sich offensiv in die Innenpolitik anderer Staaten einmischt und dort europafeindliche sowie separatistische Kräfte unterstützt. Wir beobachten Cyber-Angriffe auch auf deutsche Regierungsnetze, die ihren Ursprung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Russland haben. Auch für den Anschlag mit einem chemischen Kampfstopf in Salisbury zeigen alle Hinweise nach Russland.

Diese Dinge muss man doch offen und ehrlich beim Namen nennen dürfen. Das schließt einen Dialog überhaupt nicht aus. Im Gegenteil: Aufrichtigkeit ist die Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog auf Augenhöhe. Ohne eine klare Sprache werden wir im Umgang mit Russland keine substantiellen Fortschritte erzielen können und als Verhandlungspartner ernst genommen werden.

Und dass wir gerade in diesen schwierigen Zeiten den Dialog mit Russland brauchen, ist zumindest uns sehr klar. Ein russisches Sprichwort sagt es ganz treffend: „Freunde zu finden ist leicht, schwieriger ist ein Freund zu sein.“ Trotz der aktuellen Schwierigkeiten in unseren Beziehungen: Wir haben ein großes Interesse daran, dass Russland auch in Zukunft mehr ist als nur ein geographischer Nachbar, sondern ein wichtiger strategischer Partner wird.

Wir werden keines der aktuellen internationalen Probleme lösen, wenn wir nicht auch mit Russland im Gespräch bleiben und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Dafür brauchen wir verlässliche, funktionierende und belastbare Dialogkanäle. Deshalb müssen wir Formate wie den EU-Russland-Gipfel, den NATO-Russland-Rat oder die OSZE wieder stärker beleben.

Nur im Dialog können wir unsere Erwartungen gegenüber Russland wirklich klar formulieren. Beispielsweise, dass Russland in der Ukraine noch stärker auf die Separatisten einwirkt, den Waffenstillstand einzuhalten. Das heißt nicht, dass allein Russland für die Umsetzung der Minsker Vereinbarung verantwortlich ist – es heißt aber, dass es ohne die Mitwirkung Russlands nicht geht.

Russland muss auf Assad einwirken, endlich eine politische Lösung für den Konflikt in Syrien zu suchen. Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist nur handlungsfähig, wenn die Veto-Macht Russland zu multilateraler Zusammenarbeit bereit ist. Und wir erwarten auch, dass Moskau auf Iran einwirkt, trotz der Aufkündigung durch die USA nicht aus dem Nuklearabkommen auszusteigen. Diesem Ansatz des Dialogs fühlt sich das Auswärtige Amt verpflichtet.
Was mir besonders wichtig ist: Unsere Politik muss stets darauf zielen, den Zusammenhalt und die Geschlossenheit in der Europäischen Union zu stärken. Wir dürfen uns nicht spalten lassen! Denn Europa vermag nur dann außen- und sicherheitspolitisch zu gestalten, wenn es mit einer Stimme spricht – das gilt nicht zuletzt auch im Umgang mit Russland.

Das Verhältnis zu Russland ist quer durch Europa historisch sehr unterschiedlich gewachsen. Deutschland hat einen Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion geführt, dem 27 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Das haben wir in Berlin immer noch nicht genügend aufgearbeitet. Dieser blinde Fleck ins unserem nationalen Gedächtnis ist beschämend. Deshalb ist es mir wichtig mit unseren russischen Partnern auch über eine Erinnerungskultur zu sprechen, die unserer historischen Schuld und Verantwortung besser gerecht wird. Ich setze mich seit Jahren für ein sichtbares Zeichen des Gedenkens an die Opfer der Nazi-Gräueltaten in der ehemaligen Sowjetunion ein.

Zur ehemaligen Sowjetunion gehörten aber nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine, Belarus, das Baltikum und andere Nachfolgestaaten. Auch Polen war drei Mal von der Bildfläche verschwunden, weil es von seinen beiden großen Nachbarn von der Landkarte wegradiert wurde.

Wir Deutsche müssen Verständnis dafür aufbringen, dass es andere Staaten gibt, die historisch nicht mit Schuld auf Russland schauen, sondern mit Angst. In vielen dieser Staaten gibt es heute große Sorgen, dass Deutschland und Russland abermals exklusive Beziehungen zu Lasten Dritter entwickeln.

Wenn Deutschland seiner Rolle als Brückenbauer und Mittler in der EU gerecht werden will, muss es die spezifischen Interessenlagen und historischen Erfahrungen seiner Nachbarn mitdenken.

Der Ansatz der Ostpolitik von Willy Brandt war stets: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein.“ Eine Ostpolitik, die der Sicht dieser Partner in der EU und NATO nicht Rechnung trägt, kann es deshalb für uns nicht geben.

Derzeit sehen aber nicht alle unserer EU-Partner die Notwendigkeit des Dialogs wie wir. Mancher unserer Partner setzt stattdessen auf Härte, Druck und Isolation. Wir werden für unseren Ansatz, dauerhaft und hartnäckig das Gespräch mit Russland zu suchen, nur dann glaubwürdig bei den Skeptikern werben können, wenn wir zugleich Völkerrechtsbrüche durch Russland oder Verletzungen der Menschenrechte in Russland klar und offen ansprechen.

Ebenso werden wir skeptische EU-Partner nur dann vom Dialog überzeugen können, wenn er am Ende auch konkrete Ergebnisse bringt: für den Frieden in Syrien und in der Ukraine, für den Erhalt der Rüstungskontrollarchitektur, für Entspannung auf dem europäischen Kontinent und den Wiederaufbau von Vertrauen. Wir sind bereit für einen Dialog, aber wir erwarten dafür von Russland auch konstruktive Beiträge.
Wir führen damit ganz bewusst den bewährten Doppelansatz der deutschen Russland-Politik fort: Auf der einen Seite die Stärkung unserer eigenen Fähigkeit, uns gegen Cyber-Angriffe und Desinformation zu wehren und Russland von unüberlegten, riskanten Aktionen abzuhalten. Auf der anderen Seite das Offenhalten und Nutzen von Dialogkanälen mit Russland, um Lösungen für internationale Konflikte zu suchen.

Der notwendige Dialog darf sich aber nicht allein auf die Repräsentantinnen und Repräsentanten von Staat und Politik beschränken, wenn wir langfristig wieder Vertrauen im bilateralen Verhältnis aufbauen wollen. Mir liegt ganz besonders am Herzen, dass sich die deutsche und russische Zivilgesellschaften nicht über aktuelle politische Meinungsverschiedenheiten auseinanderleben, gar entfremden.

Darum wollen wir die in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen engen Verbindungen zwischen den Gesellschaften erhalten und weiter ausbauen – ganz konkret durch Jugendaustausch, durch Studentenprogramme, in Begegnungsforen wie dem Petersburger Dialog, durch zivilgesellschaftliche Kooperation in ihrer ganzen Breite, durch deutsch-russische Themenjahre.

Außenminister Maas war bei seinen Gesprächen vergangene Woche in Moskau durchaus erfolgreich:

  • Mit Außenminister Lawrow hat er ein neues Themenjahr zu Hochschulkooperation und Wissenschaft 2018-20 unter der Schirmherrschaft beider Außenminister vereinbart.
  • Wir wollen gemeinsam in Sankt Petersburg ein geriatrisches Zentrum und eine Begegnungsstätte für Überlebende der Leningrader Blockade unterstützen.
  • Abgesprochen ist die Wiederaufnahme und Verstetigung von hochrangigen Gesprächsformaten im Bereich Sicherheitspolitik und intensiverer Austausch zu den Themen Iran und Syrien.
  • Wir streben ein baldiges Außenminister-Treffen im Normandie-Format an.
  • Wir setzen uns für einen NATO-Russland-Rat möglichst noch im Mai ein.
  • Außenminister Maas hat seinen russischen Amtskollegen zu einem Besuch in Deutschland zum Abschluss des laufenden Themenjahrs zu regionalen und kommunalen Partnerschaften eingeladen.

Damit sind gute Grundlagen gelegt, mit Russland weiterhin im engen Kontakt zu bleiben. Und dafür werden wir uns auch gegenüber unseren europäischen Partnern einsetzen. Was wir jetzt brauchen, ist Mut zur Klarheit, Ausdauer für den Dialog und die unermüdliche Bereitschaft, neue Wege des Miteinanders zu finden.

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